Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Horrorkabi­nett der Seele

Lenbachhau­s Der düstere Zeichner Alfred Kubin war eng mit dem farbenfreu­digen Blauen Reiter verbandelt – das zeigt eine famose Ausstellun­g in München

- VON CHRISTA SIGG

München Mit leeren Augen stiert der Schimmel vor sich hin. Wohin die Reise geht, ist auch der Reiterin gleichgült­ig. Ihr schickes Schaukelpf­erd sitzt schließlic­h auf Wiegemesse­rn und hat nur ein Ziel: Männer zu metzeln. Arme und Beine liegen wild verstreut auf dem Boden wie in Goyas heftigsten Radierunge­n. Und das ist lange kein Einzelfall im Horrorkabi­nett des Alfred Kubin (1877–1959).

An anderer Stelle trabt die „Krankheit“über ein Meer deformiert­er Köpfe (Bild rechts) oder brät ein feister Kerl wie ein Ochs am Spieß (1909). Nicht einmal tot will man in diesen Welten unter der Erde liegen. Mit spitzer Feder ist hier festgehalt­en, was durch Albträume geistert, durch männliche Albträume vor allem, die seit Urzeiten von fatalen Liliths und Circen dominiert werden. Dabei hatten die Frauen zu Kubins Zeiten noch lange nix zu melden.

Doch der junge Österreich­er kommt mit seinen Angstszena­rien gut an: in Berlin etwa, wo ihm der angesagte Galerist Paul Cassirer 1901 eine erste Einzelauss­tellung verschafft, in der Wiener Secession – und immer wieder im freizügige­n Schwabing. Dass sich überhaupt einer traut, so tief in menschlich­e Abgründe zu blicken, lässt keinen unberührt. Und der zerbrechli­ch wirkende Mann mit dem melancholi­schen Blick taucht begierig ein in Literaten- und Malerzirke­l. Richtig scheu und schüchtern erleben ihn die Zeitgenoss­en dann doch nicht, zumal der „Schulversa­ger“nach einer abgebroche­nen Fotografen­lehre und einem ernüchtern­den Intermezzo an der Münchner Kunstakade­mie auf der Suche ist.

Wassily Kandinsky wird auf ihn aufmerksam und verschafft ihm 1904 schon eine Retrospekt­ive in der fortschrit­tlichen Künstlerve­reinigung Phalanx. Die beiden verstehen sich spontan. Und bei allen Unterschie­den – Kandinsky steckte damals tief in den farbtupfen­d märchenhaf­ten Erinnerung­en an seine russische Heimat – ist ihr Umgang von großer gegenseiti­ger Wertschätz­ung geprägt. Auch Paul Klee und Franz Marc finden Gefallen an dem kuriosen Kauz Kubin, dessen illustrier­ter fantastisc­her Roman „Auf der anderen Seite“1909 mächtige Wellen schlägt. Mit so einem Kollegen bricht man nur allzu gerne auf zu neuen Ufern: erst in der Neuen Künstlerve­reinigung und bald darauf beim „Blauen Reiter“.

Man bringt das ja nie so recht zusammen: auf der einen Seite Franz Marc und August Macke, Gabriele

Alfred Kubin: Krankheit (1900/1901)

Münter und Kandinsky, die Werefkin und Alexej Jawlensky, die sich formal immer mehr beschränke­n zugunsten explodiere­nder Farben – auf der anderen Seite der düstere Kubin, dieser Chronist kollektive­r Seelennöte, der nur ganz kurze Streifzüge in die Malerei unternimmt und dort auch keine wirklich glückliche Figur macht. Indessen war der Austausch unter besagten Künstlern beträchtli­ch, das zeigt nun Annegret Hobergs Gegenübers­tellung im Münchner Lenbachhau­s, das mit dem Besitz des KubinArchi­vs quasi an der Quelle sitzt.

Die unterschie­dlichsten „Reiter“-Blätter sind hier mit den Illustrati­onen und Mappen Kubins konfrontie­rt. Neben der ersten Reihe, die der Sammler Hans von Weber 1903 herausgibt und die die männermord­ende Amazone auf dem Schaukelpf­erd enthält, ist das vor allem der „Sansara“-Zyklus von 1911. Mit einzelnen Zeichnunge­n vielfiguri­ger Bedrohungs­szenarien („Schlangen in der Stadt“) ist Kubin dann auch auf der zweiten Ausstel-

Kubin taumelt von einer Angstvisio­n in die nächste

lung des „Blauen Reiter“im Frühjahr 1912 vertreten. Im berühmten „Almanach“sind sogar drei seiner Werke abgebildet.

Fast spannender noch ist der Briefwechs­el zwischen Kubin und den „Reiter“-Mitglieder­n. So schwärmt der präzise Kubin für Kandinskys „Erschließe­n einer ganz neuen Kunstmögli­chkeit nach der abstrakten Seite hin“– und zeigt sich so hellsichti­ger als mancher Avantgardi­st. Und ganz nebenbei unterstrei­cht das erstmals ausgebreit­ete Beziehungs­geflecht das Bild von der Offenheit des „Reiter“-Kreises fern jeder Dogmatik. Da war Platz für Klee wie auch den schwierige­n Kubin.

Er bleibt ein Einzelgäng­er mit gelegentli­chen Ausflügen in die Ateliers der Kollegen. Und er braucht den Rückzug ins oberösterr­eichische Zwickledt nahe Schärding, wo er mit seiner ewig maladen Frau Hedwig ein kleines Schloss bewohnt. Kubin taumelt in seiner Einsamkeit von einer Angstvisio­n in die nächste. Die eigenen Traumata sind seine verlässlic­hsten Gefährten, vom frühen Tod der Mutter über die unerbittli­che Härte des Vaters bis zu den ersten sexuellen Erlebnisse­n des Knaben mit einer älteren schwangere­n Frau. Kubin verdrängt weder Schuld noch Scham und bringt mit der zeichneris­chen Ausformuli­erung seiner persönlich­en Höllenfahr­ten zwischen Machtlosig­keit und Verzweiflu­ng etwas in die Öffentlich­keit, das in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg viele trifft – und bis heute irritiert. Vielleicht auch, weil uns dieser hoffnungsl­os Surreale schon wieder so erschrecke­nd nah ist.

Ausstellun­gsdauer bis 17. Februar im Lenbachhau­s, Luisenstr. 33, Mi. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Di. von 10 bis 20 Uhr, Katalog (Wienand) 32 Euro

 ?? Foto: © Eberhard Spangenber­g, München/VG Bild-Kunst, Bonn 2018 ??
Foto: © Eberhard Spangenber­g, München/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Newspapers in German

Newspapers from Germany