Augsburger Allgemeine (Land West)
Per Anhalter ans Ziel
Langsam kommt das größte Verkehrsvorhaben in der Geschichte des Landkreises in Fahrt. Der Ausbau zweier Bahnstrecken bedeutet gigantische Investitionen. Die Frage ist nur: Wann?
Wer die gigantischen Investitionen sieht, die für den Bahnausbau nötig sind, der ahnt schon: Nur wegen der Pendlerzüge aus dem Augsburger Land wären sie nur schwerlich zustande gekommen. Der bayerische Bahnchef Josel hat das vor einigen Jahren im Augsburger Kreistag schon einmal ziemlich unverblümt kundgetan. Doch weil Verkehrsexperten einen Flaschenhals befürchten, erhält nun auch der Ausbau der Bahnstrecke im nördlichen Landkreis das Etikett der „gesamtwirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit“. Dass die bisherige Verkehrspolitik, die der Straße meist den Vorzug vor der Schiene gab, in eine Sackgasse geführt hat, dürfte ebenso eine Rolle gespielt haben. Der Ausbau des Nahverkehrs ist das Gebot der Stunde und somit kommen auch die dritten Gleise für das Augsburger Land sozusagen per Anhalter ans Ziel – was übrigens noch sehr lange dauern kann. Was nicht heißen soll, dass das Vorhaben lässlich wäre. Im Gegenteil: Für den florierenden Wirtschaftsraum Augsburg ist ein gutes Nahverkehrsangebot überlebenswichtig und dazu gehört zwingend ein Schienennetz, das als Rückgrat dieses Angebotes taugt. Was wir nun erleben, ist ein erster Schritt dorthin. Aber auch nicht mehr.
Landkreis Augsburg Schlappe zwei Milliarden Euro: So viel will sich der Bund den Ausbau der Bahnstrecken durch den nördlichen und westlichen Landkreis Augsburg kosten lassen. Geschätzt. Wie viel Geld das Vorhaben letzten Ende wirklich verschlingen wird, kann derzeit niemand seriös sagen. Dafür sind noch zu viele Dinge unklar, zum Beispiel der Zeitpunkt des Baus.
Sicher aber ist seit gestern: Nicht nur zwischen Augsburg und Dinkelscherben soll es ein drittes Gleis geben, sondern auch zwischen Augsburg und Donauwörth. Verkehrsminister Andreas Scheuer hat die Nordstrecke neben anderen Projekten in den sogenannten vordringlichen Bedarf hochgestuft. Und das sei ein ganz wichtiger Schritt, sagt der Neusässer Bundestagsabgeordnete Hansjörg Durz: „Die Entscheidung, dass es realisiert werden soll, ist jetzt gefallen.“
Dafür hatten viele Politiker aus der Region mehr als zwei Jahrzehnte lang gekämpft, hatten Pendler Petitionen unterschrieben und Bürgermeister Resolutionen verfasst. Sogar einen Geldkoffer wollten örtliche Politiker vor fast zehn Jahren nach München bringen, um die Planung zu beschleunigen. Denn der Ausbau der Gleise durch den nördlichen und westlichen Landkreis gilt als Grundvoraussetzung für einen verlässlichen Viertelstunden-Takt.
Regionale S-Bahn kam vor mehr als zehn Jahren in Fahrt
Diese regionale S-Bahn für den Raum Augsburg nahm Ende 2007 allmählich Fahrt auf. Die vollständige Umsetzung scheitert aber an den Engpässen auf der Schiene. Zentraler Baustein ist der Umbau des Augsburger Hauptbahnhofs zur Mobilitätsdrehscheibe, die Straßenbahn, Busse und Züge miteinander verknüpft. Auch dieses bis zu 250 Millionen Euro teure Bauvorhaben (aktuelle Prognose) profitiert, wenn die Bahnstrecken ausgebaut sind.
Wann das der Fall sein wird, ist noch völlig offen. Allein mit Blick auf den langen Planungsprozess von Schienenprojekten sei klar, dass das dritte Gleis nicht von heute auf morgen realisiert werden könne, sagt Durz. „Im weiteren Verfahren ist es wichtig, die Region mit einzubeziehen“, macht der Abgeordnete deut- lich. „Denn bei allen positiven Effekten für den Personenverkehr, bedeutet das dritte Gleis natürlich auch höhere Kapazitäten für den Güterverkehr und Veränderungen beim Nahverkehr. Das kann nur im Einklang mit allen Betroffenen vorangetrieben werden.“
Der SPD-Landtagsabgeordnete Harald Güller (Neusäß), der ebenfalls schon lange mit dem Projekt zu tun hat, fordert dennoch Tempo: „Jetzt geht es darum, dass die beiden dritten Gleise Richtung Donauwörth und Richtung Ulm bald real in Angriff genommen werden.“
Dabei sind die Ausbaupläne zwischen Augsburg und Ulm schon ein kleines Bisschen weiter. Hier hat die Bahn bereits angefangen, ihre Vorstellungen zu entwickeln. Ausgebaut werden soll die bestehende Strecke zwischen Augsburg und Dinkelscherben (drittes Gleis), während ab Dinkelscherben bis Neu-Ulm auch eine Neubaustrecke möglich ist. Schließlich sollen dort die Züge bis zu 250 Kilometer pro Stunde schnell fahren können. Kostenschätzung für die knapp 70 Kilometer Bahnausbau: rund 1,5 Milliarden Euro.
Zwischen Augsburg und Donauwörth könnte es für ein Drittel dieser Summe gehen; 488 Millionen Euro stehen nach Angaben der SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrike Bahr zur Verfügung. Allerdings seien die Pläne bislang noch sehr vage.
Wobei diese Schätzwerte in Bezug auf die Baukosten für die Entscheidung des Bundes offenbar nicht so wichtig sind. Man reagiere auf Entwicklungen und Zuwächse im Schienenverkehr, sagt der nordschwäbische Abgeordnete Ulrich lange (CSU). „Die Berechnungen des Verkehrsministeriums zeigen, dass der Bedarf hier in der Region da ist. Das ist ein echtes Zukunftsprojekt.“
Für den Ausbau zwischen Augsburg und Ulm gilt das Großprojekt Stuttgart 21 als Lokomotive, zudem ist die Strecke Bestandteil einer europäisch wichtigen Ost-West-Verbindung. Hier wollten die Verkehrspolitiker in Bayerisch-Schwaben keinen „Flaschenhals“riskieren, in dem als erstes die regionalen Pendlerzüge auf der Strecke bleiben, weil der Fernverkehr Vorfahrt hat. So lauteten zumindest die Befürchtungen in der Vergangenheit.
Prognose sagt Überlastung der Strecke voraus
Ähnlich, aber doch anders ist die Situation auf der Nordstrecke. Darauf weist die Industrie- und Handelskammer (IHK) hin, die ebenfalls seit Jahren auf einen Ausbau dringt. In der Verkehrsprognose des Bundes von 2015 habe sich abgezeichnet, dass der Abschnitt AugsburgDonauwörth in einigen Jahren überlastet sein werde.
„Das dritte Gleis verhindert die Gefahr, dass sich die Bahn irgendwann gezwungen sieht, wegen der Überlastung der Strecke durch langsamere Güter- und Regionalzüge weitere ICE zwischen Nürnberg und München auf die Strecke über Ingolstadt abzuziehen. Damit hätte Augsburg im Fernverkehr noch einmal verloren.“ Seite 8