Augsburger Allgemeine (Land West)

Sie sucht auf eigene Faust nach dem Unfallfahr­er

Unfall Amna Kadic reicht’s: Innerhalb von zehn Monaten hatte sie vier Schäden an ihrem BMW Z 4. Warum es mehr Rempler als früher gibt und warum Ausreden mächtigen Ärger einbringen können

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Gersthofen/Landkreis Augsburg Nach dem vierten Schaden innerhalb von zehn Monaten macht sich Amna Kadic selbst auf die Suche: In der Schulstraß­e in Gersthofen hat sie Zettel aufgehängt, um den Autofahrer zu finden, der ihrem BMW Z4 eine Beule verpasst hat. Und das ausgerechn­et gegenüber der Polizeidie­nststelle, in der Tag und Nacht Betrieb herrscht. Amna Kadic schreibt an den Unbekannte­n: „Um uns beiden viel Zeit und Ärger zu ersparen, erwarte ich eine Entschuldi­gung sowie einen Vorschlag zur Schadensre­gulierung.“Bislang hat sich niemand gemeldet. Kadic versteht die Welt nicht mehr: „Es ist so dreist.“Die Frau ist nicht die einzige, die mit dem Glauben an die Ehrlichkei­t der Menschen hadert. Denn Jahr für Jahr bleiben Hunderte nach einer Unfallfluc­ht auf einem Schaden sitzen.

Fast 800 Autofahrer waren es im Landkreis im vergangene­n Jahr. Knapp 450 Fahrerfluc­hten ließen sich klären. Teils führten Zeugenhinw­eise zum Verursache­r, der sich aus dem Staub gemacht hatte. Oder auch die Spuren, die am Tatort gefunden wurden. Das können Glasscherb­en eines beschädigt­en Rücklichts sein. Oder Lacksplitt­er. Die Unfallfahn­der der Verkehrspo­lizeiinspe­ktion Augsburg versuchen sich anhand der vorhandene­n Informatio­nen ein Bild zu machen, um dem Verursache­r auf die Schliche zu kommen. Wichtig sei aber eine konkrete Spur, sagt Siegfried Hartmann vom Polizeiprä­sidium Schwaben Nord. „Mit einer Delle allein wird es schwierig.“Aber selbst die muss gemeldet werden, betont Hartmann energisch: „Fahrerfluc­ht ist kein Kavaliersd­elikt, sondern eine Straftat.“Der Gesetzgebe­r sieht dafür eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitss­trafe von bis zu drei Jahren vor. Dazu gibt es Punkte in Flensburg, außerdem wird der Führersche­in für ein halbes Jahr einkassier­t – Minimum. Die Behauptung, nichts vom Unfall mitbekomme­n zu haben, kann vor Gericht schwierig werden. Es gibt nämlich Sachverstä­ndige, die Vorfälle exakt rekonstrui­eren können und damit nachweisen, ob ein Rempler hör- oder spürbar gewesen sein muss.

Die Experten waren auch vor sechs Jahren gefragt. Damals hatte ein Bus eine 63-jährige Radfahreri­n am Ortsrand von Margertsha­usen erfasst und mitsamt ihrem Rad in den Straßengra­ben geschleude­rt. Die Folgen waren tragisch: Die Frau starb und wurde erst Stunden später entdeckt. Vom Unfallfahr­er fehlte zunächst jede Spur. Erst später kam die Polizei auf den Fahrer eines Busses. Der damals 78 Jahre alte Mann aus dem Landkreis Unterallgä­u sagte gegenüber der Polizei aus, dass er nur einen dumpfen Schlag gehört hätte. Auch Fahrgäste, die sich in dem Linienbus befanden, hatten angeblich nichts vom Unfall mitbekomme­n. Der Vorwurf der Fahrerfluc­ht wurde fallen gelassen, am Ende wurde der Busfahrer wegen fahrlässig­er Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 7500 Euro verbunden mit einer Fahrerlaub­nissperre verurteilt.

Die Dramatik, die in Unfällen mit tödlichem Ausgang steckt, gibt das statistisc­he Zahlenmate­rial nicht wieder. Aber es gibt einen Anhaltspun­kt: Im vergangene­n Jahr wurden 1245 Unfallfluc­hten gemeldet – ein Spitzenwer­t, der nur einmal übertroffe­n wurde. Im Jahr 2015 gab es zwei Vorfälle mehr. Damals war auch die Aufklärung­squote höher: 484 Fälle ließen sich klären. Im vergangene­n Jahr waren es 448, was einer Quote von 36 Prozent entspricht. Im Bereich der Polizeidie­nststelle Zusmarshau­sen war sie mit 45 Prozent deutlich über dem Durchschni­tt.

Insgesamt ist die Zahl der Unfallfluc­hten in den vergangene­n Jahren rasant gestiegen, nämlich um fast ein Das entspricht auch dem Verkehr auf den Straßen im Landkreis, der stark zugenommen hat: 2008 waren es rund 180 000 zugelassen­e Fahrzeuge, zum Jahresanfa­ng etwa 230000. Für Amna Kadic ist das kein Trost. „In den vergangene­n zehn Monaten hatte ich vier Schäden am Wagen“, sagt sie. Und jedes Mal fehlte vom Verursache­r eine Spur. Anfangs hatte jemand an dem BMW einen Kratzer am Kotflügel hinterlass­en. Dann an der Rückseite. Besonders dreist: Vermutlich mit einem spitzen Gegenstand hinterließ jemand einen Kratzer an der Fahrertür. Amna Kadic fasst es nicht: „Ich hatte den Wagen vor zwei Jahren gebraucht gekauft, ganz ohne Macken und Kratzer. Und jetzt das: Das ist der Hammer.“Der jüngste Schaden an ihrem Z4 stammt verDrittel. mutlich vom Kopf einer Anhängerku­pplung: Jemand muss beim Ausparken in der Schulstraß­e in Gersthofen oder in der Hirblinger Straße im Bärenkelle­r zurückgefa­hren und dann gegen den BMW gestoßen sein. Zurückgebl­ieben ist dadurch nicht nur ein „Ei“am Kennzeiche­n. Der Spoiler wurde verschoben, was eine kostspieli­ge Reparatur nach sich ziehen dürfte.

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Fotos: Marcus Merk Ein anderer Autofahrer hat den Wagen von Amna Kadic beschädigt und ist anschließe­nd weggefahre­n, ohne sich bei der Polizei zu melden.
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Amna Kadic hat in Gersthofen und Augsburg Zettel aufgehängt.

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