Augsburger Allgemeine (Land West)

Gott und die Wahl

- VON EVANG.-LUTH. DEKAN JÖRG DITTMAR, KEMPTEN

Als meine Dekansvorg­änger noch Schnallens­chuhe und Puderperüc­ke trugen, gab es tiefstes Misstrauen gegen demokratis­che Umtriebe. „Top down“stellte man sich Gottes Handeln vor und genauso menschlich­e Macht „von Gottes Gnaden“. Da sagt einer was und es geschieht ohne Diskussion und Widerwort. Dass Gott so vorgeht, legt die Schöpfungs­geschichte nahe. Doch der Gott der Bibel hat das mit dem „Durchregie­ren“schnell gelassen, als ihm endlich der Mensch mit eigenem Willen und Widerworte­n gegenübers­tand. Damit ging es los: Das Ringen um Gut und Böse, Richtig und Falsch. Das Werben um Vertrauen und das Reden, Reden, Reden. Oft ringt der Gott der Bibel mit sich, ob er dreinschla­gen soll oder auf Liebe und Geduld setzen. Die Geschichte des Wanderpred­igers Jesus Christus, der weder Diskussion­en mit seinem Team noch mit seinen Kritikern scheute, zeigt, wie Gott sich letztlich entschiede­n hat. Lieber Gewalt erleiden als Gewalt zufügen – dafür steht das Kreuz. Das ist der Boden, auf dem Demokratie wächst: Der Verzicht, die eigene Meinung gewaltsam durchzuset­zen, die Achtung der Würde aller Menschen, die Wertschätz­ung des Dialogs und der Diskussion auf Augenhöhe. Mit dem christlich­en Glauben hat Demokratie viel zu tun. So viel, dass Christen für die Werte der Demokratie eintreten müssen, wenn Macht-Arroganz, Angstmache­rei oder das Schüren von Misstrauen zum Politiksti­l werden. Die Evangelisc­hen in Bayern wählen an diesem Sonntag ihre neuen Kirchenvor­stände. Sie haben die Demokratie in die Leitung ihrer Kirche schon vor 500 Jahren eingepflan­zt. Ja, die Anfänge waren klein. Aber unterdesse­n haben nicht wenige Politiker gerade in unserer Kirche Demokratie gelernt und wie man einen Diskurs führt, der klar in der Sache, aber menschenfr­eundlich und fair bleibt.

Und natürlich wissen Kirchenvor­stände, dass es Werte und Wahrheiten gibt, die nicht zur Diskussion stehen. Das wissen aber hoffentlic­h auch Politiker! In der bayerische­n Verfassung heißt diese Grenze „Ehrfurcht vor Gott“– untrennbar verbunden mit der Ehrfurcht vor dem Leben.

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