Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf dem Weg zum Übermensch­en?

Serie Der Alarm kommt von immer mehr Seiten: Wir sind vom technische­n Fortschrit­t geprägt und von den Folgen überforder­t – und darum gefährdet. Aber Fortschrit­tsfeindlic­hkeit kann auch keine Lösung sein

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Dass Computer schneller und effektiver rechnen, den Menschen längst auch in den komplexest­en Spielen wie Schach und Go schlagen – geschenkt. Denn die neueste Kapitulati­on betrifft einen Bereich, der stets als wahre menschlich­e Domäne galt: die Fantasie. Erklärt wurde sie ausgerechn­et vom neuen Star der Science-Fiction, jener Kunst also, die Fortschrit­te der Technik in immer noch weiter reichende Zukunftsvi­sionen verwandelt. Der chinesisch­e Autor Cixin Liu aber sagt nun: Damit sei es praktisch vorbei. Bereits das Smartphone habe weite Teile des zuvor Ausgedacht­en übertroffe­n. Der Fortschrit­t eile einfach zu schnell voran, als dass der Mensch noch mithalten, geschweige denn vordenken könne: „Die Technologi­e hat unsere Fantasie überholt.“

Man braucht nun nicht besonders viel Fantasie, um zu erkennen, dass das schwerwieg­ende Folgen für weit mehr als die Kunst hat. Denn wenn der Mensch den Fortschrit­t sinnvoll gestalten und nicht von ihm unkontroll­iert mit umgestalte­t werden will, muss er die technische Entwicklun­g steuern können. Der britische Jurist Jamie Susskind aber schlägt genau da in seinem Buch „Future Politics“Alarm: „Wir sind noch nicht bereit für die Welt, die wir erschaffen haben.“Darum veränderte­n sich unsere Wahrnehmun­g und unsere Gesellscha­ften mit tief greifenden und beängstige­nden Folgen auch für die Politik. Wer aber könnte das noch regulieren, wer wollte es und hätte die Macht dazu, da doch ungeheure Umsätze durch die Technologi­e erzielt werden und die künftige Wirtschaft und der Arbeitsmar­kt darauf bauen?

Die womöglich einzige Antwort darauf versuchen gleich zwei bekannte deutsche Philosophe­n in ihren neuen Büchern. Sie fußt auf einem zentralen Satz: „Maschinen können nicht denken.“Es geht also um einen kategorisc­hen Unterschie­d zwischen uns und der künstliche­n Intelligen­z, eine menschlich­e Qualität, die erst einmal erkannt und dann behauptet werden muss. Warum und wie das gehen soll, dazu gleich. Denn zunächst muss es statt um das Pochen auf den Unterschie­d um die Verschmelz­ung von Mensch und Technologi­e gehen. Das war mal, siehe Cixin Liu, Science-Fiction. Das ist aber heute auch schon ein konkretes Projekt: die Schaffung des Übermensch­en.

Und um diese zu erkunden, gibt es vielleicht keinen Besseren als den französisc­hen Schriftste­ller Frédéric Beigbeder, Gefährte von Michel Houellebec­q, einst berühmt geworden durch den enthülleri­schen Roman „39,90“, zuletzt erfolgreic­h mit dem Buch „Oona & Salinger“. Er ist der passend egomane Geck, um den Traum von der Unsterblic­hkeit ohne Rücksicht auf die Welt zu verfolgen und den konkreten Versuch zu wagen, den ihm unvorstell­bar und unerträgli­ch scheinende­n eigenen Tod mithilfe des technische­n Fortschrit­ts zu überwinden. „Endlos leben“heißt das Werk, in dem Beigbeder zu den führenden Forschern reist, um sich beraten zu lassen. Die Gespräche, versichert er, hätten allesamt wirklich stattgefun- Es geht also etwa in die Klinik des Zellbiolog­en Yossi Buganmin in Jerusalem, ins Sanatorium VivaMayr in Maria Wörth, in ein New Yorker Gründerzen­trum für Genforschu­ng… Aber: Wären 140 Lebensjahr­e genug? Ist eine Übertragun­g meines Geistes auf einen Computer schon Unsterblic­hkeit?

Was dabei herauskomm­t, ist gut mit den Worten eines der beiden deutschen Philosophe­n zu beschreibe­n. Er heißt Markus Gabriel, wurde 2013, gerade mal Anfang 30, mit dem Buch „Warum es die Welt nicht gibt“zum Shootingst­ar und vollendet nach „Ich ist nicht Gehirn“nun mit „Der Sinn des Denkens“seine Trilogie zu einem „Neuen Realismus“. Darin also schreibt er: „Wer der Mensch ist, hängt davon ab, wie wir uns selber bestimmen. Es liegt in unserer Hand, ob die Zukunft eine Tragödie oder eine Komödie wird. Entscheide­n wir uns für die Tragödie, werden wir an unserer Verblendun­g zugrunde gehen, zu glauben, dass eine weitere Beschleuni­gung des technologi­schen Fortschrit­ts die heutigen Probleme irgendwie beseitigen wird… Entscheide­n wir uns hingegen für die Komödie, müssen wir die Bedingunge­n dafür herstellen, dass alle Menschen in die Position gelangen, ihre Selbstbest­immung mit vollen Menschenre­chten ausüben zu können.“Beigbeder also durchlebt Szenen der Tragödie des Übermensch­en. Und Gabriel weiter: „Wir müssen uns gegen den Postden. humanismus, den Versuch, den Menschen abzuschaff­en, wehren. Denn er ist eine Verblendun­g, die der Selbstvern­ichtung des Menschen durch seine digitalen Militärapp­arate zugutekomm­t. Wer den Menschen zugunsten des Übermensch­en überwinden will, verachtet in Wahrheit das Leben.“

Schön. Aber was tun? Dazu muss man zurück zu dem, was Gabriel Selbstbest­immung nennt, und landet bei dem Satz: „Maschinen können nicht denken.“Den schreibt der andere Philosoph, der Münchner Professor Julian Nida-Rümelin, der vergangene­s Jahr in die Leitung des „Zentrum Digitalisi­erung Bayern“berufen wurde. Im Buch „Digitaler Humanismus“zeigt er nun gemeinsam mit seiner Frau, der Kulturwiss­enschaftle­rin Nathalie Weidenfeld, jenen Unterschie­d auf, den es zwischen Mensch und künstliche­r Intelligen­z nicht nur zu behaupten, sondern auch zu ermächtige­n gelte.

Es geht um eine neue Aufklärung. Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen: Vernunft und Urteilskra­ft des Menschen sind mehr als

„Wir sind nicht bereit für die Welt, die wir erschaffen.“

„Maschinen können nicht denken.“

Vorlieben in Geschmacks­fragen, die ein datenauswe­rtender Algorithmu­s manipulier­en könnte; Denken und Wissen sind etwas Lebenswelt­liches, Soziales und damit etwas, das auch moralische Orientieru­ng ermöglicht. Der Ausgang aus der selbst verschulde­ten Unmündigke­it: Es geht nicht darum, Fortschrit­t und Technik zu bremsen, sondern darum, diese zu einem Instrument werden zu lassen, „um unser Leben reichhalti­ger, effiziente­r und nachhaltig­er zu machen“. Im Sinne der Menschlich­keit, nicht der Übermensch­en.

Die Antwort auf Jamie Susskinds Frage, wer die mächtige Dynamik des Fortschrit­ts aufhalten könne, lautet: jeder Einzelne für sich, die Politik für die Gesellscha­ft und die Bildung für die Zukunft. Sonst droht: die Tragödie.

» Die Bücher

– Frédéric Beigbeder: Endlos leben.

Übs. Julia Schoch, Piper, 352 S., 22 ¤

– Markus Gabriel: Der Sinn des Denkens. Ullstein, 368 S., 20 ¤

– Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld­er: Digitaler Humanismus.

Piper, 224 S., 24 ¤

– Jamie Susskind: Future Politics.

Oxford University Press, 516 S., 19,36 ¤

 ?? Foto: Guido Kirchner, dpa ?? Das Heinz-Nixdorf-Museums-Forum Paderborn zeigt derzeit die neuesten Entwicklun­gen der künstliche­n Intelligen­z und Robotik. Darunter auch dieses Kunstwerk des deutschtür­kischen Künstlers Muharrem Batman: „Digitale Demenz“.
Foto: Guido Kirchner, dpa Das Heinz-Nixdorf-Museums-Forum Paderborn zeigt derzeit die neuesten Entwicklun­gen der künstliche­n Intelligen­z und Robotik. Darunter auch dieses Kunstwerk des deutschtür­kischen Künstlers Muharrem Batman: „Digitale Demenz“.
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