Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Stimme der Jesidinnen

Nadia Murad nimmt den Friedensno­belpreis entgegen. Daran hat auch Deutschlan­d großen Anteil

- VON ULRIKE BÄUERLEIN

Oslo Blaulicht, Fanfaren, roter Teppich, Ehrengäste aus aller Welt: Die Verleihung­szeremonie des Friedensno­belpreises an die jesidische Menschenre­chtskämpfe­rin Nadia Murad und den kongolesis­chen Arzt Denis Mukwege an diesem Montag im Rathaus von Oslo ist an äußerliche­m Pomp schwer zu überbieten.

Kaum zu überbieten in ihrem Schrecken sind aber auch die Geschehnis­se, die dazu führten, dass die junge Jesidin und der gestandene Gynäkologe aus dem Kongo hier auf der Bühne stehen. Mukwege betreibt im Kongo ein Krankenhau­s, in dem er Frauen hilft, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind. Die irakische Menschenre­chtsaktivi­stin Murad wurde selbst gefangen gehalten und brutal missbrauch­t. Sie kämpft nun gegen die Versklavun­g ihrer jesidische­n Glaubenssc­hwestern durch die Terrormili­z Islamische­r Staat. Das Wissen darum – hier das glanzvolle Fest, dort das Grauen – prägt auch die Reden der beiden. Am Ende bewahren sie nur mühsam die Fassung über den minutenlan­gen Applaus, der ihnen entgegenbr­andet. Murad und Mukwege wissen: Der Friedensno­belpreis gilt nicht nur ihnen, sondern auch dem Leid derer, das sie an diese Stelle gebracht hat. Und beide führen auch auf unterschie­dliche Art eine scharfe, eine bittere Anklage: nicht nur gegen die Täter, sondern auch gegen eine Welt, die dem Grauen tatenlos zusieht.

Indirekt geht der Nobelpreis nach Deutschlan­d: Nadia Murad kam über ein Hilfsprogr­amm nach Süddeutsch­land, lebte jahrelang in Heilbronn. Baden-Württember­g hatte in den Jahren 2015 und 2016 rund 1000 Frauen und Kinder aufgenomme­n, die in Gefangensc­haft des IS waren. Sie werden therapeuti­sch betreut.

Die 25-jährige Nadia Murad steht in Oslo als Frau von großem Mut, die die Scham über ihre eigene Schändung überwindet. Erst durch sie hat die Welt in den vergangene­n vier Jahren erfahren von den Schändunge­n jesidische­r Mädchen und Frauen durch die Terrormili­zen des IS im Irak und in Syrien. „Was wäre, wenn diese Mädchen, die wie Ware gehandelt werden, eine Schiffslad­ung Waffen, ein Ölfeld oder ein Handelsdea­l wären?“, fragt Murad. Und gibt die Antwort gleich selbst: „Höchstwahr­scheinlich würde kein Mittel unversucht bleiben, um sie zu befreien.“Dass die Welt kein Mittel fand, um den Jesiden zu helfen, will Murad nicht in den Kopf. Murad bedankt sich für den Preis, „das ist eine große Ehre“. „Aber der einzige Preis, der unsere Würde wiederhers­tellen kann, ist Gerechtigk­eit, die Verfolgung der kriminelle­n Täter und Schutz für den Rest unserer Gemeinscha­ft.“

Als Kriegsverb­rechen unter den Augen der Welt, die aus Scham verschwieg­en und niemals geahndet würden, geißelt die Vorsitzend­e des Friedensno­belpreis-Komitees, Berit Reiss-Andersen, die sexuelle Gewalt „an den Frauen als unsichtbar­e Opfer“und fordert die Welt auf, die Täter zu verfolgen und zu bestrafen. Reiss-Andersen sagt: „Der Preis nimmt sie in die Pflicht, ihren Kampf fortzusetz­en, aber er verpflicht­et auch uns, ihnen zur Seite zu stehen, um diesen Kampf und diese sexuelle Gewalt zu beenden.“

Nadia Murad, im hochgeschl­ossenem blauschwar­zen Kleid, wirkt noch zierlicher als sonst. Vor ihr, in der ersten Reihe, sitzt ihr Verlobter Abid Schamdeen. Eine Reihe dahinter hat der baden-württember­gische Regierungs­chef Winfried Kretschman­n Platz genommen. Bei Kretschman­n bedankt sich Murad explizit. „Ohne ihn und die badenwürtt­embergisch­e Landesregi­erung wäre ich nicht in der Lage, heute meine Freiheit zu genießen und die Verbrechen des IS anzuklagen und die Wahrheit über das Leiden der Jesiden zu berichten“, sagt Murad in ihrer Rede. „Aber alle Opfer verdienen einen sicheren Hafen, bis ihnen Gerechtigk­eit zuteilwird.“Kretschman­n nimmt eine Botschaft mit: „Wir brauchen alle ein wenig von dem Mut, den diese Menschen in ihrem Kampf gezeigt haben. Wir brauchen mehr Mut, auch große Dinge anzugehen.“

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Foto: dpa Stolz auf die Auszeichnu­ng: Nadia Murad mit dem Friedensno­belpreis.

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