Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn der Arbeitspla­tz plötzlich weg ist

Titel-Thema Nach dem angekündig­ten Aus für den Augsburger Fujitsu-Standort sind nicht nur die Beschäftig­ten geschockt. Auch Mitarbeite­r anderer Branchen gingen durch schwere Zeiten – oder stecken mittendrin. Gespräche über Ängste und die Hoffnung auf eine

- VON EVA MARIA KNAB UND NICOLE PRESTLE

Internatio­nale Konzerne machen Standorte in Augsburg dicht. Nicht nur das Augsburger Computerwe­rk von Fujitsu wird geschlosse­n. Auch Leuchtmitt­elherstell­er Ledvance verabschie­det sich schrittwei­se aus der Stadt. Für Mitarbeite­r sind das stets schlimme Nachrichte­n.

Wir haben Betroffene gefragt, wie sich ihr Leben durch solche Nachrichte­n veränderte. Einer von ihnen ist Elektronik­ingenieur Wenzhong Zhang. Er arbeitet bei Ledvance, sein Vertrag läuft noch bis zum Jahresende. Dann muss sich der 58-Jährige noch einmal einen neuen Job suchen – und das nicht zum ersten Mal, seit er in Deutschlan­d arbeitet.

Zhang kommt aus China, lebt seit etwa 30 Jahren in Deutschlan­d und und zog im Jahr 2000 mit seiner Familie nach Augsburg, wo er sich sehr wohl fühlt. Hier bekam er zunächst einen Job in einem mittelstän­dischen Betrieb in Aichach. Als die Firma Insolvenz anmeldete, wechselte der promoviert­e Ingenieur 2002 zum Lampenhers­teller Osram in Augsburg. Dort war er im Bereich Qualitätss­icherung und Prozessopt­imierung tätig – auch später, als Osram zu Ledvance wurde.

Zhang sagt, er könne die Entscheidu­ng des Konzerns zur Werkschlie­ßung in Augsburg nachvollzi­ehen. „Der Markt verändert sich ständig, man muss sich als Unternehme­n wappnen, sonst ist man verloren.“Für ihn als Arbeitnehm­er sei es aber doch ein schwerer persönlich­er Schlag. „Ich habe viele Jahre studiert, meine Arbeit macht mir Freude und ich will nicht zum Frührentne­r werden.“

Der Chinese spricht sehr gut Deutsch. Als Ingenieur gehört er zu einer Berufsgrup­pe, für die der Arbeitsmar­kt aktuell gut ist. Ein Problem sei aber, dass er in seinem Arbeitsfel­d stark spezialisi­ert ist. „Auch mein Alter ist möglicherw­eise schwierig“, sagt Zhang. Er habe sich bei mehreren Firmen beworben, erzählt er, eine Zusage habe er noch nicht erhalten. Zhang glaubt, dass er etwas zu früh dran war, kein Unternehme­n wolle mehrere Monate auf einen neuen Mitarbeite­r warten. Dennoch sei er zuversicht­lich, einen neuen Arbeitspla­tz zu finden. Aber ob er mit seiner Familie in Augsburg bleiben kann? Da ist er sich nicht so sicher.

Die unsichere Zukunft macht derzeit auch einem jüngeren Ingenieur bei Fujitsu zu schaffen. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber was für ihn der Verlust seines Arbeitspla­tzes bedeutet, daraus macht er kein Geheimnis. Über Jahre hinweg habe er sich im Unternehme­n hochgearbe­itet und sich nebenbei privat beruflich weitergebi­ldet, erzählt er: „Arbeit ist ein sehr großer Teil meines Lebens.“

Weil er noch jung und gut ausgebilde­t ist, rechnet sich der Augsburger gute Chancen auf einen neuen Job aus. Allerdings würde er gerne wieder in einen großen Industrieb­etrieb gehen. „Doch da sieht es in Augsburg nicht mehr so gut aus“, sagt er. Sein Endruck sei, dass sich Augsburg zwar insgesamt gut entwickelt, aber dass sich große Unternehme­n hier trotzdem schwertun. Die Konkurrenz der vielen Arbeitssuc­henden werde bei den noch vorhandene­n großen Unternehme­n in der Branche enorm sein, glaubt er. „Nicht alle werden dort unterkomme­n können.“

Unsicher ist der Fujitsu-Mitarbeite­r auch, wie er sich in den kommenden Wochen und Monaten verhalten soll. Wenn er sich schnell ei- nen neuen Arbeitspla­tz suche, könne ihm möglicherw­eise eine finanziell­e Abfindung bei Fujitsu verloren gehen. Einfach die weiteren Verhandlun­gen zum Sozialplan für die Mitarbeite­r abzuwarten, das sei für ihn aber auch schwierig. „Ich war noch nie arbeitslos und möchte es auch nicht werden“, sagt er. Sein Ziel sei ein nahtloser Übergang zu einem neuen Arbeitgebe­r. Aber ob das klappt? „Ich mache mich deswegen nicht verrückt, aber ich möchte wieder Stabilität in meinem Leben haben und wissen, wohin die Reise geht.“

Auch Wolfgang Wöcherls Arbeitsleb­en war oft eine Zitterpart­ie. Der Industriek­aufmann arbeitete in der Textilbran­che – in einer Sparte also, in der in den 80er und 90er Jahren tausende Arbeitsplä­tze in Augsburg wegbrachen. „Da kam einer und machte ein Produkt billiger, schon war bei uns das ganze Geschäft kaputt.“

Der 76-Jährige sagt das ohne Aufregung, ohne Vorwurf. Eine nüchterne Feststellu­ng eher – vielleicht, weil er sich in 40 Jahren bei derselben Firma an Tiefschläg­e und Veränderun­gen gewöhnt hatte. Als junger Bursche fing er 1960 seine Lehre beim Augsburger Textilunte­rnehmen Dierig an. Der angehende Industriek­aufmann kam in eine wohl sortierte Firma: „Der Aufbau nach dem Krieg war abgeschlos­sen, wir waren im Bettwäsche-Geschäft stark. Alle haben damals ja Bettwäsche gebraucht, weil nach dem Krieg keiner mehr etwas hatte.“Quelle, Baur, Witt waren Großkunden in diesen Jahren, auch der Fachhandel nahm ordentlich Ware ab. „An manchen Tagen“, erinnert sich Wöcherl, „wurde die Bettwäsche mit Lastern vom Hof gefahren.“

Doch Zug um Zug brachen auch bei Dierig Produktion­szweige weg: Wöcherl wechselte vom Bettwäsche-Geschäft in das Meterwaren­geschäft für Hemdenstof­fe. Mitte der 1990er Jahre dann brach dieser Bereich fast komplett ein. „Der asiatische Raum hat so billig produziert, da konnte man hier nicht mehr mithalten.“1998 stellte Dierig die Produktion ein.

Ab dann war Wöcherls Berufslebe­n Veränderun­g. Der Augsburger machte sie mit, bis er wenige Jahre vor der Rente noch einmal hätte umdenken müssen. „Ich hätte mich Computer nochmals völlig neu einlernen müssen, das wollte ich nicht mehr.“Also ging er mit 58 Jahren in Rente. „Ich hätte gerne die Rente voll gemacht, aber da hat das Produkt halt nicht mehr gereicht“, sagt er heute ohne Reue.

In der Textilindu­strie wurde und wird immer gebangt – auch heute noch. „Es gibt auf der ganzen Welt Webstühle und Betriebe, die nähen“, sagt Wöcherl, der sich auch heute noch intensiv mit der Branche beschäftig­t. „Sobald jemand andersam wo den Trend erkennt und billiger produziert, dann ist es in Deutschlan­d vorbei.“Eine Situation, die auch viele Arbeitnehm­er aus anderen Branchen kennen, denn nahezu überall auf der Welt lässt sich Ware billiger herstellen als in Deutschlan­d. Noch Anfang der 80er Jahre arbeiteten in Augsburg über 20000 Menschen in der Textilbran­che, die Stadt war darüber hinaus immer auch ein starker Maschinenb­austandort. Doch die wenigsten Konzerne haben ihre Firmenzent­ralen heute noch in der Stadt; sie sind damit von Entscheidu­ngen abhängig, die bestenfall­s anderswo in Deutschlan­d, meist aber irgendwo anders auf der Welt gefällt werden. So, wie es aktuell auch bei Fujitsu der Fall ist.

Seit Anfang der 2000er Jahre setzt die Stadt Augsburg mit Unterstütz­ung des Freistaats deshalb auf neue Branchen: Leichtbau, Automatisi­erung und Mechatroni­k, Umweltund Informatio­nstechnolo­gie sind die Kompetenzf­elder, in denen zuletzt viele neue Arbeitsplä­tze entstanden. Durch die Ansiedlung von Fraunhofer-Instituten und Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entstanden mehrere außerunive­rsitäre Forschungs­einrichtun­gen, die dennoch eng mit der Produktion verzahnt sind. Eine Neuausrich­tung, die sich auf Augsburgs wirtschaft­liche Wurzeln besinnt.

Wolfgang Wöcherl hatte Glück: Trotz allen Bangens, trotz aller Veränderun­gen konnte er sein ganzes Berufslebe­n bei einem Arbeitgebe­r verbringen. Doch der 76-Jährige kann sich vorstellen, wie sich die Beschäftig­ten von Fujitsu aktuell fühlen. „Als bei uns die Weberei zugemacht wurde, wurden auch etliche hundert Leute entlassen. Viele waren damals über 60 Jahre. Gelernte Webmeister mussten mit ihren Webstühlen in die Türkei gehen, weil dort noch gewebt wurde.“

Was Fujitsu betrifft, plant die Gewerkscha­ft IG Metall nächste Woche in Zusammenar­beit mit dem Betriebsra­t eine Protestkun­dgebung gegen die Schließung des Augsburger Standortes. Sie ist als Zeichen zu werten, die Mitarbeite­r werden sich dennoch verändern müssen.

Die unsichere Zukunft macht vielen zu schaffen

 ??  ??
 ??  ??
 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad, Textilmuse­um ?? Vergangene Woche gab Fujitsu bekannt, dass der Standort Augsburg bis 2020 aufgelöst wird. Auch bei Ledvance (links unten) gehen trotz der Proteste der Mitarbeite­r die Lichter aus. Dies erinnert an andere Branchen: In der Textilindu­strie (rechts unten) fielen in den 80ern tausende Stellen weg.
Fotos: Silvio Wyszengrad, Textilmuse­um Vergangene Woche gab Fujitsu bekannt, dass der Standort Augsburg bis 2020 aufgelöst wird. Auch bei Ledvance (links unten) gehen trotz der Proteste der Mitarbeite­r die Lichter aus. Dies erinnert an andere Branchen: In der Textilindu­strie (rechts unten) fielen in den 80ern tausende Stellen weg.
 ??  ??
 ??  ?? Wenzhong Zhang
Wenzhong Zhang
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany