Augsburger Allgemeine (Land West)
Lesefutter und etwas Fleisch der Ureinwohner
Literarisches Quartett Das Publikum probiert in Diedorf Pemmikan, eine Spezialität amerikanischer Ureinwohner
Diedorf Ein Japaner, der in den Ruhestand geht, die eigentlichen Entdecker der Welt, die Vereinigten Staaten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und die Geschichten toter Österreicher. Die Themen beim literarischen Quartett in Diedorf waren bunt gemischt.
Angelika Ruf stellte das Buch vor, dass am Stand der Organisatoren von der Buchecke Diedorf schon in der Pause vergriffen war. Sie bezeichnet „Herr Kato spielt Familie“als einen „kleinen Roman, durchzogen von einer tiefen Wahrhaftigkeit und sanftem Humor“. Ruf findet es „beeindruckend“, wie sich die Autorin einem so großen und sensiblen Thema wie dem Alter zuwendet. Die Geschichte spielt in Japan, und Herr Kato ist gerade in den Ruhestand gegangen. Um seinem neuartigen Alltag zu entfliehen und wieder eine Aufgabe zu haben, beginnt er, für die Agentur „Happy Family“zu arbeiten, die Laiendarsteller als Familienersatz vermittelt.
Martin Schnell ist ganz anderer Meinung: In seinen Augen war die Geschichte „prätentiös und humorlos“. Das Buch habe ihn nicht berührt. Anders geht es da dem emeritierten Anglistik-Professor Dieter Götz, für den die Geschichte „persönlich nachvollziehbar“ist. Er sagte, er habe noch nie so gute innere Monologe gelesen. Auch der Humor hatte es ihm angetan. Er zitierte eine Stelle, in der das Buch das „retired husband syndrome“als „psychosomatische Erkrankung der Frau, weil ihr Mann in Rente gegangen ist“, erklärt. Auf Deutsch könne man vom „Meiner-Syndrom“sprechen. „So wie in ‚Meiner geht nie ins Kino‘ “, sagte Götz.
Er selbst stellte ein Sachbuch vor. „Im Schatten der Entdecker“beschreibt die Hintergründe der großen europäischen Expeditionen zwischen 1780 und 1920. Cook, Livingston oder Hedin, sie alle waren nicht alleine unterwegs, sondern hatten einheimische Führer. Der Fokus liegt auf deren Schicksal. Das Thema des Buches war für Schnell „eine kleine Überraschung“, gefesselt hat es ihn aber nicht. Statt der repetitiven Aufzählung im Sachbuch hätte er sich einen historischen Roman gewünscht: „Jedes beliebige Einzelschicksal, auf 250 Seiten ausschmücken“, egal ob alles stimmt, wäre ihm lieber gewesen. Götz betonte, dass die repetitive Darstellung vor allem das Ziel verfolge zu überzeugen. Der Autor wolle das „Narrativ“der großen europäischen Entdecker aufbrechen. „Um das zu schaffen, muss man den Leser mit Fakten zuschütten. Es ist wie beim Populismus, sie schaffen es nur, eine Meinung zu ändern, wenn sie ein Faktum nach dem anderen anbringen“, erklärte er. Die Tatsache, dass Martin Schnell nicht viel mit dem Buch anfangen konnte, hat auch ihr Gutes – wenigstens für das Publikum. „Weil das Buch nicht so nahrhaft war, habe ich mich auf Pemmikan gestürzt“, sagte er. Pemmikan ist eine Spezialität der nordamerikanischen Ureinwohner. Sie vermengten es mit Fett und Cranberries und machten sie so Fleisch für die Expeditionen haltbar. Schnell hatte eine Kostprobe mitgebracht, und die Zuschauer durften probieren.
Zum ersten Mal einig waren sich die Kritiker bei „Mudbound – Tränen vom Mississippi“von Hillary Jordan. „Ich bin dankbar über die Gelegenheit zu zeigen, dass mir auch Bücher gefallen“, sagte Martin Schnell. Das Quartett hob die Darstellung des tief verwurzelten Rassismus in Nordamerika hervor, der bis heute andauert. In dem Buch wird die Geschichte zweier Familien in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Eben diese Vielfalt der Sichtweisen machte den Roman für die Experten lesenswert.
Ähnlich einig sind sich die Autoren beim letzten Roman. Germanistikprofessorin Andrea Bartl will „Das Feld“von Robert Seethaler unbedingt verteidigen. Hier kommen Tote zu Wort, die jeweils eine einzige Szene aus ihrem Leben erzählen. „Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und sage, dass ‚Das Feld‘ das beste Buch des Autors ist“, sagt Bartl. Auch Ruf und Schnell waren vom neuen Seethaler mehr oder weniger überzeugt. Nur bei „Das Feld“kam Dieter Götz’ Belletristik-Krise wieder hervor: „Hier berichten Tote, weil man so viel Leid und Unglück gar nicht anders hätte konstruieren können“, sagt er und ergänzt: „Als Franke muss ich sagen: A bissl langweilig ist’s scho.“
Familiengeschichten aus unterschiedlicher Perspektive erzählt