Augsburger Allgemeine (Land West)
Defekte Displays, Lampen mit Leben
Festival Auf die Besucher des diesjährigen Lab30 wartet auch wieder Medienkunst, die zum Mitmachen auffordert: mitten in einem Spinnennetz oder beim Papp-Roboter-Rennen
Ein Blitzlichtgewitter blendet die Gäste des Medienkunstfestivals Lab30. Man darf sich im Kulturhaus Abraxas ein bisschen wie ein Star bei der Eröffnung eines Filmfestivals fühlen. Und ist doch gleich wieder zurück auf dem Augsburger Boden der Tatsachen ohne roten Teppich. Denn das Blitzlicht bleibt Selbstzweck. Ein Foto resultiert daraus nicht. Dafür bekommt das Publikum viele Gelegenheiten, sich selbst ein Bild zu machen von Medienkunst-Experimenten. Die Bilderund Klangwelten des Lab30 halten noch bis zum morgigen Sonntag einige Überraschungen bereit.
„Kommt doch herein“, ruft ein von außen Unsichtbarer aus dem Inneren einer rundlich wabernden Silberfolien-Skulptur (Inflatables). Ein Reißverschluss geht auf und es öffnet sich eine andere Welt. Man sitzt im Kreis am Boden und staunt zusammen mit den anderen. Nur eine dünne halbdurchsichtige goldene Folie trennt innen und außen. Die Insassen pusten dagegen und die Wände scheinen zu atmen. Darum benennt jemand die Skulptur um in Puste-Zelt. Erstaunlich, was Anika Hirt aus Rettungsdecken geschaffen hat.
Simple Alltagsgegenstände bringen einen zum Staunen. So verblüfft eine Standard-Schreibtischlampe. Bei einer Klangperformance im Dunkeln zieht ihre Glühlampe alle Blicke auf sich. Stefano D’Alessio aus Wien hat die Lampe mit Mikrofonen zum Klangkörper aufgerüstet. Die Federn, das Gestänge und der Lampenschirm werden zu Percussion-Instrumenten. Es knirscht, knallt, hallt. Teilweise hört es sich an, als wäre eine Metal-Band am Werke. Der Künstler wird dabei von der Dunkelheit weitgehend verschluckt. So entwickelt die Lampe ein irres Eigenleben. Mal ist sie mit sich selbst beschäftigt, dann beobachtet sie wie eine Überwachungskamera das Publikum. Man fragt sich, wer hat hier die Kontrolle?
Gefangen wie in einem Spinnennetz fühlen sich die Gäste im Keller. Wie ein festhängendes Insekt zieht man spielerisch an den Gummi-Fäden und erzeugt Klänge. Denn in der Mitte des Netzes sitzt statt einer Spinne ein Lautsprecher. Künstler und Musiker Jens Vetter (Linz) staunt, in welche Richtungen die Augsburger seine Fäden ziehen. Doch aus seinem „Netz 2.0“ist ein Entkommen immer möglich.
Online bleibt man eher hängen. Mit ihrer Installation „Cloudburst“fordern Felix Müller und Rick Schelbach die Gäste dazu auf, Teil des Internets zu werden, als ob wir das nicht alle schon wären. Ein persönlicher Ausdruck gratuliert, dass man seine Daten herausrückt. Zu- mindest in dem Kunstlabor ist es möglich, diese zu schreddern.
Gleichzeitig senden die Smartphones der Besucher fast permanent Funkwellen aus. Das Kölner Plexnoir-Künstlerkollektiv macht diese sichtbar. Antennen im Ausstellungsraum messen die Frequenzen. Ein Rechner übersetzt sie in eine bewegte Grafik, die zeigt, wie sehr dort Handys gerade strahlen. Wieder erinnert dies an ein Netz, in dem sich mehr oder weniger Spinnen tummeln.
Selbst defekte Smartphone-Displays haben ihren Reiz. Friedrich Boell will mit seiner Installation „Dead Pixel“die Handys nicht totsagen. Er erweckt vielmehr zersprungene Bildschirme zu neuem Leben. Die Hintergrundbeleuchtungen vieler kaputter Smartphones ergeben miteinander kombiniert ein neues technisches Gesamtbild.
Richtig zu leben scheinen die überdimensionalen Bilder, die die Japanerin Akiko Nakayama live malt und im Kinoformat projiziert. Sie lässt kräftige Farben fließen – auch über Fotos hinweg. Realität löst sich auf, rieselt davon, versandet. Manchmal blubbert es. Die Japanerin verwendet dafür Mineralwasser und ist angetan von der vielen Kohlensäure im deutschen Sprudel.
Einiges im Fluss ist auch an den digitalen Brunnen, die Augsburger Hochschulstudenten für ihre Abschlussarbeit „FLUX“fließen lassen. Sie überlassen es den Gästen, ob sie die Wasserhähne mehr oder weniger aufdrehen. Entsprechend tröpfelt, fließt oder rauscht das Pixel-Wasser herab.
Zumindest mit dem Kopf kann man bei dem Festival auch untertauchen. Eine Art Taucherglocke, die mit blubberndem Wasser gefüllt ist, macht es möglich. Es ist das Maskottchen für die WaterdomeSinfonie im Planetarium im Rahmen von Lab30.
Vielfältige Klänge machen das Festival mit aus. Schon zur Eröffnung hat Tadashi Yonago aus der japanischen Partnerstadt Amagasaki mal meditativ-versunken, mal synthetisch-lautstark improvisiert. Auch auf dem Dachboden des Abraxas spielen LED-Lichter mit bei seiner Sound-Performance.
Spielerisch geht es für große und kleine Kinder zu in dem Zelt von Yvonne Dicketmüller. Die gelernte Puppenbauerin und Elektrotechnikerin hat kleine Papp-Roboter entwickelt, die an Haustiere erinnern. Die Gäste sollen „Struppi“und Co mithilfe von Taschenlampen steuern. Denn die kleinen Maschinenwesen wollen alle ran ans Licht und kommen sich dabei in die Quere. Da ist es beim Lab30 wie in der Realität: Alle drängen sich um den Platz in der Sonne.