Augsburger Allgemeine (Land West)

Hatten wir den Wahn nicht schon? Plötzlich sind wieder Klamotten mit übergroßem Marken-Print allgegenwä­rtig. Einfache T-Shirts kosten hundert Euro und mehr. Was ist da los?

- Von Franziska Wolfinger

Ein simples weißes T-Shirt mit ein bisschen roter Farbe darauf – das soll reichen, um einen Trend loszutrete­n? Um einem Unternehme­n Umsatzstei­gerungen von vielen Millionen Dollar zu bescheren? Ja, das reicht. Wenn die rote Farbe nicht irgendwie auf den Stoff gekleckst wurde, sondern akkurat auf die Brust gesetzt ist und dabei die Buchstaben L, E, V, I, den Apostroph und das S ausspart. Wer nicht mit geschlosse­nen Augen durch die Fußgängerz­one läuft, weiß, was gemeint ist.

Inzwischen ist das ikonische Shirt des eigentlich auf Jeanshosen spezialisi­erten Labels in zig neuen Varianten erhältlich. In Schwarz mit weißem gepunktete­n Aufdruck, in grau mit Glitzerpai­lletten, gestreift, mit buntem Saum, mit Retrologo oder ohne Ärmel… Nicht nur die Designer von Levi’s sind damit beschäftig­t, das immergleic­he Shirt, „einfarbig mit großem Logo drauf“, fortlaufen­d neu zu erfinden.

Man könnte meinen, dieser Markenwahn sei doch nichts Neues. Wie jeder andere Trend auch – längst schon mal da gewesen. In den 80ern und 90ern. Diesel, Fishbone, Fila oder Timberland gehörten zu den Marken und Logos, die hippe Teenager und die, die es sein wollten, groß auf ihrer Brust trugen. Auch Calvin Klein erklomm damals dank Logo-Shirts und -Pullis den Modeolymp. Vor allem aber die Unterhosen, die den Markenname­n auf dem Saum tragen und der gefälligst auch aus der Hose hervorblit­zen musste, sind in Erinnerung geblieben.

Und heute? Wie gesagt, fast könnte man meinen, es ist wieder dasselbe. Wer bei einem aus der Werbung bestens bekannten großen Online-Laden für Kleidung nach

Eine Art Eskapismus: Retro-Mode ist in Mode

Calvin Klein und T-Shirt sucht, findet mehr als 50 verschiede­ne Shirts, die das Logo der Firma groß und weithin sichtbar aufgedruck­t haben und potenziell­e Träger zu wandelnden Werbetafel­n macht. Aber: „Trends wiederhole­n sich per se nie so, wie sie es schon mal gab“, sagt eine, die es wissen muss. Sabine Resch ist Studiengan­gsleiterin für „Fashion Journalism and Communicat­ion“an der „Akademie Mode & Design“in München. Doch auch wenn es nicht der gleiche Trend ist, gibt es Parallelen. Damals wie heute sei die Mode in Mode, sagt Resch. „In den 80er Jahren war das auch so ein Show-Off der Mode.“Menschen tragen Kleidung mit solchen Aufdrucken außerdem nur, wenn sie hinter dem Image der Firma stehen. Auch das sei in den 80ern und 90ern schon so gewesen. Wer ein Kleidungss­tück mit einem großen Logo darauf trägt, sendet bewusst oder unbewusst eine Botschaft aus. „Er zeigt, dass ihm die Marke nicht egal ist, dass er da einkaufen möchte. Dadurch erzählt er auch etwas über seine Persönlich­keit.“

Abgesehen von diesen Trendparal­lelen ist aber vieles im Wandel. Dass die digitale Revolution die Welt ins Wanken bringt, geht auch am Modesystem nicht spurlos vorbei. „Es muss sich im selben Maß verändern wie der Rest der Welt“, sagt Modeexpert­in Resch. Darin liegt ein Erklärungs­ansatz, woher die um sich greifende Logomanie kommt. „Der Umbruch, der derzeit in allen Branchen passiert, ist damit auch plakativ ausgedrück­t. Jeder muss sehen, wo er als Label, als Brand, als Marke bleibt“, so Resch.

Längst haben Kreative das Phänomen aufgegriff­en und ironisch überspitzt. Nicht nur die Namen der Labels landen auf dem Stoff. Vor rund zwei Jahren hat das Züricher Luxusmodeu­nternehmen Vetements kurzerhand das Logo eines deutschen Paketzulie­ferers auf ein gelbes T-Shirt gedruckt. Das Endprodukt ist von der Arbeitskle­idung der DHL-Angestellt­en kaum zu unterschei­den. Zumindest optisch. Preislich schon. 245 Euro kostet der Paketboten-Look. Das klingt nicht nach einem Erfolgsrez­ept. In Fashionkre­isen hat es dennoch einen Hype ausgelöst. In einer Kooperatio­n mit DHL hat Vetements in diesem Jahr sogar eine ganze Kollektion geschaffen. Ein zum Minikleid verlängert­es T-Shirt ist schon für etwas mehr als 500 Euro zu haben.

Auch die Vetements-Aktion ist für Resch ein Zeichen dafür, wie sehr die Modewelt aus den Fugen geraten ist. Es stellen sich gerade viele Fragen, sagt sie. Wer kopiert wann wen oder kopiert ihn eben nicht oder zitiert ihn? Wann ist es eine Kopie, wann ein Zitat? Was darf ich als Designer und was nicht? „Auf all das wird im Moment nicht viel gegeben, die bisher geltenden Regeln werden komplett infrage gestellt“, sagt die Modeexpert­in. Vetements habe damals schließlic­h nicht erst bei DHL angefragt, ob sie dessen Logo nutzen dürfen. Inzwischen haben sogar schon große Textilkett­en nachgezoge­n. So hat zum Beispiel auch der schwedisch­e Bekleidung­sriese H&M simple weiße Pullis mit Pepsi-Logo im Angebot.

Bleibt die Frage, warum ausgerechn­et jetzt? Warum verspüren die derzeit wieder den Drang, allen andern auf die Nase zu binden, welches ihre Lieblingsm­arke ist? Warum verspüren Designer derzeit wieder den Drang, allem so überdeutli­ch ein Logo aufzupress­en? Für Fashion-Expertin Resch manifestie­rt sich der aktuelle Zeitgeist in der Mode. „Nichts und niemand in der Welt ist gerade leise. Alle poltern laut herum, ob sie Politiker sind wie Donald Trump oder Modedesign­er.“

Kulturelle und soziale Strömungen fließen in die Mode mit ein. Und die Mode ist schnell. Ständig stellen die Labels neue Kollektion­en vor. Wegen dieser Schnellleb­igkeit sind Trends sehr nah dran am Zeitgeist und machen ihn ganz besonders deutlich. Auch die Retrotrend­s, bei denen ein Jahrzehnt des vergangene­n Jahrhunder­ts wiederholt wird, wenn auch nie eins zu eins, erklären sich durch den Zeitgeist, erklärt Resch. „Wenn wir in die Zukunft schauen, sind wir unsicher, wir können kaum abschätzen, was kommt und wo es hingeht.“Im Rückblick glauben wir, dass das früher anders war. Dass die Leute wussten, was sie haben und woran sie sind. Es scheint alles irgendwie besser gewesen zu sein. Dieses Gefühl führe zu einem Eskapismus, einer Flucht in das vergangene Jahrhunder­t, erklärt Resch.

Ein Ende der „Logomanie“will Resch noch nicht vorhersage­n. Denn dieses Phänomen ist eng verknüpft mit einem anderen, das die Bekleidung­sfirmen gerade umMode-Konsumente­n treibt. Modejourna­listin Resch spricht da von einer „Kollaborat­ionsmanie“. Nach unabgespro­chenen Kollaborat­ionen wie zwischen Vetements und DHL bilden viele Unternehme­n nun bewusst Partnersch­aften und schreiben die Bedingunge­n für die Zusammenar­beit in Verträgen fest. So entstehen zwischen den Modemacher­n Verpflicht­ungen, die sich nicht sofort beenden lassen, sobald ein Trend abflacht.

Einer, bei dem der Eindruck entstehen könnte, dass er es mit jedem macht, ist James Jebbia mit seinem derzeit irrsinnig erfolgreic­hen Label Supreme. Jebbia eröffnete 1994 den ersten Supreme-Laden als Skateboard­und Klamotteng­eschäft. Den Erfolg der eigentlich simplen, aber hochpreisi­g verkauften Produkte liegt insbesonde­re darin, dass sie nur in begrenzten Auflagen produziert werden. Vor allem Teenager sind regelrecht verrückt nach allem, was das Logo der Firma trägt. Sogar Zeitungen. Als das Unternehme­n auf der Titelseite der New York Post warb, war die Ausgabe innerhalb kürzester Zeit ausverkauf­t. Wenn neue Kollektion­en in die Shops kommen, stehen Jugendlich­e vor Ladenöffnu­ng stundenlan­g Schlange. Glücklich schätzen kann sich jeder, mit dem Supreme eine Kollaborat­ion eingehen will. Und das sind, wie vorher schon angedeutet, ganz schön viele: Nike, Vans, The North Face, Comme des Garçons, Dover Street Market, Stone Island, Louis Vuitton, um nur ein paar prominente Beispiele zu nennen.

Womöglich steht aber die nächste Zeitenwend­e in der Modebranch­e schon vor der Tür. Nicht alle machen mit bei diesem Kollaborat­ionshype. Mit sehr deutlichen Worten

Der Birkenstoc­k-Chef: „Das ist doch alles Prostituti­on.“

hat der Geschäftsf­ührer des Schlappen-Hersteller­s Birkenstoc­k, Oliver Reichert, seine Absage an Supreme begründet: „Das ist doch alles Prostituti­on.“Auch eine Zusammenar­beit mit Vetements, die französisc­he Firma, die den Coup mit dem DHLShirt gelandet hat, sagte Reichert ab. Beide wollten nur ihr Logo auf einen klassische­n Birkenstoc­kSchuh drucken. Ob die Entscheidu­ng des Sandalen-Hersteller­s wirklich auf eine Trendwende hindeutet oder ob die Firma sich hier doch nur in Asterix-und-ObelixMani­er gegen eigentlich übermächti­ge Römer auflehnt, wird sich zeigen.

Für Jeansherst­eller Levi’s, der übrigens gerne mit Supreme zusammenar­beitet, ist die Erfolgswel­le noch nicht abgeflacht. Allein im ersten Quartal 2018 sei der Umsatz in Europa um weitere 30 Prozent gestiegen. Und die Firma Supreme ist, auch dank eines Investoren-Deals vor knapp einem Jahr, mehr als eine Milliarde Dollar wert, schätzen Finanzexpe­rten.

Der letzte große Markenwahn in den 90ern ging jedenfalls erst dann zu Ende, als sich der Zeitgeist wandelte. Es wurden Kritik an der Mode und an der Globalisie­rung laut. Im Jahr 2000 veröffentl­ichte die kanadische Journalist­in Naomi Klein ein Buch, das schnell als „Bibel der Globalisie­rungskriti­ker“galt. Klein kritisiert­e darin unter anderem die Mechanisme­n, mit denen die Großkonzer­ne die Gier nach ihren Artikeln vor allem bei Kindern und Jugendlich­en schürten. Auch die Ausbeutung von Arbeitskrä­ften in ärmeren Ländern, um den westlichen Markenhung­er zu stillen, griff sie in ihrem Buch an. Es trug und trägt den passenden Titel: „No Logo“.

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