Augsburger Allgemeine (Land West)
Sie sucht auf eigene Faust nach dem Unfallfahrer
Unfall Amna Kadic reicht’s: Innerhalb von zehn Monaten hatte sie vier Schäden an ihrem BMW Z 4. Warum es mehr Rempler als früher gibt und warum Ausreden mächtigen Ärger einbringen können
Gersthofen/Landkreis Augsburg Nach dem vierten Schaden innerhalb von zehn Monaten macht sich Amna Kadic selbst auf die Suche: In der Schulstraße in Gersthofen hat sie Zettel aufgehängt, um den Autofahrer zu finden, der ihrem BMW Z4 eine Beule verpasst hat. Und das ausgerechnet gegenüber der Polizeidienststelle, in der Tag und Nacht Betrieb herrscht. Amna Kadic schreibt an den Unbekannten: „Um uns beiden viel Zeit und Ärger zu ersparen, erwarte ich eine Entschuldigung sowie einen Vorschlag zur Schadensregulierung.“Bislang hat sich niemand gemeldet. Kadic versteht die Welt nicht mehr: „Es ist so dreist.“Die Frau ist nicht die einzige, die mit dem Glauben an die Ehrlichkeit der Menschen hadert. Denn Jahr für Jahr bleiben Hunderte nach einer Unfallflucht auf einem Schaden sitzen.
Fast 800 Autofahrer waren es im Landkreis im vergangenen Jahr. Knapp 450 Fahrerfluchten ließen sich klären. Teils führten Zeugenhinweise zum Verursacher, der sich aus dem Staub gemacht hatte. Oder auch die Spuren, die am Tatort gefunden wurden. Das können Glasscherben eines beschädigten Rücklichts sein. Oder Lacksplitter. Die Unfallfahnder der Verkehrspolizeiinspektion Augsburg versuchen sich anhand der vorhandenen Informationen ein Bild zu machen, um dem Verursacher auf die Schliche zu kommen. Wichtig sei aber eine konkrete Spur, sagt Siegfried Hartmann vom Polizeipräsidium Schwaben Nord. „Mit einer Delle allein wird es schwierig.“Aber selbst die muss gemeldet werden, betont Hartmann energisch: „Fahrerflucht ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat.“Der Gesetzgeber sieht dafür eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Dazu gibt es Punkte in Flensburg, außerdem wird der Führerschein für ein halbes Jahr einkassiert – Minimum. Die Behauptung, nichts vom Unfall mitbekommen zu haben, kann vor Gericht schwierig werden. Es gibt nämlich Sachverständige, die Vorfälle exakt rekonstruieren können und damit nachweisen, ob ein Rempler hör- oder spürbar gewesen sein muss.
Die Experten waren auch vor sechs Jahren gefragt. Damals hatte ein Bus eine 63-jährige Radfahrerin am Ortsrand von Margertshausen erfasst und mitsamt ihrem Rad in den Straßengraben geschleudert. Die Folgen waren tragisch: Die Frau starb und wurde erst Stunden später entdeckt. Vom Unfallfahrer fehlte zunächst jede Spur. Erst später kam die Polizei auf den Fahrer eines Busses. Der damals 78 Jahre alte Mann aus dem Landkreis Unterallgäu sagte gegenüber der Polizei aus, dass er nur einen dumpfen Schlag gehört hätte. Auch Fahrgäste, die sich in dem Linienbus befanden, hatten angeblich nichts vom Unfall mitbekommen. Der Vorwurf der Fahrerflucht wurde fallen gelassen, am Ende wurde der Busfahrer wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 7500 Euro verbunden mit einer Fahrerlaubnissperre verurteilt.
Die Dramatik, die in Unfällen mit tödlichem Ausgang steckt, gibt das statistische Zahlenmaterial nicht wieder. Aber es gibt einen Anhaltspunkt: Im vergangenen Jahr wurden 1245 Unfallfluchten gemeldet – ein Spitzenwert, der nur einmal übertroffen wurde. Im Jahr 2015 gab es zwei Vorfälle mehr. Damals war auch die Aufklärungsquote höher: 484 Fälle ließen sich klären. Im vergangenen Jahr waren es 448, was einer Quote von 36 Prozent entspricht. Im Bereich der Polizeidienststelle Zusmarshausen war sie mit 45 Prozent deutlich über dem Durchschnitt.
Insgesamt ist die Zahl der Unfallfluchten in den vergangenen Jahren rasant gestiegen, nämlich um fast ein Das entspricht auch dem Verkehr auf den Straßen im Landkreis, der stark zugenommen hat: 2008 waren es rund 180 000 zugelassene Fahrzeuge, zum Jahresanfang etwa 230000. Für Amna Kadic ist das kein Trost. „In den vergangenen zehn Monaten hatte ich vier Schäden am Wagen“, sagt sie. Und jedes Mal fehlte vom Verursacher eine Spur. Anfangs hatte jemand an dem BMW einen Kratzer am Kotflügel hinterlassen. Dann an der Rückseite. Besonders dreist: Vermutlich mit einem spitzen Gegenstand hinterließ jemand einen Kratzer an der Fahrertür. Amna Kadic fasst es nicht: „Ich hatte den Wagen vor zwei Jahren gebraucht gekauft, ganz ohne Macken und Kratzer. Und jetzt das: Das ist der Hammer.“Der jüngste Schaden an ihrem Z4 stammt verDrittel. mutlich vom Kopf einer Anhängerkupplung: Jemand muss beim Ausparken in der Schulstraße in Gersthofen oder in der Hirblinger Straße im Bärenkeller zurückgefahren und dann gegen den BMW gestoßen sein. Zurückgeblieben ist dadurch nicht nur ein „Ei“am Kennzeichen. Der Spoiler wurde verschoben, was eine kostspielige Reparatur nach sich ziehen dürfte.