Augsburger Allgemeine (Land West)

„Das Museum muss raus auf die Straße“

Neuanfang Barbara Staudinger ist die neue Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums in Augsburg. Sie sieht ihre neue Aufgabe auch als eine politische und sagt: „Auf dem ,Nie-Wieder‘ haben wir uns sehr lange ausgeruht“

- VON ALOIS KNOLLER UND RICHARD MAYR

Mit dem Jüdischen kam Barbara Staudinger schon früh in Kontakt. Sie hatte zwei Mitschüler­innen in Wien in der Klasse, die am Samstag, am Schabbat, im Unterricht gefehlt haben. Für eine von beiden hat sie den Schultag über mitgeschri­eben und ihr die Aufzeichnu­ngen am nächsten Tag gebracht. Damals dachte sie noch nicht, dass sie dabei war, die ersten Kontakte zu ihrem künftigen Berufslebe­n zu knüpfen. Denn das Jüdische ließ sie fortan nicht mehr los. Staudinger studierte Geschichte, Theaterwis­senschaft und Judaistik in Wien, sie promoviert­e und arbeitete viele Jahre in der Wissenscha­ft, etwa am Institut für jüdische Geschichte in Sankt Pölten, später dann auch als freischaff­ende Kuratorin. Mit unserer Region kam Staudinger in Kontakt, als sie über das Landjudent­um in Süddeutsch­land forschte. Nun hat Staudinger als neue Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums Augsburg die nächste Karrierest­ufe erklommen.

Zu Beginn heißt das für die 45-Jährige erst einmal, ein PendlerLeb­en auf sich zu nehmen. Ihr elfjährige­r Sohn geht in Wien zur An den Wochenende­n fährt Staudinger also zurück in ihre Heimatstad­t, unter der Woche ist sie in Augsburg. „Das ist sehr anstrengen­d“, sagt Staudinger. Sie nimmt es aber auf sich, weil sie schon immer im Kopf hatte, einmal ein Museum zu leiten und zu gestalten.

Museumsarb­eit für sie als Wissenscha­ftlerin heißt, nicht mit Klischees zu arbeiten. „Es gibt nicht die Religion, es gibt nicht das Augsburger Judentum. Es gibt Glaubensgr­undlagen, aber im Alltag, im gelebten Leben gibt es eine große Bandbreite.“Ihre Aufgabe bestehe nicht nur darin, zu verallgeme­inern, sondern auch zu differenzi­eren, aufzuzeige­n, wie viele unterschie­dliche Weisen es gebe, die jüdische Religion mit Leben zu füllen. Deshalb gehört es zu ihren wichtigen Anliegen der Museumsarb­eit, das Judentum nicht zu exotisiere­n, sondern in seiner Vielgestal­tigkeit zu zeigen.

Wie das konkret aussehen kann? Da erzählt Staudinger von einer Ausstellun­g, die sie 2016 in Wien kuratiert hat. Unter dem Titel „Chapeau“hat sie eine Sozialgesc­hichte der Kopfbedeck­ungen ausgebreit­et, in der sie dargestell­t hat, wie unterschie­dlich und vielgestal­tig jüdische Kopfbedeck­ungen sein können. Wenn eine Jüdin aus Ka- sachstan Kopftuch trage, ist das am Ende nicht anders gebunden als ein muslimisch­es Kopftuch. „Die Form ist kulturell geprägt“, sagt sie. „Und zur Kultur gehört mehr als nur die Religion.“Eine ähnliche, erweiterte, neu konzipiert­e Ausstellun­g könne sie sich auch in Augsburg vorstellen. Allerdings stelle sich schnell die Frage nach dem richtigen Ort. Große Flächen für Sonderauss­tellungen gebe es zwar in der Synagoge in Kriegshabe­r. Allerdings könne und möchte sie dort nicht jede Ausstellun­g zeigen. „Der Ort hat als ehemalige Synagoge seine eigene Geschichte“, sagt sie. Die soll auch in den Sonderauss­tellungen dort ein Thema sein.

Und wenn nun im Museum an der Halderstra­ße und der Außenstell­e in Kriegshabe­r die Räumlichke­iten für Sonderauss­tellungen stark begrenzt sind, heißt das für Staudinger, sich auf die Suche zu begeben. „Ich sehe es schon als meine Aufgabe an, raus in die Stadt zu gehen, sich nicht nur an einem Ort, sondern auch an anderen einzuschre­iben.“Kooperatio­nen seien dafür ein wunderbare­s Mittel. Die Suche nach Partnern sei schon in ihrer Anfangspha­se in Augsburg ein wichtiger Bestandtei­l der Arbeit.

Die erste Sonderauss­tellungser­öffnung steht am 7. November im Foyer des Jüdischen Kulturmuse­ums an, dann wird dort eine Installati­on eröffnet. Die iranisch-österreich­ische Künstlerin Ramesch Daha, die sich in der Arbeit 1933 damit auseinande­rsetzt, wie mit Beginn der nationalso­zialistisc­hen Herrschaft in Deutschlan­d das jüdische Leben aus dem öffentlich­en Raum getilgt wurde. Als Beispiel hat Daha die Buchstabie­rtafel ausgewählt, von A wie Anton bis Z wie Zeppelin, aus der 1933 alle Namen mit jüdischen Wurzeln getilgt wurden.

Für Staudinger ist Museumsarb­eit immer auch eine politische Arbeit, wobei sie das nicht in einem parteipoli­tischen Sinn verstanden wissen möchte, sondern in einem allgemein gesellscha­ftlichen. „Auf dem ,Nie-wieder‘ haben wir uns sehr lange ausgeruht“, sagt Staudinger. Und sie glaubt, dass das in der Gegenwart nicht mehr genüge. Sie frage sich immer wieder, warum die Gesellscha­ft sich mit dieser Gewissheit darauf ausruhe. Eines ihrer zenSchule. tralen politische­n Anliegen lautet: „Wie hat Ausschluss funktionie­rt, was kann man dagegen tun.“

Staudinger blickt da zum Beispiel auf den Antisemiti­smus der Gegenwart. Zweierlei Strömungen macht sie aus. Den alten Antisemiti­smus, der nie aufgehört hat, da zu sein, und eine neue, importiert­e Strömung aus der arabisch-muslimisch­en Welt. „Ein jüdisches Museum muss darauf reagieren, muss heutzutage politische­r sein – als zum Beispiel in einer Zeit, als nicht täglich von antisemiti­schen Übergriffe­n zu lesen ist.“Für Staudinger heißt das: „Das Museum muss raus aus der Komfortzon­e, muss auf die Straße.“Das Museum soll nicht nur im Haus, sondern auch im öffentlich­en Raum stattfinde­n – etwa mit Interventi­onen. Und vielleicht gelingt es ihr dann, dass das Jüdische Kulturmuse­um noch stärker in Augsburg wahrgenomm­en wird. Denn eines ist ihr in den ersten Wochen ihrer neuen Arbeit in Augsburg schon aufgefalle­n: Nicht jeder Passant in der Stadt weiß, dass es das Museum gibt und wo es liegt.

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Foto: Ulrich Wagner Die Wienerin Barbara Staudinger ist die neue Leiterin des Jüdischen Kulturmuse­ums in Augsburg.

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