Augsburger Allgemeine (Land West)
So nutzt die AfD die Bühne Bundestag
Sie provoziert, sie polarisiert – und sie gefällt sich in der Opferrolle. Wie aber umgehen mit den Rechtspopulisten? Hilft Ignorieren statt Attackieren?
Nichts ist mehr so, wie es war. Der Bundestag, der sich nach der Bundestagswahl vor genau einem Jahr konstituiert hat, ist nicht mehr wiederzuerkennen. Nicht nur, weil er mit 730 Abgeordneten so groß ist wie nie zuvor. Sondern vor allem, weil sich mit dem Einzug der rechtskonservativen AfD Ton, Stil und Umgangsformen gravierend verändert haben.
Herrschte in der vergangenen Legislaturperiode angesichts einer 80-Prozent-Mehrheit der Großen Koalition und einer Mini-Opposition aus Grünen und Linken eine gepflegte Langeweile mit absehbaren Debatten, steht die deutlich geschrumpfte Neuauflage der GroKo unter erheblichem Druck von gleich vier Oppositionsparteien, die das gesamte Spektrum von Rechtsaußen bis Linksaußen und somit den Pluralismus der Meinungen abdecken. Debatten sind damit wieder spannend, weil sie unvorhersehbar und unberechenbar geworden sind. Gleichzeitig hat der Einzug der AfD aber auch zu einem unerwarteten Näherrücken von Regierung und dem Rest der Opposition geführt.
Da die Rechtspopulisten aus ihrer Verachtung der etablierten Parteien keinen Hehl machen und diese mit abfälligem Duktus stets nur Altparteien oder Systemparteien nennen, sehen sich Union und SPD, Grüne, Liberale und Linke trotz aller Unterschiede als Verteidiger des demokratischen Systems, des Parlamentarismus und des Pluralismus. Die Ablehnung der AfD schmiedet sie zusammen.
Auch ein Jahr nach ihrem Einzug in den Bundestag ist offensichtlich: Die AfD ist im Parlament ein Fremdkörper und sie tut alles, um ein Fremdkörper zu bleiben. Sie will keine Partei, sondern eine Volksbewegung sein, die anders als alle anderen Parteien als einzige den vermeintlich echten Willen des Volkes artikuliert und das gegenwärtige politische System der Republik ablehnt. Gleichzeitig aber nutzt sie dieses System für ihre Zwecke aus, ihre Abgeordneten nehmen alle Privilegien wie selbstverständlich in Anspruch, obwohl sie genau das den Altparteien ständig zum Vorwurf machen. Schlimmer noch, im Umgang mit dem Geld der Steuerzahler haben sich die selbst ernannten Saubermänner überaus großzügig gezeigt. So wirft ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer der Fraktion unter anderem Vetternwirtschaft und Günstlingswirtschaft vor.
Im Parlament selbst ist ein Doppelspiel zu beobachten: Einerseits arbeitet die Partei permanent mit gezielten Provokationen, andererseits gefällt sie sich in der Opferrolle, wenn sie mit ihren nicht ernst zu nehmenden Vorstößen auf die geballte Ablehnung der anderen Fraktionen stößt. Vor allem aber hat sie nur ein Thema, das in allen Reden gebetsmühlenartig wiederholt wird: die Flüchtlinge. Debatten prägen sie mit lauten Zwischenrufen sowie einem ständigen höhnischen Gelächter bei den Reden der anderen, gepaart mit einem aggressiven Auftreten, was wiederum laute Zwischenrufe und Interventionen aller anderen hervorruft.
Die etablierten Parteien tun sich mit dem Auftreten der AfD schwer, lassen sich auch gerne provozieren – zur Freude der Rechtspopulisten, die dies in ihren sozialen Netzwerken sofort verbreiten. Ein bisschen mehr Gelassenheit würde daher manchmal nicht schaden, zumal das Ignorieren und Nichtbeachten ja auch die schärfere Form der Kritik sein kann. Allerdings gibt es Grenzen der Toleranz: Eine Partei, die das gesamte System beseitigen will, die demokratischen Institutionen verhöhnt und im Reichstagsgebäude offen ihr völkisch-nationalistisches und ausländerfeindliches Gedankengut verbreitet, muss auch und gerade an dieser Stelle mit allen Mitteln bekämpft werden. Etwas Ähnliches hat es an diesem Ort schon einmal gegeben. Die Folgen sind bekannt.
Auch die Toleranz hat eine Grenze