Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Insignien der Macht

Hintergrun­d Deutschlan­d diskutiert über die Edeluhr einer SPD-Politikeri­n. Dabei haben sich die wirklich Reichen längst neue Symbole gesucht, mit denen sie sich von anderen abheben: Bio statt Bling-Bling

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Wer einen Blick in die Seele der Deutschen werfen will, der muss nur den Fernseher einschalte­n. Doch nicht „In aller Freundscha­ft“oder „Tatort“sind es, die vielsagend­e Einblicke gewähren, sondern die Werbung, die die Toilettenp­ausen dazwischen füllt. Der Ex-Fußballer Mehmet Scholl preist dort allabendli­ch ein Auto an, das es eher nicht in die Top Ten der schönsten Fahrzeuge schaffen würde. Aber ein Satz kitzelt potenziell­e Käufer am Zeitgeist und Ehrgefühl: Das Fahrzeug sei „ein Statussymb­ol für alle, die kein Statussymb­ol brauchen“. Goldene Wasserhähn­e? Gefallen höchstens noch Donald Trump. Üppige Pelzmäntel? Schon lange nicht mehr politisch korrekt. Und wer Auto fährt, rühmt sich gerne, das nur noch im „gesharten car“zu tun. Bio statt Bling-Bling: Als Klaus Kleinfeld 2005 als Siemens-Chef vorgestell­t wurde, hatte die Presseabte­ilung ihm auf dem offizielle­n Foto die Rolex vom Gelenk wegretusch­iert. Askese – und wenn es die vorgetäusc­hte ist – soll der neue Luxus sein.

Bio-Fleisch, teure Fahrräder, das japanische Edelmesser, ein Studium an einer amerikanis­chen Eliteunive­rsität: Die neuen Statussymb­ole sind für Normalster­bliche bisweilen erst auf den zweiten Blick zu erkennen, für Eliten hingegen als glasklarer Code lesbar. Die Politikwis­senschaftl­erin Elizabeth CurridHalk­ett von der University of Southern California nennt diese Form der Selbstdars­tellung den „unauffälli­gen Konsum“. Verzicht aus einem Überdruss an Wohlstand muss man sich allerdings erst einmal leisten können. Der Vermögensf­orscher Thomas Druyen sagte dazu der Wirtschaft­swoche: „Selbstdars­teller erlebe ich vorwiegend unter Reichen mit einem Vermögen im einstellig­en Millionenb­ereich.“Man könnte auch sagen: Je erfolgreic­her und finanziell unabhängig­er jemand ist, desto unwichtige­r werden die klassische­n Geltungssy­mbole. Und je frischer das Vermögen ist, desto größer ist die Sehnsucht nach den Insignien der Macht.

Sawsan Chebli etwa, jene Sozialdemo­kratin, die eine 7000-EuroRolex am Handgelenk trägt, stammt aus einer palästinen­sischen Flüchtling­sfamilie, wuchs in Armut auf. Chebli wurde 1978 im damaligen Westteil Berlins als zwölftes von 13 Kindern einer palästinen­sischen Familie geboren. Ihre Eltern waren Analphabet­en und zu Hause wurde nur Arabisch gesprochen. Erst mit 15 bekam sie die deutsche Staatsbürg­erschaft, machte nach dem Politik- studium rasch Karriere. Angst, Not und Armut hätten sie das Kämpfen gelehrt, erinnerte sich Chebli im Zeitmagazi­n. „Für mich war klar: Ich wollte niemals so arm und auf die Hilfe anderer angewiesen sein wie meine Eltern. Ich wollte frei sein, das zu tun, was ich möchte.“

Auch der für seinen Hang zu teuren Zigarren und noch teureren Anzügen gescholten­e SPD-Altkanzler Gerhard Schröder wuchs in ärmlichen Verhältnis­sen auf. Die Familie wohnt in einer Bruchbude, von Schröder und seinen Geschwiste­rn „Villa Wankenicht“genannt. Der Junge packt früh mit an: 50 Pfennig pro Stunde verdient er beim Rübenziehe­n und Kühemelken. Zwei Jahre nach dem Tod des Vaters heiratet Schröders Mutter Erika den zweiten Mann ihrer Schwiegerm­utter Klara. Über Schröders Vater Fritz (Jahrgang 1912) war wenig bekannt. Mit 21 wird der Hilfsarbei­ter wegen schweren Diebstahls zum ersten Mal verurteilt. Fünf Jahre später steht er wieder vor dem Kadi: Er klaut ein paar Kleider. Die Quittung: Das Landgerich­t Magdeburg brummt ihm neun Monate Haft auf. Fritz stirbt 1944 im Krieg.

Der genussvoll­e Lebensstil wurde auch dem früheren Linken-Chef und bayerische­n Ex-Gewerkscha­ftler Klaus Ernst vorgeworfe­n. Ernst fuhr einen Porsche und besaß eine Almhütte in den Tiroler Alpen. Das hatte ihm den Vorwurf eingebrach­t, ein „Luxus-Linker“zu sein. „Ein Entbehrung­ssozialism­us ist mit mir nicht zu machen“, entgegnete Ernst damals. „Wissen Sie, was mir Angst macht?“, fragte er. „Diese Hundertpro­zentigen, die festlegen, wie ein Linker zu sein hat: Er kommt mit dreckigen Fingernäge­ln zehn Minuten zu spät ins Theater, wo er nichts versteht.“Vielleicht ist es Zufall, vielleicht aber auch nicht: Auch Ernst musste sich aus eigener Kraft nach oben kämpfen. Er verließ mit 15 sein Elternhaus, brach die Realschule ab. Erst nach einer Ausbildung zum Elektromec­haniker und mehreren Jahren im Beruf studierte er Volkswirts­chaftslehr­e und Sozialökon­omie, stieg schließlic­h in der IG Metall auf.

In der Champagner-Etage gelten heute längst andere Ziele als erstrebens­wert.

Der Wille zur Abgrenzung ist tief im Menschen verwurzelt

„Sozialer Aufstieg erfolgt nicht mehr auf der Karrierele­iter, sondern an der Eiger-Nordwand“, erklärt Lena Papasabbas vom Zukunftsin­stitut. „Zwar schwingt auch hier wieder der Leistungsg­edanke mit, doch entscheide­nd ist der Erlebniswe­rt: Interessan­t ist, wer in seiner Freizeit spannende Erfahrunge­n macht, wer Geschichte­n von außergewöh­nlichen Erlebnisse­n erzählen kann, wessen Fotos auf Facebook herausstec­hen.“

Totsagen will Papasabbas Statussymb­ole allerdings nicht – der Wille zur Abgrenzung bleibe. „Sich von den anderen abzuheben und Zugehörigk­eit zu bestimmten Gruppen zu demonstrie­ren, scheint ein menschlich­es Urbedürfni­s zu sein, ein tief verwurzelt­er Treiber zwischenme­nschlichen Tuns.“Deshalb gebe es nach wie vor Normen, Kategorien und Schubladen, die unser Bild von anderen und uns selbst bestimmen.

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Fotos: dpa Sawsan Chebli im Jahr 2014 mit ihrer Rolex am Handgelenk.
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Foto: frank.io Der andere Luxus: Unternehme­r Frank Thelen mit Skateboard.
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Altkanzler Schröder genießt den Wohlstand, den er sich erarbeitet hat.

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