Augsburger Allgemeine (Land West)
Wer bin ich?
Egon Schiele, der vor 100 Jahren an der Spanischen Grippe starb, erkundete schonungslos den Menschen und sich selbst als Künstler. Dies war nur eine Grenze, die er überschritt. Er liebte den Tod und das Leben
Wien/Tulln Welches Zusammentreffen, welche Tragik!
„Der Krieg ist aus und ich muss gehen“sollen die letzten Worte von Egon Schiele auf dem Totenbett am 31. Oktober 1918 in der Hietzinger Hauptstraße von Wien gewesen sein. Edith, seine Frau, schwanger, war drei Tage zuvor schon an der Spanischen Grippe gestorben. Und nun war er dran, 28-jährig erst; er, der eben noch die Familie in spe unvollendet gemalt hatte; er, der zu größten, künstlerisch weiterführenden Hoffnungen Anlass gab; er, der malend sich mit Leben und Tod, Werden und Vergehen auseinandergesetzt und erklärt hatte: „Ich bin Mensch, ich liebe den Tod und liebe das Leben“. Er, Egon Schiele.
Ein gutes halbes Jahr zuvor hatte der 1890 in Tulln/Donau geborene Schiele den bekanntesten Maler des Wiener Jugendstils verabschieden müssen: seinen Förderer und Freund Gustav Klimt. Der war wenigstens doppelt so alt geworden, wie Schiele es werden durfte, und hatte die übliche Lebensspanne wenigstens annäherungsweise ausschöpfen können. In Anspielung auf das viele Gold in Klimts Werken war Schiele von Kritikern einst abschätzig als der „silberne Klimt“bezeichnet worden. Einen Tag nach dem Tod des Mentors zeichnete ihn Schiele in einer Wiener Totenkammer – und auf seinem danach entstandenen Gemälde „Die Freunde (Tafelrunde)“ließ er einen Stuhl frei im Andenken an den Gestorbenen, Fehlenden.
Das Bild ist jetzt als Leihgabe ein wesentlicher Teil der großen Schiele-Jubiläumsschau im Leopold-Museum Wien, die kürzlich aufgrund immensen Zuspruchs bis Mitte März 2019 verlängert wurde. Abgesehen von Gustav Klimt: Auch Kolomann Moser, der erfolgreiche Maler und Professor der Wiener Kunstgewerbeschule, war Mitte 1918 an Kehlkopfkrebs verschieden.
Das Starre wurde bei Schiele lebendig – und das Lebende zeigt sich morbid. Seine berühmten HäuserLandschaften aus Krumau gleichen einer Ansammlung menschlicher Physiognomien, seine Bäume ähneln tanzenden Lebewesen, aber seine (Selbst-)Porträts erzählen häufig von Schmerz, Suche, Schrecken, physisch-psychischer Verkrampfung – verbunden mit Eros.
Spät erst löste sich Schiele vom Einfluss seiner Mutter, die seine künstlerische Entwicklung zwar lebhaft unterstützte, doch gleichzeitig – nach dem Tod des Familienvaters – einen Ersatz durch den jungen Egon erwartete. Gelebt wurde eine „Beziehung mit Gefälle“, wie jetzt die Wiener Jubiläumsschau darlegt – eine „Beziehung mit Gefälle“ ebenso wie Schieles Verbindung zu ausgesprochen jungen (Mädchen-)Modellen, was ihn kurzzeitig in Bedrängnis brachte.
Zwar wurde er 1912 in NeulengOktober Egon Schiele Guillaume Apollinaire, Max Weber, bach westlich Wiens vom Verdacht der Entführung und des Missbrauchs eines Mädchens freigesprochen, doch weil Kinder in seinem Atelier freizügige Akt-Blätter sehen konnten, wurde er zu ein paar Tagen Gefängnis wegen „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“verurteilt. Zumindest dies hätte seinerzeit auch die deutschen „Brücke“-Maler treffen können – und eventuell auch Edvard Munch im Zusammenhang mit seinen „Pubertät“-Motiven. Wedekind’sches „Frühlings Erwachen“im Bild.
Schiele überschritt regelmäßig Grenzen – und unterlief regelmäßig das Repräsentationsgebot des Genres Porträt. Er wies dem Betrachter oft die Rolle eines störenden beziehungsweise entlarvten Voyeurs zu, betrachtete Sexualität als changierend, befragte das Wahre, Schöne und Gute tribunalartig – ähnlich wie Dürer in seinem Akt-Selbstporträt. So trieb er die (Selbst-)Wahrnehmung auf die Spitze seiner Zeit und entdeckte rätselhaft-multiple Persönlichkeiten in sich und anderen.
Es existiert eine Foto-Serie von 1914, auf der sich Schiele expressiv in Pose wirft, gestikuliert, grimassiert. Seine Hände, seine knochigen Hände, setzt er ausdrucksstark, ja verdreht-inszeniert ein – so, wie es auf vielen seiner Gemälde auch zu sehen ist. Wenn einer regelrecht sprechende Hände malen konnte, dann war es Egon Schiele. Große österreichische Künstler nach ihm lernten und profitierten von ihm: Oskar Kokoschka erfand – neidisch auf Schiele – folgende Geschichte: Der Zeichnungsstrich des Kollegen Schiele sei nur deshalb so sicher, weil dieser ihn aus seinem, Kokoschkas, Atelier gestohlen habe. Und Arnulf Rainer trieb seine
Mit Gustav Klimt in einer Wiener Totenkammer
Spanische Grippe
Ein Maler begreift sich selbst als fremd
(Foto-) Porträts durch Übermalungen bis in die Verletzung, Zerstörung, Auslöschung.
Über allem stehen in der Kunst Schieles aber die verstört-prüfenden Augen, insbesondere in seinen Selbstbildnissen. Sie manifestieren eine Verbindung aus Affektion, Identitätssuche und Sehertum. Ein Maler begreift sich selbst als fremd.
Was von Schieles letzten Worten auf dem Totenbett noch überliefert ist, lautet: „Meine Bilder sollen in allen großen Museen der Welt gezeigt werden.“Das war so selbstbewusst wie appellativ. Aber es war nicht vermessen, wie wir heute sehen können.
Museum Leopold Wien: Museum Schäfer Schweinfurt: Klebt auf diesem Ziegelstein von einem Roman mal wieder eines dieser Labels: „Die literarische Sensation aus Italien.“Und ja, tatsächlich hat das mit dem dortigen Großpreis „Premio Strega“ausgezeichnete Buch „Die katholische Schule“alles, was es für so etwas braucht.
Edoardo Albinati arbeitet darin das Massaker von Circeo von 1975 auf, bei dem zwei Frauen brutalst misshandelt wurden und das nicht nur zu einem Prozess gegen drei Männer, sondern auch zu einem Aufschrei der Frauen in Italien führte. Der Autor ging mit dem Haupttäter auf jene titelgebende römische Schule und durchleuchtet darum alles: ihn und sich, Gesellschaft und Moral, das Katholische und die Geschichte. Er ist dabei ein detailgenau beobachtender, geistreich analysierender, versiert charakterisierender Erzähler, der über das Historische hinaus Spiegelungen heutiger Abgründe aufscheinen lässt. Alles da also.
Aber leider noch so viel mehr – und viel zu wenig Erzählökonomie. Albinati braucht die ersten 300, 400 der fast 1300 Seiten, um das normale Schülerleben bis in jede Regung in der Unterhose zu betrachten. Oftmals muss er einschieben: Das Eigentliche, es geht ja gleich los. Kein gutes Zeichen. Klar, er wollte keinen knalligen Krimi aus dem Drama machen. Aber so schweift er immer wieder allzu weit aus und verliert allzu leicht: den Leser. Und das ist für dieses Buch sehr schade.