Augsburger Allgemeine (Land West)
Die unheimliche Provokation
An Hans-Georg Maaßen wäre beinahe die Koalition gescheitert. Offiziell bedauert der Ex-Geheimdienstchef sein Verhalten. Doch hinter verschlossenen Türen legt er nach. Selbst sein größter Unterstützer ist nun bitter enttäuscht
Berlin Hans-Georg Maaßen hat für seine Abrechnung mit Teilen der Bundesregierung und der Medien ein Forum gewählt, das so geheim ist wie kaum ein anderes auf der Welt. Und doch wird der scheidende Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz genau gewusst haben, dass ihm gerade dadurch die größtmögliche Aufmerksamkeit zuteilwerden würde. Dass damit an seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand kein Weg mehr vorbeiführt, dürfte Maaßen nicht nur billigend in Kauf genommen haben. Vieles deutet darauf hin, dass der 55-jährige Spitzenbeamte genau dies provozieren wollte.
Nachdem der Streit über seine umstrittenen Äußerungen zu den Ausschreitungen in Chemnitz die Bundesregierung im Spätsommer an den Rand des Scheiterns gebracht hatte, schien die „Causa Maaßen“zunächst beendet. Nach einigen Wendungen war entschieden worden, dass Maaßen als Sonderbeauftragter ins Innenministerium von Horst Seehofer (CSU) wechseln sollte. Doch dazu kommt es nicht.
Maaßen wird sofort von seinen Aufgaben freigestellt, verkündete Seehofer am Montag. Grund sei die Rede Maaßens im „Berner Club“, dem die Chefs der Inlandsgeheimdienste der 28 EU-Länder sowie Norwegens und der Schweiz angehören. Die Runde trifft sich zweimal im Jahr. Nichts soll aus den Sitzungen nach außen dringen. Klar ist dass die Geheimdienstchefs anschließend ihren Regierungen Bericht erstatten. So drang über Spitzenpolitiker aus befreundeten Staaten an Horst Seehofers Ohr, was sein Mitarbeiter beim Treffen am 18. Oktober in Warschau zu sagen hatte. Maaßen verabschiedete sich von seinen Kollegen – und stellte sich in seiner Rede als Opfer einer Verschwörung „linksradikaler Kräfte in der Bundesregierung“dar.
Das Manuskript der Rede war kurz darauf auch im Intranet des Bundesamts für Verfassungsschutz zu lesen. Jeder der mehr als 3000 Mitarbeiter der Behörde konnte das Dokument sehen – und es dauerte nicht lange, bis die Inhalte nach draußen drangen. In seiner Rede erhebt Maaßen schwere Vorwürfe. Seine Äußerungen zu den Vorfällen in Chemnitz waren nach seiner Darstellung „für linksradikale Kräfte in SPD, die von vorneherein dagegen waren, eine Koalition mit der CDU/CSU einzugehen, der willkommene Anlass, um einen Bruch dieser Regierungskoalition zu provozieren“. Und weiter: „Da ich in Deutschland als Kritiker einer idealistischen, naiven und linken Ausländerund Sicherheitspolitik bekannt bin, war dies für meine politischen Gegner und für einige Medien auch ein Anlass, um mich aus meinem Amt zu drängen.“
Verteidigt hat Maaßen in seiner Abschiedsrede auch seine Äußerungen zu Chemnitz, die am Beginn der Affäre standen. Ende August war es dort zu Protesten und rassistisch motivierten Übergriffen gekommen, nachdem ein Mann bei einem Stadtfest erstochen worden war. Bei den mutmaßlichen Tätern handelt es sich um Asylbewerber. Aussagen in einem Interview, das Maaßen daaber, mals der Bild gab, wurden als Verharmlosung der Ausschreitungen scharf kritisiert. Maaßen hatte Zweifel an der Echtheit von Videoaufnahmen geäußert, die einen Angriff auf Ausländer zeigen sollen. Insbesondere bestritt er, dass es zu „Hetzjagden“gekommen sei – genau diesen Begriff hatte kurz zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel verwendet. Schnell wurde der offene Widerspruch des Behördenchefs zum Politikum. Im Gegensatz zu Äußerungen im Innenausschuss, in denen Maaßen das Interview bedauerte, hat er in seiner Abschiedsrede seine Aussagen bekräftigt.
Innenminister Seehofer nannte Maaßens Aussagen am Montag „inakzeptabel“und die Versetzung des Beamten in den einstweiligen Ruhestand „ein Signal für eine Rückkehr zu einer sachorientierten Zusammenarbeit in der Bundesreder gierung“. Erst wenige Wochen zuvor wäre die Große Koalition an der Maaßen-Affäre beinahe zerbrochen. Denn Seehofer hielt seine schützende Hand über den Mitarbeiter, bis die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles dem CSU-Chef eine Art Ultimatum stellte. Bei einer Wahlkampfveranstaltung sagte sie: „Herr Maaßen muss gehen, und ich sage euch, er wird gehen.“
Nahles, Merkel und Seehofer beschlossen dann, Maaßen zwar als Geheimdienstchef abzulösen, ihn gleichzeitig aber zum Staatssekretär im Innenministerium zu befördern – bei deutlich gestiegenen Bezügen. Der vermeintliche Kompromiss machte alles noch schlimmer. In der Bevölkerung herrschte gewaltiger Unmut über die Absetzung bei gleichzeitiger Beförderung. Schließlich ruderte Seehofer zurück: Maaßen sollte als Abteilungsleiter ins Innenministerium wechseln, mit den gleichen Bezügen wie als Geheimdienstchef. Selbst daraus wird nun nichts: Nach Maaßens unheimlicher Provokation im heimlichen Berner Club riss auch seinem Unterstützer Seehofer der Geduldsfaden.
Nun will Maaßen vielleicht selbst Politik machen. Im Bundestag gibt es aber nur noch eine Partei, in der man voll des Lobes für ihn ist. „Herr Maaßen ist ein pflichtbewusster, exzellenter und sorgfältiger Beamter“, findet AfD-Chef Jörg Meuthen. Und sein Co-Vorsitzender Alexander Gauland glaubt, „dass Herr Maaßen ein Fachwissen hat, das wir gut gebrauchen können“.