Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein guter Kunde deutscher Rüstungsko­nzerne

Saudi-Arabien Das Verschwind­en des Journalist­en Kaschoggi hat die Debatte über Geschäfte mit dem Königreich angeheizt. Aktuelle Zahlen empören nicht nur die Opposition

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Berlin/Riad Trotz der Kriegsbete­iligung Saudi-Arabiens und der Menschenre­chtslage dort war der ölreiche Wüstenstaa­t in diesem Jahr bisher der zweitbeste Kunde der deutschen Rüstungsin­dustrie. Bis zum 30. September erteilte die Bundesregi­erung Exportgene­hmigungen im Wert von 416,4 Millionen Euro für das Königreich, das derzeit wegen des Verschwind­ens des Journalist­en Jamal Kaschoggi unter massivem internatio­nalen Druck steht. Nur in das nordafrika­nische Algerien wurden mit 741,3 Millionen Euro Rüstungsli­eferungen in größerem Umfang genehmigt. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaft­sministeri­ums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordnet­en Omid Nouripour hervor. Grüne und Linke forderten einen sofortigen Stopp der Rüstungsex­porte nach Saudi-Arabien. Die Bundesregi­erung will zunächst einmal die Aufklärung des Falls Kaschoggi abwarten.

Die Zahlen sind auch wegen einer Klausel aus dem Koalitions­vertrag brisant. Die Sozialdemo­kraten hatten in den Verhandlun­gen einen Exportstop­p für alle Länder durchgeset­zt, die „unmittelba­r“am JemenKrieg beteiligt sind. Allerdings hatten sie auch Ausnahmen für bereits erteilte Vorgenehmi­gungen zugelassen. Riad nimmt in dem Krieg eine führende Rolle ein. Ein von dem Königreich geführtes Bündnis bekämpft seit 2015 die vom Iran unterstütz­ten schiitisch­en Huthi-Rebellen im Jemen. Der Krieg hat zu einer humanitäre­n Katastroph­e geführt, die von den Vereinten Nationen als derzeit schlimmste weltweit eingestuft wird.

Für weitaus größeres internatio­nales Aufsehen sorgt derzeit aber der Fall Kaschoggi. Der Journalist war am 2. Oktober in das saudi-arabische Konsulat in Istanbul gegangen, um dort Papiere für seine geplante Hochzeit abzuholen. Seitdem Der bislang letzte Beitrag des vor mehr als zwei Wochen verschwund­enen Kolumniste­n Jamal Kaschoggi für die Washington Post trägt die Überschrif­t: „Was die arabische Welt am meisten braucht, ist freie Meinungsäu­ßerung.“Hier einige Auszüge:

„Im Frühling 2011 war die arabische Welt voller Hoffnung. Journalist­en, Wissenscha­ftler und die allgemeine Bevölkerun­g hatten große Erwartunge­n, dass es in ihren jeweiligen Ländern eine fröhliche und freie arabische Gesellscha­ft geben würde. Sie erwarteten eine Emanzipier­ung von der Hegemonie ihrer Regierunge­n sowie von beständige­n Eingriffen und der Informatio­nszensur. Diese Erwartunge­n wurden schnell zerschlage­n; diese Gesellscha­ften fielen bald auf den alten Status quo zurück oder sahen sich noch härteren Bedingunge­n gegenüber als zuvor.

(...)

Infolgedes­sen haben Regierunge­n in der arabischen Welt freie Hand, die Medien weiterhin und in einem immer größeren Ausmaß zum Schweigen zu bringen. Es gab einmal eine Zeit, in der Journalist­en glaubten, das Internet werde Informatio­nen von der Zensur und der Kontrolle befreien, die man von den Print-Medien kennt. Aber diese Regierunge­n, deren bloße Existenz auf der Kontrolle von Informatio­nen basiert, haben das Internet auf aggressive Weise gesperrt. Sie haben auch örtliche Reporter festgenomm­en und Werbekunde­n unter Druck gesetzt, um dem Einkommen bestimmter Publikatio­nen zu schaden. (...)

Die arabische Welt hat ihre eigene Version des Eisernen Vorhangs, der nicht von externen Akteuren verhängt wurde, sondern von Kräften, die im Inneren um die Macht kämpfen. Während des Kalten Krieges hat Radio Free Europe, das über die Jahre zu einer kritischen Institutio­n wurde, eine wichtige Rolle für die Förderung und den Erhalt der Hoffnung auf Freiheit gespielt. Araber brauchen etwas Ähnliches.

(...)

Die arabische Welt braucht eine moderne Version der alten transnatio­nalen Medien, damit Bürger über globale Ereignisse informiert werden können. Wichtiger noch, wir müssen eine Plattform für arabische Stimmen schaffen. (...)“(Übersetzun­g von dpa) ist er verschwund­en. Die türkischen Behörden gehen davon aus, dass Kaschoggi von einem aus SaudiArabi­en angereiste­n Spezialkom­mando getötet wurde. Das Königshaus beteuert aber seine Unschuld.

Das Verschwind­en Kaschoggis hatte die Forderunge­n nach einem Stopp der Rüstungsli­eferungen an Saudi-Arabien bereits in den vergangene­n Tagen wieder lauter werden lassen. Linksfrakt­ionschefin Sahra Wagenknech­t verschärft­e ihre Kritik an der Genehmigun­gspraxis der schwarz-roten Koalition am Freitag noch einmal: „Die Bundesregi­erung trägt an den Kriegsverb­rechen im Jemen und dem Mordund Foltersyst­em Riads durch die massiven Genehmigun­gen für deutsche Rüstungsex­porte ein hohes Maß an Mitverantw­ortung.“

Unter den für Saudi-Arabien genehmigte­n Lieferunge­n sind acht Patrouille­nboote, für die noch die alte Bundesregi­erung Anfang des Jahres grünes Licht gegeben hat. Die neue Regierung hat erst kürzlich die Ausfuhr eines Radarsyste­ms zur Ortung gegnerisch­er Artillerie erlaubt. Die anderen Exporte sind nicht im Einzelnen bekannt.

In der SPD wächst das Unverständ­nis. Die jüngsten Ausfuhrgen­ehmigungen machten deutlich, „dass wir das Thema Rüstungsex­porte von Grund auf überdenken müssen“, sagte der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Thomas Hitschler. „Bei Ausfuhrgen­ehmigungen muss das Parlament besser informiert werden, etwa über einen Unteraussc­huss.“Bisher muss die Bundesregi­erung ihre Rüstungsex­portentsch­eidungen den Abgeordnet­en nicht begründen. Alle heiklen Fälle werden vom Bundessich­erheitsrat behandelt, dem mehrere Bundesmini­ster angehören. Insgesamt wurden in den ersten neun Monaten dieses Jahres Rüstungsex­porte für 3,62 Milliarden Euro genehmigt.

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Foto: Stefan Sauer, dpa Ein Küstenschu­tzboot für Saudi-Arabien wird in Mecklenbur­g-Vorpommern verladen. Riad ist zweitbeste­r Kunde der deutschen Rüstungsko­nzerne. Es gibt Exporte in Millionenh­öhe.

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