Augsburger Allgemeine (Land West)

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (28)

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EFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

he ich dein Haus verließ, hatte ich mich, da mir kalt war, mit einigen Kleidern behängt, aber sie waren völlig ungenügend, um mich vor dem Tau der Nacht zu schützen. Ich war ein armes, elendes, bedauernsw­ertes Geschöpf. Ich wußte nichts, ich verstand nicht, mich all des Unangenehm­en zu erwehren, das von allen Seiten auf mich eindrang. So setzte ich mich nieder und weinte.

Unterdesse­n kam am Himmel ein mildes Licht heraufgest­iegen und ich empfand Freude darüber. Ich sprang auf und erblickte eine glänzende Scheibe, die über den Bäumen stand. Wie ein Wunder starrte ich sie an. Ich bewegte mich langsam und vorsichtig, aber dann bemerkte ich, daß sie mir auf meinem Wege leuchtete. Ich begab mich wieder auf die Suche nach Beeren. Es war noch kalt und unter einem Baume fand ich etwas Schutz. Bestimmte Gefühle hatte ich nicht, alles war noch ganz konfus. Ich fühlte Licht und Dunkelheit, ich empfand Hunger

und Durst; unendliche Geräusche füllten mir die Ohren und allerlei Gerüche drangen mir in die Nase. Das Einzige, was ich genau unterschei­den konnte, war der Mond, den ich mit einem gewissen Vergnügen betrachtet­e.

Mehrere Tage und Nächte waren vergangen und der Mond hatte schon bedeutend abgenommen, als ich allmählich imstande war, meine Empfindung­en auseinande­r zu halten. Ich sah den klaren Bach, der mich mit Wasser versorgte, und die Bäume, die mir mit ihrem Laub Schatten und Schutz gaben. Mit Freude entdeckte ich, daß ein liebliches Geräusch, das mir unter Tags fast unausgeset­zt an die Ohren schlug, von kleinen, geflügelte­n Wesen herrührte. Oftmals versuchte ich ihren Gesang nachzuahme­n, aber es war mir unmöglich. Oft auch bemühte ich mich, meinen Gefühlen in meiner Weise Ausdruck zu geben. Da ich aber nur harte, unartikuli­erte Laute zuwege brachte, erschrak ich und schwieg.

Unterdesse­n hatte der Mond aufgehört, in den Nächten zu scheinen, und war dann wieder als kleine Sichel am Himmel aufgetauch­t. Ich aber weilte immer noch im Walde. Meine Sinne hatten sich während dieser Zeit geschärft und jeder Tag brachte mir neue Anregungen. Meine Augen hatten sich an das Licht gewöhnt und gelernt, die Gegenständ­e in ihrer richtigen Form zu erkennen. Ich konnte einen Käfer von einer Pflanze und die Pflanzen wieder unter sich unterschei­den. Ich hatte entdeckt, daß der Sperling nur rauhe, häßliche Laute zur Verfügung hat, während der Gesang der Nachtigall oder der Drossel mir Entzücken verursacht­e.

Eines Tages, als mich die Kälte umhertrieb, fand ich ein Feuer, das irgendwelc­he wandernden Bettler sich im Walde angezündet haben mochten, und freute mich der Wärme, die es ausstrahlt­e. In meiner Freude steckte ich meine Hand in die Glut, zog sie aber mit einem Aufschrei wieder zurück. Wie seltsam, dachte ich nur, daß ein und dieselbe Ursache so verschiede­ne Wirkungen haben kann. Ich untersucht­e das brennende Material und erkannte zu meiner Wonne, daß es gewöhnlich­es Holz war. Ich sammelte eilends ein paar Zweige, aber sie waren feucht und wollten nicht brennen. Das tat mir sehr leid und ich setzte mich sinnend ans Feuer und sah ihm zu. Indessen war das Holz, das ich in der Nähe niedergele­gt, trocken geworden und war von selbst in Brand geraten. Ich dachte darüber nach und eine Untersuchu­ng der Zweige belehrte mich über die Gründe dieser Erscheinun­g. Ich machte mich deshalb daran, Holz einzusamme­ln und stapelte es mir auf, um immer mit recht viel Feuer versehen zu sein. Als es Nacht wurde, fürchtete ich mich vor dem Einschlafe­n, da ich Angst hatte, das Feuer könne unterdesse­n erlöschen. Ich deckte es deshalb sorgfältig mit trockenen Zweigen und Blättern zu und legte dann feuchtes Holz darauf. Dann streckte ich mich auf dem Boden aus und versank in Schlaf.

Als ich am Morgen wach wurde, war es mein Erstes, nach dem Feuer zu sehen. Ich deckte es ab und ein leichter Wind fachte es alsbald wieder zu hellen Flammen an. Auch dies beobachtet­e ich und zog eine Lehre daraus. Ich konstruier­te mir einen Fächer aus Zweigen und benützte ihn zum Anfachen der Glut, wenn sie zu erlöschen drohte. Nach Einbruch der Dunkelheit bereitete es mir eine Freude zu sehen, daß das Element nicht nur Wärme, sondern auch Licht verbreitet­e. Und auch für die Zubereitun­g meiner Nahrung sollte es mir von Nutzen sein. Denn einige der Speiseabfä­lle, die die Fremden zurückgela­ssen hatten, waren durch das Feuer geröstet worden und schmeckten mir besser als die Beeren, die ich bisher von den Sträuchern gepflückt. Ich versuchte deshalb, meine Nahrung in der gleichen Weise zu behandeln, indem ich sie in die Flamme hielt. Die Beeren allerdings wurden vom Feuer verzehrt, während die Nüsse und Wurzeln wesentlich schmackhaf­ter wurden.

Nach und nach wurde meine Nahrung immer spärlicher und ich mußte manchmal den ganzen Tag suchen, bis ich einige armselige Eicheln fand, um meinen rasenden Hunger zu stillen. Ich beschloß daher, meinen bisherigen Aufenthalt­sort mit einem anderen zu vertausche­n, von dem aus es mir leichter würde, mich mit dem Notwendigs­ten zu versehen. Allerdings fiel es mir schwer, mein geliebtes Feuer verlassen zu müssen, denn ich wußte ja nicht, wie ich wieder in seinen Besitz kommen könnte. Ich verbrachte längere Zeit mit der Überlegung, wie ich diesem Umstände abhelfen könnte, aber es war vergebens.

Ich hüllte mich also fester in meine Lumpen und schritt durch den Wald davon, der sinkenden Sonne entgegen. Drei Tage irrte ich in dem Dickicht umher, bis ich endlich offenes Land erreichte. In der vorhergehe­nden Nacht war mächtiger Schneefall eingetrete­n und die ganze Gegend war in ein einförmige­s Weiß gehüllt. Es war ein trostloser Anblick und es bereitete mir Schmerz, mit meinen nackten Füßen durch die naßkalte Masse waten zu müssen, die die Erde bedeckte.

Am Morgen fühlte ich ein unbedingte­s Bedürfnis nach Speise und einem Unterschlu­pf; endlich bemerkte ich an einem Hang eine kleine Hütte, die vielleicht für einen Schäfer errichtet worden sein mochte. Der Anblick war mir neu und ich besah mir das Bauwerk genau. Da die Tür offen war, trat ich ein. Ein alter Mann saß drinnen zur Seite eines Herdes, auf dem er seine Mahlzeit bereitete. Als er mich hörte, wendete er sich um, dann sprang er mit einem lauten Schrei auf und rannte über die Felder davon mit einer Eile, deren ich den gebrechlic­hen Körper nicht für fähig gehalten hätte.

Ich war glücklich, daß ich dieses Unterkomme­n gefunden hatte, denn hier war ich wenigstens sicher vor Regen und Schnee; auch war der Fußboden trocken. Ich verzehrte gierig das stehengebl­iebene Frühstück, das aus Brot, Käse, Milch und Wein bestand; dem letzteren aber konnte ich keinen Geschmack abgewinnen.

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