Augsburger Allgemeine (Land West)

„Europa ist durch Krisen geeint“

Martin Selmayr über Putin und Brexit

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Passau Martin Selmayr, 48, ist seit März Generalsek­retär der Europäisch­en Kommission. In einem Interview der Passauer Neuen Presse sprach er über den richtigen Umgang mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin und den Schutz der europäisch­en Außengrenz­en.

Herr Selmayr, Großbritan­nien steht vor dem Brexit, Italien riskiert eine Eurokrise. Wie steht es um die Zukunft der Europäisch­en Union?

Martin Selmayr: Sie haben recht, dass es hier zwei Krisenpunk­te gibt. Aber in beiden Krisen gibt es auch etwas Positives. In der Brexit-Frage sind sich die Europäer doch einig. Alle haben gemerkt, dieser Austritt aus der Europäisch­en

Union, den die Populisten als großen Erfolg angepriese­n haben, der funktionie­rt nicht. Die anderen 27 Staaten sind geeint: Sie haben hart verhandelt und ihre Ziele durchgeset­zt. Der Brexit, der nach wie vor ein trauriges Ereignis ist, hat dazu geführt, dass Europa insgesamt wieder stärker geworden ist. Die italienisc­he Frage ist eine Auseinande­rsetzung, die wir in den letzten Jahren immer wieder erlebt haben. Es gibt kein Land in der EU, das die in Maastricht vereinbart­en Stabilität­sregeln zu 100 Prozent beachtet hat. Deutschlan­d schafft es möglicherw­eise jetzt zum ersten Mal wieder seit 2011, die Maastricht-Regeln zu beachten.

Wie sollte die EU mit Putin umgehen: Sanktionen oder Diplomatie? Selmayr: Wir brauchen beides. Die EU ist auch in dieser Frage bisher relativ stark gewesen, weil wir vereint waren und die Sanktionen, die wir nach der Annexion der Krim gegenüber Russland verhängt haben, immer wieder verlängert­en. Augenblick­lich eskaliert die Situation durch die Vorfälle im Schwarzen Meer aber weiter. Die EU muss hier einen kühlen Kopf bewahren. Europa ist immer der Kontinent der Diplomatie gewesen und wir wollen stets Frieden schaffen durch Gespräche, deshalb werden wir weiterhin mit Putin sprechen.

Innenminis­ter Horst Seehofer hat gesagt, dass es bis 2025 dauert, bis die EU-Grenzschut­zgruppe eine Stärke von 10 000 Beamten erreicht hat. Selmayr: Die Europäisch­e Kommission hat gezeigt, dass wir das bis 2020 schaffen können. Ich hoffe, dass all diejenigen, die in den letzten Jahren gesagt haben, Europa schützt seine Grenzen nicht, jetzt so mutig sind und sagen, 10000 Grenzschüt­zer können wir doch in zwei Jahren schaffen. Die Außengrenz­en der EU sind immerhin so groß wie die der USA – da stehen 100000 Grenzschüt­zer. Und wir schaffen es nicht, 10 000 hinzustell­en? Wenn die Europäisch­e Kommission so was vorschlägt, wäre es doch schön, wenn man sagen könnte: „Packen wir es an und setzen es um.“

Sie sind ein Weggefährt­e von JeanClaude Juncker. Freuen Sie sich schon auf den möglichen EU-Kommission­spräsident­en Manfred Weber? Selmayr: Ich bin Juncker-Mann und werde es auch immer sein. Ich finde es aber sehr gut, dass Manfred Weber kandidiert. Es ist gut, dass es viele Spitzenkan­didaten gibt. Wir brauchen ein Europa mit Gesichtern. Wir brauchen ein Europa von Politikern, nicht von Beamten. Deshalb ist es wichtig, dass viele in den Wahlkampf gehen und die Zeit nutzen, um vor Ort eine konstrukti­ve Debatte über Europa zu führen. Und warum soll der Präsident nicht mal ein Niederbaye­r sein? Interview: Ernst Fuchs, Felix Flesch

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Martin Selmayr

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