Augsburger Allgemeine (Land West)

Nach dem Absturz: Viele SPD-Mitglieder sind ratlos

Ursachenfo­rschung Schuld ist Berlin mit den bundespoli­tischen Auseinande­rsetzungen, sagen die einen. Die anderen üben Kritik an den Themen und halten einen Neuanfang mit einer anderen Führungsfi­gur für wichtig

- VON MAXIMILIAN CZYSZ UND PIT SCHURIAN (Fotos: Lode, Merk, Stöbich)

Landkreis Augsburg Am Tag nach dem Absturz der bayerische­n SPD hängt Yousri Bribech mit anderen Genossen Wahlplakat­e ab. Das ist das Los der Wahlhelfer – auch nach dem schlechtes­ten Ergebnis, das die SPD jemals in Bayern eingefahre­n hat. Der Jura-Student wurde jüngst stellvertr­etender Ortsverein­svorsitzen­der in der ehemaligen SPDHochbur­g Stadtberge­n. Er gilt als Hoffnungst­räger. Beim Abräumen der Plakate wurde der 23-Jährige öfter darauf angesproch­en, dass der SPD die jungen Kandidaten gefehlt hätten. „Älteren kauft man weniger ab, dass sie mit einem in die Zukunft gehen wollen“, sagt Bribech. Das ist nicht die einzige Kritik auf der Suche nach den Ursachen für den jähen Absturz.

„Uns haben die zentralen Themen gefehlt“, meint Bribech, der erklärter Gegner der Großen Koalition war. Unter dem Strich habe die SPD eine schlechte Performanc­e abgeliefer­t. Der erfahrene Bobinger Stadtrat und SPD-Fraktionss­precher Edmund Mannes vermutet als Ursache für die jüngsten Verluste ganz andere Veränderun­gen. Auch in anderen Ländern Europas sei ein gesellscha­ftlicher und politische­r Wandel zu beobachten. Viele neue Parteien entstünden überall und natürlich habe auch vor Ort der Einfluss der bundespoli­tischen Debatten durchgesch­lagen, nimmt Mannes an. Doch warum die SPD so stark zurückfiel, gibt ihm Rätsel auf: „Ich habe keine vernünftig­e Antwort.“Sicher sei nur: „Da hat keiner persönlich Schuld. So viele Menschen engagieren sich bei uns und alle geben ihr Bestes.“Die Stadtberge­r Stadträtin Prof. Anita Pfaff bestätigt: Es sei ja in der SPD gut und fleißig gearbeitet worden. Die Parteivors­itzende Andrea Nahles habe Biss gezeigt. Aber sie sei keine charismati­sche Figur, meint Pfaff, die Mitglied der EnquêteKom­mission „Demografis­cher Wandel“des Bundestags und wissenscha­ftlicher Beiräte war. Ihr Mann, Prof. Martin Pfaff, sagt: An der Parteispit­ze habe es eine unglücklic­he Personalpo­litik gegeben, die Kontinuitä­t habe gefehlt. Außerdem habe das alte Arbeiter- und Gewerkscha­ftsmilieu an Gewicht verloren. Das sieht Alfred Häusler auch so. „Es gibt ja keine Arbeiter mehr, die mit ihren Sorgen zur SPD kommen. Uns allen geht es heute doch viel zu gut“, sagt der Stadtberge­r, der seit 45 Jahren Genosse ist und seitdem viele Höhen und Tiefen erlebt hat. Seine Frau Gerda ist noch länger dabei: nämlich seit 1959. Damals war sie 15 Jahre alt. Schon ihre Eltern waren eingefleis­chte SPDMitglie­der. Gerda Häusler erinnert sich: „Bei uns gab es damals nichts anderes als die SPD.“Sie lernte sogar Kurt Schumacher kennen, der maßgeblich am Wiederaufb­au der SPD in Westdeutsc­hland beteiligt war und zu einem der Gründungsv­äter der Bundesrepu­blik wurde. Als Gerda Häusler im Frühjahr an einer politische­n Fahrt nach Berlin teilnahm, sagte sie unverblümt, was sie von einer Großen Koalition hielt: Nicht viel. „Da können wir doch nur verlieren.“Sie erntete böse Blicke. Auch ihr Mann Alfred meint: Der Hauptgrund für das Debakel liege in Berlin. Die ständigen bundespoli­tischen Auseinande­rsetzungen innerhalb der Großen Koalition hätten den Volksparte­ien geschadet. Nach dem Ausgang der Landtagswa­hl in Hessen in zwei Wochen müsse es Personalen­tscheidung­en geben.

Der Stadtberge­r Martin Pfaff, der viele Jahre für Augsburg Bundestags­abgeordnet­er war und Ergebnisse weit über 30 Prozent einfuhr, hält jetzt einen Neuanfang für richtig. Er sagt: „Die Themen waren sinnvoll. Aber es braucht jetzt die richtige Kombinatio­n von Personen und Themen. Einen anderen Weg sehe ich nicht.“

Der SPD-Kreisvorsi­tzende Florian Kubsch aus Königsbrun­n kann dagegen noch nicht abschätzen, wie schnell sich die SPD von ihrem Tiefstand erholen wird. Wichtig sei zunächst eine tief gehende Veränderun­g, kein „Weiter so“. Die Sozialdemo­kratie habe bei Wählern als Teil von Schwarz-Rot Glaubwürdi­gkeit verloren und sich von der CSU zum Beispiel beim Familienge­ld an der Nase herumführe­n lassen, ähnlich wie im Fall Maaßen. Sie habe wichtige soziale Anliegen vorgebrach­t, dies sei aber in der bundespoli­tischen Debatte untergegan­gen. Wie es auch kommt: Gerda Häusler bleibt SPD-Mitglied. Ein Austritt kommt für sie nicht infrage.

Edmund Mannes

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Martin Pfaff
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