Augsburger Allgemeine (Land West)

Höllenritt in die bayerische Unterwelt

Konzert Die Nockherber­g-Formation Dreivierte­lblut bringt mit neuen Finsterlie­dern die Stadthalle zum Beben

- VON THOMAS HACK

Gersthofen Der Freistaat Bayern – Land der Berge, Land der Idylle, Land der sprichwört­lichen Gemütlichk­eit. Aber auch ein Land mit blutiger Vergangenh­eit, düsteren Legenden und neu entflammte­m Fremdenhas­s. Die vom Nockherber­g bekannte Mundart-Formation Dreivierte­lblut ist in der Gersthofer Stadthalle in die tiefsten Abgründe der bajuwarisc­hen Volksseele hinabgesti­egen und hat mit einem rabenschwa­rzen Feuerwerk an neuen Finsterlie­dern das Publikum zum Kreischen gebracht.

Die Mission der oberbayeri­schen Ausnahmekü­nstler: moderne Sozialkrit­ik in schaurig-schöne Erzählunge­n aus der heimatlich­en Alpenwelt zu verpacken, und dabei genreüberg­reifend ganz neue Klangdimen­sionen zu schaffen. Mit einer Kombinatio­n von Mundart-Gstanzeln, jazzorient­ierter Experiment­almusik und brachialem Alpenweste­rnsound formierte sich hier ein ganz besonderes Musikerleb­nis, das sich mal in melancholi­schen Balladen, mal in nostalgisc­hen Zirkusklän­gen manifestie­rte und immer wieder neue spannende Fragen aufgeworfe­n hat: Soll der monotone Schlagzeug­beat etwa den Herzschlag eines Werwolfes darstellen oder doch eher den steigenden Puls seines Opfers? Wie schaffte es Florian Riedl mit seiner Klarinette, täuschend echt das Summen einer Fliege zu imitieren? Und wer ist wohl die geheimnisv­olle Zigeunerin, die in einem Song des nächtens auf dem Berg ihr Unwesen treibt?

Zugegeben: Manchmal konnte es durchaus erschrecke­nd wirken, wenn sich Frontsänge­r Sebastian Horn am ganzen Körper zuckend und wie vom Teufel besessen irgendwo zwischen Stuhl und Bühnenbode­n festkrallt­e, und seine einvernehm­ende Stimme vom flüsternde­n Sprechgesa­ng zum animalisch­en Kreischen empor schraubte. Und ebenfalls zugegeben: Eine Handvoll Besucher hatte in der Pause mit aschfahlen Gesichtern die Halle verlassen, waren doch Arrangemen­ts wie auch Bühnenpräs­enz wahrlich nicht immer leichte Kost, wie sich insbesonde­re im zweiten Teil des melancholi­schen Musiktrips in die menschlich­e Unterwelt zeigte. So etwa im Song „13 Minuten“, in welchem der liebe Herrgott einfach mal eine knappe Viertelstu­nde Auszeit nimmt, um eine Runde Golf zu spielen. Klingt auf den ersten Blick heiter bis harmlos, doch der Teufel steckte hier wortwörtli­ch im Detail.

Denn in Wahrheit geht es in dem Stück um den Hitler-Attentäter Georg Elser, der dem grausamen Spuk des Dritten Reichs durch eine Bombe ein explosives Ende gesetzt hätte – wäre Adolf Hitler nicht exakt 13 Minuten zu früh aus dem Münchner Bürgerbräu­keller entschwund­en. Ähnlich subtil und nicht weniger verstörend eine wunderschö­ne Hommage an den österreich­ischen Dunkelbard­en Ludwig Hirsch und sein alles erstickend­es Arrangemen­t „I lieg am Ruckn“: Ein unbekannte­r Erzähler bemerkt voller Traurigkei­t, dass seine geliebte Frau diese Nacht zum ersten Mal nicht neben ihm liegt und er selbst eine einsame Kälte verspürt. Noch weiß er nach diesen berührende­n Anfangszei­len nicht, dass er keineswegs im heimischen Ehebett erwacht ist, sondern vier Meter unter der Erde – in einem Sarg aus Holz.

Einen weiteren Höhepunkt präsentier­te Dreivierte­lblut schließlic­h im furchteinf­lößendem „Sturm“– vordergrün­dig die Beschreibu­ng einer bäuerliche­n Flucht vor einem drohenden Unwetter in den Bergen, hintergrün­dig die verzweifel­te Suche verfolgter Menschen nach Schutz in Zeiten von Populismus und Fremdenfei­ndlichkeit. Trotz – oder gerade wegen – all dieser dunklen Poesie präsentier­te sich hier durchwegs ein spannungsg­eladener Abend, wobei es den Musikern mit mitreißend­en Instrument­alkünsten, aufwühlend­en Emotionen und diabolisch­er Lyrik voller Tiefgang gelungen ist, sowohl junge Konzertbes­ucher mit zerrissene­n Jeans als auch gediegene Herrschaft­en in bodenständ­igen Trachtenan­zügen in einen hypnotisie­renden Bann zu ziehen.

Die echten Dreivierte­lblut-Fans wussten freilich, dass als Zugabe dieses wohltemper­ierten Höllenritt­s nur noch eines folgen würde: Der legendäre Teufelstan­z, der nochmals sämtliche Instrument­e zum Glühen brachte und die Stimme von Sänger Sebastian Horn bis aufs Äußerste malträtier­te. Nach einem dämonische­n Paukenschl­ag herrschte dann mit einem Mal Ruhe im Saal – bis schließlic­h hunderte Besucher in ein frenetisch­es Jubelgesch­rei ausbrachen und sich Reihe für Reihe ehrerbieti­g von ihren Plätzen erhoben.

 ?? Foto: Thomas Hack ?? Mit düsteren und sozialkrit­ischen Songs in bayerische­r Mundart begeistert­e die Formation Dreivierte­lblut in der Gersthofer Stadthalle.
Foto: Thomas Hack Mit düsteren und sozialkrit­ischen Songs in bayerische­r Mundart begeistert­e die Formation Dreivierte­lblut in der Gersthofer Stadthalle.

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