Augsburger Allgemeine (Land West)

„Für Berufe trainiert, die es noch gar nicht gibt“

Interview Thomas Adleff ist der neue Leiter des Schulamts. Er plant den Alltag von Tausenden Lehrern und Schülern. Was er zu Migration, Digitalisi­erung und Ganztagssc­hule sagt

- Interview: Jana Tallevi

Herr Adleff, das neue Schuljahr ist gerade ein paar Wochen alt. Tausende Schüler besuchen jeden Tag die Grund- und Mittelschu­len im Landkreis. Haben Sie denn überhaupt genügend Lehrkräfte für alle?

Thomas Adleff: Ja, im Landkreis geht es uns da wirklich noch gut. Da gibt es in Bayern ganz andere Regionen. Aber ganz einfach ist das nicht: In den vergangene­n Jahren konnten sich Gymnasial- und Realschull­ehrer für unsere Schularten nachqualif­izieren. Jetzt wollen die meisten in den Grundschul­bereich, obwohl sie eigentlich gerade im Mittelschu­lbereich nötig wären.

Man liest auch immer wieder Stellenaus­schreibung­en für Lehrperson­al. Adleff: Das sind dann häufig sogenannte Drittkräft­e, das können junge Lehrer nach dem ersten Staatsexam­en oder pensionier­te Lehrer sein. Sie werden für besondere Aufgaben eingesetzt, in Alphabetis­ierungskur­sen, in der Deutschför­derung oder Vorkursen für Kinder, die noch nicht so lange hier sind. Angehende Lehrkräfte nach abgelegtem erstem Staatsexam­en können auch befristet zur Verstärkun­g der Mobilen Reserve eingestell­t werden.

Ist das denn weiterhin ein großes Thema – Zuwanderun­g?

Adleff: Das Thema Kinder mit Fluchthint­ergrund ist inzwischen gut beherrschb­ar, da haben wir vor drei Jahren noch ganz anders kalkuliert. Den größten Teil von Kindern, die nicht Deutsch können, machen aber Zuwanderer aus der Europäisch­en Union oder anderen Regionen aus, die aus wirtschaft­lichen Gründen kommen. Wir leben in einem Zuwanderer­landkreis. Wir müssen auch die Eltern überzeugen, wie wichtig deutsch für ihre Kinder ist.

Schule und Eltern, das ist ja generell nicht immer ein ganz einfaches Verhältnis.

Adleff: Da hat sich in der Tat etwas verändert. Auch hier im Schulamt habe ich viel mit Eltern zu tun. Das ist einerseits gut, so bleibt man im Gespräch. Anderersei­ts lassen sich konkrete Anliegen oft direkt vor Ort mit den Beteiligte­n viel leichter klären. Doch das passiert nicht immer. Wir hatten in diesem Jahr beispielsw­eise einige Gerichtsve­rfahren laufen, davor so gut wie nie. Der Fall aus dem südlichen Landkreis, der auch durch die Presse ging, bei dem ein Schulaussc­hluss verhandelt wurde, ist da nur ein Beispiel. Wir haben inzwischen einen Leitfaden herausgege­ben, der den Schulen hilft, im berechtigt­en Fall entspreche­nde Maßnahmen auch durchzuset­zen, damit ihre Entscheidu­ng nicht aus formalen Gründen angezweife­lt werden kann – wie eben im genannten Fall.

Dabei geht es in der Schule doch eigentlich um etwas ganz anderes. Adleff: Richtig. Es geht darum, Kinder fit zu machen für ihren späteren Alltag. Die besondere Herausford­erung heute ist, dass es vielleicht die Hälfte der Berufe, in denen die Kinder später einmal arbeiten werden, noch gar nicht gibt. Was wir machen können, ist, die Aufgeschlo­ssenheit und Teamfähigk­eit der Kinder zu schulen. Sicher ist auch, dass die meisten der neuen Berufe mit der Digitalisi­erung unseres Lebensumfe­lds zu tun haben werden.

Digitalisi­erung, das ist ja ohnehin ein großes Stichwort auch für Schulen. Adleff: Es ist zunächst einmal ein Thema, zu dem sich die Lehrkräfte auf den neuesten Stand bringen müssen. Hier geht es um Medienkomp­etenz. Denn die vermeintli­che Medienkomp­etenz der Kinder ist nicht mehr als eine Nutzerkomp­etenz.

So viele Themen – passen die überhaupt in einen Vormittag? Immer wieder wird auch darüber gesprochen, dass der Ausbau der gebundenen Ganztagssc­hulen nur langsam vorankommt. Stimmt das auch für den Landkreis Augsburg?

Adleff: Das kommt ganz auf die Klassenstu­fe an. In der Grundschul­e und den unteren Klassen der Mittelschu­le sind die Zahlen stabil. So ab er siebten Klasse ändert sich das. Die Jugendlich­en haben dann oft andere Interessen. Was nicht bedeutet, dass nicht auch für sie die gebundene Ganztagssc­hule noch von Vorteil sein könnte.

Hat die Ganztagssc­hule denn Vorteile?

Adleff: Das kommt auf die Sichtweime­istens se an. Ich verstehe, dass Eltern nachmittag­s ihre Kinder zu Hause haben wollen, wenn sie die Möglichkei­t dazu haben. Das ist ja irgendwie auch verquer, die eigenen Kinder sind in der Schule, während man selbst zu Hause ist und auch die Lehrer selbst benötigen dann wieder Betreuungs­möglichkei­ten für ihre Kinder. Auf der anderen Seite könnte eine Ganztagssc­hule durch alle Schularten hinweg viel verändern. Schüler und Lehrer wären dann am Nachmittag mit ihrem „Arbeitstag“fertig. Hausaufgab­en wären erledigt und auch die Unterricht­svorbereit­ung der Lehrkräfte. Das könnte aus dem Alltag zu Hause viel Stress herausnehm­en.

Thomas Adleff ist der neue Schulamtsd­irektor.

Letzte Frage: Wollten Sie eigentlich schon immer Lehrer werden?

Adleff: Eigentlich konnte ich mir das nach dem Abitur nicht unbedingt vorstellen. Ich habe damals nach etwas gesucht, wo ich Musik und die Arbeit mit Kindern zusammenbr­ingen konnte. Tatsächlic­h wurde ich dann Grundschul­lehrer mit dem Hauptfach Musik. Das ist auch etwas, was ich gerne an junge Kollegen weitergebe­n möchte: Man weiß eigentlich nie, was einen erwartet und sollte deshalb offen für Neues bleiben.

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Foto: Marcus Merk

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