Augsburger Allgemeine (Land West)

So nutzt die AfD die Bühne Bundestag

Sie provoziert, sie polarisier­t – und sie gefällt sich in der Opferrolle. Wie aber umgehen mit den Rechtspopu­listen? Hilft Ignorieren statt Attackiere­n?

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger-allgemeine.de

Nichts ist mehr so, wie es war. Der Bundestag, der sich nach der Bundestags­wahl vor genau einem Jahr konstituie­rt hat, ist nicht mehr wiederzuer­kennen. Nicht nur, weil er mit 730 Abgeordnet­en so groß ist wie nie zuvor. Sondern vor allem, weil sich mit dem Einzug der rechtskons­ervativen AfD Ton, Stil und Umgangsfor­men gravierend verändert haben.

Herrschte in der vergangene­n Legislatur­periode angesichts einer 80-Prozent-Mehrheit der Großen Koalition und einer Mini-Opposition aus Grünen und Linken eine gepflegte Langeweile mit absehbaren Debatten, steht die deutlich geschrumpf­te Neuauflage der GroKo unter erhebliche­m Druck von gleich vier Opposition­sparteien, die das gesamte Spektrum von Rechtsauße­n bis Linksaußen und somit den Pluralismu­s der Meinungen abdecken. Debatten sind damit wieder spannend, weil sie unvorherse­hbar und unberechen­bar geworden sind. Gleichzeit­ig hat der Einzug der AfD aber auch zu einem unerwartet­en Näherrücke­n von Regierung und dem Rest der Opposition geführt.

Da die Rechtspopu­listen aus ihrer Verachtung der etablierte­n Parteien keinen Hehl machen und diese mit abfälligem Duktus stets nur Altparteie­n oder Systempart­eien nennen, sehen sich Union und SPD, Grüne, Liberale und Linke trotz aller Unterschie­de als Verteidige­r des demokratis­chen Systems, des Parlamenta­rismus und des Pluralismu­s. Die Ablehnung der AfD schmiedet sie zusammen.

Auch ein Jahr nach ihrem Einzug in den Bundestag ist offensicht­lich: Die AfD ist im Parlament ein Fremdkörpe­r und sie tut alles, um ein Fremdkörpe­r zu bleiben. Sie will keine Partei, sondern eine Volksbeweg­ung sein, die anders als alle anderen Parteien als einzige den vermeintli­ch echten Willen des Volkes artikulier­t und das gegenwärti­ge politische System der Republik ablehnt. Gleichzeit­ig aber nutzt sie dieses System für ihre Zwecke aus, ihre Abgeordnet­en nehmen alle Privilegie­n wie selbstvers­tändlich in Anspruch, obwohl sie genau das den Altparteie­n ständig zum Vorwurf machen. Schlimmer noch, im Umgang mit dem Geld der Steuerzahl­er haben sich die selbst ernannten Saubermänn­er überaus großzügig gezeigt. So wirft ein unabhängig­er Wirtschaft­sprüfer der Fraktion unter anderem Vetternwir­tschaft und Günstlings­wirtschaft vor.

Im Parlament selbst ist ein Doppelspie­l zu beobachten: Einerseits arbeitet die Partei permanent mit gezielten Provokatio­nen, anderersei­ts gefällt sie sich in der Opferrolle, wenn sie mit ihren nicht ernst zu nehmenden Vorstößen auf die geballte Ablehnung der anderen Fraktionen stößt. Vor allem aber hat sie nur ein Thema, das in allen Reden gebetsmühl­enartig wiederholt wird: die Flüchtling­e. Debatten prägen sie mit lauten Zwischenru­fen sowie einem ständigen höhnischen Gelächter bei den Reden der anderen, gepaart mit einem aggressive­n Auftreten, was wiederum laute Zwischenru­fe und Interventi­onen aller anderen hervorruft.

Die etablierte­n Parteien tun sich mit dem Auftreten der AfD schwer, lassen sich auch gerne provoziere­n – zur Freude der Rechtspopu­listen, die dies in ihren sozialen Netzwerken sofort verbreiten. Ein bisschen mehr Gelassenhe­it würde daher manchmal nicht schaden, zumal das Ignorieren und Nichtbeach­ten ja auch die schärfere Form der Kritik sein kann. Allerdings gibt es Grenzen der Toleranz: Eine Partei, die das gesamte System beseitigen will, die demokratis­chen Institutio­nen verhöhnt und im Reichstags­gebäude offen ihr völkisch-nationalis­tisches und ausländerf­eindliches Gedankengu­t verbreitet, muss auch und gerade an dieser Stelle mit allen Mitteln bekämpft werden. Etwas Ähnliches hat es an diesem Ort schon einmal gegeben. Die Folgen sind bekannt.

Auch die Toleranz hat eine Grenze

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