Augsburger Allgemeine (Land West)

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (17)

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HFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg err Krempe sprach in wesentlich anderer Weise, und in meiner empfindlic­hen, seelischen Verfassung taten mir seine rauhen, ungelenken Lobsprüche noch weher als die feinen, anerkennen­den Worte Waldmanns. »Hol der Teufel den Jungen!« schrie er. »Ich versichere Ihnen, Herr Clerval, er hat uns alle ausgestoch­en. Ja, ja, schauen Sie nur; deswegen ist es doch wahr. Ein junger Dachs, der noch ein paar Jahre vorher an Cornelius Agrippa glaubte, wie an das Evangelium, ist nun uns allen an der ganzen Universitä­t voran.

Nun, nun,« fuhr er fort, als er den leidenden Ausdruck in meinem Gesichte bemerkt hatte, »ich weiß, Herr Frankenste­in ist bescheiden, wie es sich für junge Leute besonders gut ziemt. Junge Leute dürfen sich noch nicht allzuviel zutrauen, wissen Sie, Herr Clerval. Auch ich war bescheiden, wie ich noch jung war; aber das wird ja dann später alles anders.«

Herr Krempe war damit auf ein

Thema übergegang­en, das mir nicht so unangenehm war, nämlich auf einen Lobhymnus seiner selbst.

Clerval hatte meine Neigung zu den Naturwisse­nschaften nie geteilt und auch seine Lektüre hatte sich immer wesentlich von der meinen unterschie­den. Er hatte die Universitä­t bezogen mit der festen Absicht, orientalis­che Philologie zu studieren und sich damit einen Lebensberu­f zu schaffen. Das Persische, Arabische und Sanskrit waren seine Lieblingss­prachen, und es war ihm ein Leichtes, mich zu veranlasse­n, daß auch ich diese Fächer belegte. Müßiggang war mir von jeher ein Greuel gewesen, und gerade jetzt, wo ich meine früheren Studien wieder zu hassen begann und alles zu vergessen wünschte, war es mir lieb, in meinem Freunde einen Arbeitsgen­ossen zu haben und in den geistigen Schätzen des Orients nicht nur Belehrung, sondern auch Ablenkung zu finden.

Es war mir nicht, wie ihm, darum zu tun, mir genaue, detaillier­te Kenntnisse zu erwerben, sondern ich wollte mich nur der Zerstreuun­g halber damit beschäftig­en. Ich las nur um des Inhalts willen und meine Mühe machte sich reichlich belohnt; ihr Ernst ist sanft und ihre Freude erhebend, wie ich es in keiner anderen Literatur kennen lernte. Wo man diese orientalis­chen Schriften liest, meint man, das Leben fließe nur im linden Sonnenlich­te und in berauschen­dem Rosenduft dahin. Wie verschiede­n sind dagegen die herben, heroischen Dichtungen der Griechen und Römer!

Der Sommer floß dahin und meine Rückkehr nach Genf wurde auf Ende Herbst festgesetz­t. Durch verschiede­ne Zufälligke­iten kam es aber nicht dazu, und unterdesse­n brach der Winter herein, der mit Schnee und Eis die Straßen unbenutzba­r machte, so daß ich meine Abreise auf den folgenden Frühling verschiebe­n mußte. Dieser neue Aufschub fiel mir sehr schwer, denn ich sehnte mich danach, meine Heimat und meine Lieben zu sehen. Ich hatte meine Abreise auch deswegen verzögert, weil ich Henry nicht ganz allein in der fremden Stadt lassen, sondern ihn erst noch mit einigen Einwohnern derselben bekannt machen wollte.

Wir verbrachte­n den Winter ganz vergnügt, und der Frühling, der ungewöhnli­ch spät einsetzte, entschädig­te uns mit allen Mitteln für sein Säumen.

Schon war es Mai geworden und ich erwartete Tag für Tag den Brief aus der Heimat, der meine endgültige Abreise festlegen sollte. Henry schlug mir vor, mit ihm eine Fußtour in die Umgebung von Ingolstadt zu machen, damit ich mich von dem Landstrich­e, in dem ich einige Zeit gelebt, verabschie­den könne. Ohne Zögern stimmte ich zu, denn ich war ein großer Freund körperlich­er Übungen, außerdem war ja Clerval mein Genosse auf meinen Streiferei­en in der prächtigen Bergwelt meiner Heimat gewesen.

Vierzehn Tage blieben wir fort. An Geist und Körper hatte ich mich schon erholt und sog neue Kraft aus der reinen, heilsamen Luft, dem abwechselu­ngsreichen Anblick der Natur und den Gesprächen meines Freundes. Das Studium hatte mich vordem vollkommen von meinen Mitgeschöp­fen getrennt und mich einsam gemacht. Aber Clerval gelang es, wieder die besseren Gefühle meines Herzens die Oberhand gewinnen zu lassen; ich hatte wieder Freude an der Natur und an den unschuldig­en Kindergesi­chtern. Ein edler Freund! Wie aufrichtig er mich liebte und sich bemühte, mich auf seine Höhe zu erheben! Selbstsuch­t hatte mich kleinlich und engherzig gemacht, aber sein Edelmut und seine Liebe öffneten mir das Herz. Ich wurde wieder dasselbe glückliche Geschöpf, das ich vorher gewesen, sorglos und froh. Da ich glücklich war, hatte auch die Natur die Macht, freudige Gefühle in mir zu erwecken. Heiterer Himmel und grünende Wiesen erfüllten mich mit Entzücken.

Es war eine herrliche Zeit; die Frühlingsb­lüten zierten noch Baum und Strauch und die Blumen des Sommers brachen schon überall hervor. Die Gedanken, die mich im vergangene­n Jahre so schwer bedrückt hatten, trotzdem ich mir alle Mühe gab, sie von mir zu werfen, waren von mir gewichen.

Henry war glücklich, als er mich so froh sah. Er war unerschöpf­lich an gedankenre­icher Konversati­on, und oftmals erfand er nach Art der persischen und arabischen Märchendic­hter Geschichte­n von wunderbare­r Schönheit und Glut. Zuweilen wiederholt­e er mir meine Lieblingsd­ichter oder begann mit mir Diskussion­en, die er mit großer Beharrlich­keit durchfocht.

Sonntag Nachmittag kehrten wir in unsere Universitä­tsstadt zurück. Die Bauern tanzten und alle Welt schien glücklich und sorglos. Ich selbst war in köstlicher Laune, und voll unbändiger Heiterkeit und Fröhlichke­it wäre ich selbst am liebsten gesprungen.

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