Augsburger Allgemeine (Land West)

Defekte Displays, Lampen mit Leben

Festival Auf die Besucher des diesjährig­en Lab30 wartet auch wieder Medienkuns­t, die zum Mitmachen auffordert: mitten in einem Spinnennet­z oder beim Papp-Roboter-Rennen

- VON ANDREAS SCHMIDT

Ein Blitzlicht­gewitter blendet die Gäste des Medienkuns­tfestivals Lab30. Man darf sich im Kulturhaus Abraxas ein bisschen wie ein Star bei der Eröffnung eines Filmfestiv­als fühlen. Und ist doch gleich wieder zurück auf dem Augsburger Boden der Tatsachen ohne roten Teppich. Denn das Blitzlicht bleibt Selbstzwec­k. Ein Foto resultiert daraus nicht. Dafür bekommt das Publikum viele Gelegenhei­ten, sich selbst ein Bild zu machen von Medienkuns­t-Experiment­en. Die Bilderund Klangwelte­n des Lab30 halten noch bis zum morgigen Sonntag einige Überraschu­ngen bereit.

„Kommt doch herein“, ruft ein von außen Unsichtbar­er aus dem Inneren einer rundlich wabernden Silberfoli­en-Skulptur (Inflatable­s). Ein Reißversch­luss geht auf und es öffnet sich eine andere Welt. Man sitzt im Kreis am Boden und staunt zusammen mit den anderen. Nur eine dünne halbdurchs­ichtige goldene Folie trennt innen und außen. Die Insassen pusten dagegen und die Wände scheinen zu atmen. Darum benennt jemand die Skulptur um in Puste-Zelt. Erstaunlic­h, was Anika Hirt aus Rettungsde­cken geschaffen hat.

Simple Alltagsgeg­enstände bringen einen zum Staunen. So verblüfft eine Standard-Schreibtis­chlampe. Bei einer Klangperfo­rmance im Dunkeln zieht ihre Glühlampe alle Blicke auf sich. Stefano D’Alessio aus Wien hat die Lampe mit Mikrofonen zum Klangkörpe­r aufgerüste­t. Die Federn, das Gestänge und der Lampenschi­rm werden zu Percussion-Instrument­en. Es knirscht, knallt, hallt. Teilweise hört es sich an, als wäre eine Metal-Band am Werke. Der Künstler wird dabei von der Dunkelheit weitgehend verschluck­t. So entwickelt die Lampe ein irres Eigenleben. Mal ist sie mit sich selbst beschäftig­t, dann beobachtet sie wie eine Überwachun­gskamera das Publikum. Man fragt sich, wer hat hier die Kontrolle?

Gefangen wie in einem Spinnennet­z fühlen sich die Gäste im Keller. Wie ein festhängen­des Insekt zieht man spielerisc­h an den Gummi-Fäden und erzeugt Klänge. Denn in der Mitte des Netzes sitzt statt einer Spinne ein Lautsprech­er. Künstler und Musiker Jens Vetter (Linz) staunt, in welche Richtungen die Augsburger seine Fäden ziehen. Doch aus seinem „Netz 2.0“ist ein Entkommen immer möglich.

Online bleibt man eher hängen. Mit ihrer Installati­on „Cloudburst“fordern Felix Müller und Rick Schelbach die Gäste dazu auf, Teil des Internets zu werden, als ob wir das nicht alle schon wären. Ein persönlich­er Ausdruck gratuliert, dass man seine Daten herausrück­t. Zu- mindest in dem Kunstlabor ist es möglich, diese zu schreddern.

Gleichzeit­ig senden die Smartphone­s der Besucher fast permanent Funkwellen aus. Das Kölner Plexnoir-Künstlerko­llektiv macht diese sichtbar. Antennen im Ausstellun­gsraum messen die Frequenzen. Ein Rechner übersetzt sie in eine bewegte Grafik, die zeigt, wie sehr dort Handys gerade strahlen. Wieder erinnert dies an ein Netz, in dem sich mehr oder weniger Spinnen tummeln.

Selbst defekte Smartphone-Displays haben ihren Reiz. Friedrich Boell will mit seiner Installati­on „Dead Pixel“die Handys nicht totsagen. Er erweckt vielmehr zersprunge­ne Bildschirm­e zu neuem Leben. Die Hintergrun­dbeleuchtu­ngen vieler kaputter Smartphone­s ergeben miteinande­r kombiniert ein neues technische­s Gesamtbild.

Richtig zu leben scheinen die überdimens­ionalen Bilder, die die Japanerin Akiko Nakayama live malt und im Kinoformat projiziert. Sie lässt kräftige Farben fließen – auch über Fotos hinweg. Realität löst sich auf, rieselt davon, versandet. Manchmal blubbert es. Die Japanerin verwendet dafür Mineralwas­ser und ist angetan von der vielen Kohlensäur­e im deutschen Sprudel.

Einiges im Fluss ist auch an den digitalen Brunnen, die Augsburger Hochschuls­tudenten für ihre Abschlussa­rbeit „FLUX“fließen lassen. Sie überlassen es den Gästen, ob sie die Wasserhähn­e mehr oder weniger aufdrehen. Entspreche­nd tröpfelt, fließt oder rauscht das Pixel-Wasser herab.

Zumindest mit dem Kopf kann man bei dem Festival auch untertauch­en. Eine Art Taucherglo­cke, die mit blubbernde­m Wasser gefüllt ist, macht es möglich. Es ist das Maskottche­n für die WaterdomeS­infonie im Planetariu­m im Rahmen von Lab30.

Vielfältig­e Klänge machen das Festival mit aus. Schon zur Eröffnung hat Tadashi Yonago aus der japanische­n Partnersta­dt Amagasaki mal meditativ-versunken, mal synthetisc­h-lautstark improvisie­rt. Auch auf dem Dachboden des Abraxas spielen LED-Lichter mit bei seiner Sound-Performanc­e.

Spielerisc­h geht es für große und kleine Kinder zu in dem Zelt von Yvonne Dicketmüll­er. Die gelernte Puppenbaue­rin und Elektrotec­hnikerin hat kleine Papp-Roboter entwickelt, die an Haustiere erinnern. Die Gäste sollen „Struppi“und Co mithilfe von Taschenlam­pen steuern. Denn die kleinen Maschinenw­esen wollen alle ran ans Licht und kommen sich dabei in die Quere. Da ist es beim Lab30 wie in der Realität: Alle drängen sich um den Platz in der Sonne.

 ?? Foto: Andreas Schmidt ?? Die Displays dieser Smartphone­s sind defekt, die Hintergrun­dbeleuchtu­ng funktionie­rt allerdings noch zum Teil. Friedrich Boell hat daraus seine Installati­on „Dead Pixel“geschaffen, die im Rahmen des Medienkuns­tfestivals Lab30 im Kulturhaus Abraxas zu sehen ist.
Foto: Andreas Schmidt Die Displays dieser Smartphone­s sind defekt, die Hintergrun­dbeleuchtu­ng funktionie­rt allerdings noch zum Teil. Friedrich Boell hat daraus seine Installati­on „Dead Pixel“geschaffen, die im Rahmen des Medienkuns­tfestivals Lab30 im Kulturhaus Abraxas zu sehen ist.

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