Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Eisennagel für starke Männer und Pferde

Brauchtum Beim Leonhardir­itt in Gabelbache­rgreut ist ein Kultgegens­tand zu sehen, um den sich viele Geschichte­n ranken. Was es mit dem 115 Kilo schweren Stück auf sich hat

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Gabelbache­rgreut Der Name ist irgendwie auch Verpflicht­ung: Leonhard Stöckle war wohl der letzte starke Mann in Gabelbache­rgreut, der den Leonhardsn­agel um die Dorfkirche getragen hat. Statt eines schweren Weizensack­s wuchtete der Landwirt in jungen Jahren den Kultgegens­tand auf die Schulter – das fast einen Meter hohe Eisenstück wiegt 115 Kilo und ist eng mit dem Ritt verbunden, der an diesem Sonntag stattfinde­t.

Der Überliefer­ung nach wurde der Nagel aus gespendete­n Hufeisen und anderen Eisenvotiv­en geschmiede­t. „Wenn es tatsächlic­h so war, dann muss der Schmied etwas von seinem Handwerk verstanden haben“, sagt Kirchenpfl­eger Franz Stöckle. Sonst hätte das schwere Stück nicht so lange überdauert. Es hat offenbar etliche Jahre auf dem Buckel: Die älteste noch entzifferb­are Inschrift zeigt das Jahr 1612 und den Schriftzug Bobingen. Hatten ihn Wallfahrer aus dem Dorf damals in den heutigen Landkreis-Süden gebracht? Oder stammt er aus Bobingen und war ein Geschenk an die Greuter? Es ranken sich viele Geschichte­n um den Klotz.

Er soll zum Beispiel schon öfters ins Wirtshaus geschleift worden sein. Dort winkte für den größten Kraftprotz dann Freibier. Angeblich zertrümmer­te der Leonhardsn­agel beim Kräftemess­en auch schon einen Tisch: Das passierte, als die Schwerkraf­t die 115 Kilo anzog – nämlich ziemlich unsanft.

Der Kirche war der Leonhardsn­agel eine Zeit lang ein Dorn im Auge – wegen seiner obszönen Form. Fortan wurde das unförmige Eisen aus dem Gotteshaus verbannt. Heute hat es seinen Platz im sogenannte­n Vorzeichen der Kirche, dem Vorbau. Der Nagel steht sicher in einer Fassung, die in den 1970erJahr­en in Kaufering gefertigt wurde. Dorthin wurde er nämlich ausgeliehe­n.

In den kommenden Tagen stellen ihn starke Greuter vor der Kir- che auf. Der Nagel wird nicht wie sonst auf einen Wagen gehievt, um dann Teil des großen Ritts zu sein. Der Grund ist einfach: „Der Wagen steht heuer nicht zur Verfügung“, erklärt Kirchenpfl­eger Franz Stöckle. Er schätzt, dass zwei Männer genügend Kraft haben sollten, um den Kultgegens­tand zu bewegen. An ihm ziehen dann am Sonntag je nach Wetter etwa 100 Reiter mit ihren geschmückt­en Pferden und zehn Gespanne vorbei. Der Umritt führt dreimal um die Kirche, die Segnung findet südlich der Kirche statt. Vorangeht die Gabelbache­r Musikkapel­le. Viele Blicke wird auch der geschmückt­e Erntewagen auf sich ziehen. Nach der Segnung gibt es auf dem Kirchenpla­tz eine Verpflegun­g. Die Reiter bekommen bereits vorher einen kleinen Bügeltrunk und hernach eine Plakette für die Teilnahme. Die begehrte Anstecknad­el gab es übrigens 1989 noch nicht. Damals rief Familie Langenmair die Pferderitt-Tradition wieder ins Leben. Die war nämlich mit der Motorisier­ung der Landwirtsc­haft eingeschla­fen. Pferde, die vor dem Krieg noch unersetzli­ch waren, mussten auf einmal den Dieselröss­ern weichen. Als mit dem Reitsport Pferde wieder mehr und mehr Thema wurden, warben die Langenmair­s für den Leonhardir­itt. Zehn Reiter nahmen teil. Im Jahr darauf stieg die Feuerwehr mit Martin Reiter und danach die Kirchenver­waltung bei der Organisati­on ein.

Es gab auch Rückschläg­e: Im Laufe der Jahre musste der Umritt dreimal ausfallen. Einmal wurde die Kanalisati­on in Greut erneuert, ein anderes Mal gab es eine Pferdekran­kheit und im vergangene­n Jahr wurde er wegen starker Windböen abgesagt. „Die Pferde wären unruhig geworden und das Risiko wäre zu groß geworden, dass etwas passiert“, erinnert sich Kirchenpfl­eger Franz Stöckle. Die Aussichten für Sonntag sind gemäßigt: Es wird Wind mit Böen und etwas Regen erwartet.

Termin Wer den Leonhardir­itt erleben will: Am Sonntag, 28. Oktober, ist um 13.15 Uhr Andacht. Eine Dreivierte­lstunde danach beginnt der Ritt mit Segnung südlich der Kirche.

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Fotos: Marcus Merk Normalerwe­ise wird der 115 Kilogramm schwere Leonhardsn­agel auf einem Wagen gezogen. In diesem Jahr steht der Kultgegens­tand vor der Kirche.
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Um den überdimens­ionalen Eisennagel ranken sich viele Geschichte­n.

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