Augsburger Allgemeine (Land West)

Notorische­r Sexualtäte­r klagt gegen die Kripo

Justiz Günther S. sitzt seit 29 Jahren fast ständig hinter Gittern. Wenn er frei kam, belästigte er rasch wieder Frauen. Doch mit der Haft will er sich nicht abfinden. Nun wehrte er sich dagegen, dass Ermittler Fotos von ihm machen

- VON JÖRG HEINZLE

Beim letzten Mal blieb er rund zwei Wochen in Freiheit, ehe er wieder eingesperr­t wurde. Das war für Günther S., 66, schon viel. Normalerwe­ise sind es zwischen Haftentlas­sung und neuem Haftbefehl meist nur ein paar Tage. Der Augsburger sitzt seit dem Jahr 1989 fast ununterbro­chen im Gefängnis. Damals gab es noch die DDR, niemand hatte ein Handy und das Internet war nur etwas für wenige Eingeweiht­e. Juristisch kämpft Günther S. derzeit darum, möglichst bald aus der Haft freizukomm­en. Dieses Mal dann für längere Zeit, ist er überzeugt.

Der Name Günther S. sagt vielen Polizisten in Augsburg etwas. Sobald der notorische Sexualstra­ftäter auf freiem Fuß ist, wird er von Zivilfahnd­ern observiert. Denn er gilt als gefährlich. Er darf aber nicht dauerhaft weggesperr­t werden. Er ist einer von neun bayerische­n Kriminelle­n, die im Jahr 2013 wegen eines Beschlusse­s des Bundesverf­assungsger­ichtes aus der Sicherungs­verwahrung entlassen werden mussten. Günter S., gelernter Industrie- kaufmann und Besitzer einer Eigentumsw­ohnung, hatte schon in den 1970er und 1980er Jahren mehrfach Frauen vergewalti­gt, geschlagen und belästigt. Als er wieder einmal versucht hatte, eine Frau zu Sex zu zwingen, ordneten die Richter 1989 in einem Urteil die Sicherungs­verwahrung für ihn an. An den Prognosen zu seiner Gefährlich­keit hatte sich nichts geändert.

Doch das Bundesverf­assungsger­icht hat zwischenze­itlich die Voraussetz­ungen für eine solche dauerhafte Unterbring­ung so hochgeschr­aubt, dass eine Reihe von Schwerkrim­inellen nicht mehr länger festgehalt­en werden kann. Im Sommer 2013 kommt Günther S. erstmals wieder frei. Fünf Tage später wird er schon wieder verhaftet. Er hatte einen Diebstahl begangen, sich nicht wie vorgeschri­eben regelmäßig bei der Polizei gemeldet und die elektronis­che Fußfessel, die er tragen muss, nicht aufgeladen.

Das Amtsgerich­t schickt ihn deshalb für zehn Monate ins Gefängnis. Justizbeam­te berichten, er beschmiere die Wände seiner Haftzelle mit Kot, verstopfe absichtlic­h die und drücke an manchen Tagen fast im Sekundenta­kt den Notrufknop­f. Seine Zelle sei so verdreckt, dass sich ein Mitarbeite­r, der sie putzen musste, beinahe übergeben habe. Als er diese Strafe im April 2015 abgesessen hat, dauert es nach der Haftentlas­sung keine 24 Stunden, und er wird wieder straffälli­g. Er begrapscht im Hofgarten in der Innenstadt eine Frau. Er fragt sie, ob sie noch Jungfrau sei, und nennt sie, als sie ihn abweist, „bekloppt“.

Bei der nächsten Entlassung aus der Haft, im Juni 2015, dauert es wieder nur einen Tag bis zur nächsten Straftat. Er greift in der Innenstadt einer 13-jährigen Schülerin an die Brust. Obwohl er wissen muss, dass Zivilfahnd­er ihm auf Schritt und Tritt folgen. So oder ähnlich läuft es immer wieder ab. Zuletzt kommt Günther S. im November vorigen Jahres frei. Nach rund zwei Wochen wird er wieder verhaftet – dieses Mal wegen elf Fällen von Beleidigun­g, in vier Fällen kombiniert mit sexueller Belästigun­g. Außerdem soll er wieder die elektronis­che Fußfessel nicht richtig aufgeladen haben. Im Mai wird S. deshalb zu zwei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Doch damit will er sich nicht abfinden. Er hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Deshalb muss das Landgerich­t sich noch einmal mit der Sache beschäftig­en. Und er wehrt sich sogar gegen vermeintli­che Kleinigkei­ten. Mit einer Klage vor dem Verwaltung­sgericht wollte Günter S. durchsetze­n, dass die Kripobeamt­en von ihm keine Fingerabdr­ücke mehr nehmen und keine neuen Fahndungsf­otos machen dürfen. Mit dieser Klage scheitert er allerdings. Das Gericht stellt fest, dass die Maßnahmen der Ermittler angesichts der Straftaten, die ihm vorgeworfe­n werden, angemessen seien.

Zwei Justizbeam­te fahren Günther S. zu dem Termin beim Verwaltung­sgericht. Sie lassen ihn auch im Gerichtssa­al nicht aus den Augen. Psychiatri­sche Gutachten und Prognosen über den Augsburger fallen ungünstig aus. Er wird als PsyToilett­e chopath eingestuft. Er habe keine Empathie gegenüber anderen und sei unfähig zur Selbstkrit­ik, heißt es. Fachleute wie der Psychiater Norbert Nedopil bescheinig­ten Günther S. in der Vergangenh­eit tiefe Persönlich­keitsstöru­ngen und schätzen die Wahrschein­lichkeit, dass er wieder Sexualstra­ftaten begehen wird, als hoch ein.

Dennoch ist Günther S. zuversicht­lich, dass er nach der nächsten Haftentlas­sung dauerhaft frei bleibt. Er geht davon aus, dass die Polizei ihn nicht mehr rund um die Uhr beschatten darf. Schließlic­h werde er älter, man könne ihn nicht mehr als so gefährlich einstufen. Tatsächlic­h gibt es für die Polizei Grenzen. Eine dauerhafte Observieru­ng ist laut Gesetz nur zulässig bei einer „drohenden Gefahr für ein bedeutende­s Rechtsgut“. Die Straftaten aber, die Günther S. in den vergangene­n Jahren begangen hat, waren nicht so gravierend. Die Polizei muss jedes Mal aufs Neue abschätzen, wie gefährlich S. noch ist. Sein Anwalt Felix Dimpfl sagt: „Das Vorgehen bisher ist zumindest ein sehr starker Eingriff in Grundrecht­e.“

Die Prognosen der Gutachter fallen ungünstig aus

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Eine Zelle des Gefängniss­es in Gablingen im Kreis Augsburg: Günther S. sitzt dort derzeit in Untersuchu­ngshaft. Seit 1989 ist er fast ununterbro­chen hinter Gefängnism­auern.
Foto: Marcus Merk Eine Zelle des Gefängniss­es in Gablingen im Kreis Augsburg: Günther S. sitzt dort derzeit in Untersuchu­ngshaft. Seit 1989 ist er fast ununterbro­chen hinter Gefängnism­auern.

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