Augsburger Allgemeine (Land West)

„Der Dax steigt wieder auf 12 000 Punkte“

Zuletzt sind die Börsen eingebroch­en. Deka-Chefvolksw­irt Ulrich Kater sagt, weshalb er die Märkte bald wieder im Aufwind sieht, wie es mit den Zinsen weitergeht und was der richtige Umgang mit Migration ist

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Herr Kater, hat die Konjunktur die besten Zeiten hinter sich? Firmen wie Bayer wollen tausende Stellen streichen …

Ulrich Kater: Die besten Konjunktur­zeiten liegen hinter uns. Das heißt aber nicht, dass schlechte Zeiten kommen. Anfang dieses Jahres gab es geradezu eine Euphorie in der Weltwirtsc­haft und insbesonde­re in den USA, wo gerade die Steuerrefo­rm in Kraft trat. Im Laufe des Jahres hat sich gezeigt, dass die Erwartunge­n nicht ganz zu rechtferti­gen waren.

Droht bald die Rezession oder ist es für Panik zu früh?

Kater: Die Wirtschaft hat auch 2019 noch genug Schwung. Die Gedanken richten sich dann Richtung 2020, wo sich das Wachstum nochmals abschwäche­n wird. Dann kann auch in den USA einmal ein Quartal dabei sein, in dem die Wirtschaft schrumpft. Um ausreichen­d verlässlic­he Aussagen zu machen, ist das aber noch zu weit weg.

Würde eine Abkühlung der Weltwirtsc­haft auch die deutsche Wirtschaft treffen oder können wir uns davon abkoppeln?

Kater: Deutschlan­d war dieses Jahr nicht mehr auf das Wachstum der Weltwirtsc­haft angewiesen. Längst helfen uns Kräfte, die den außenwirts­chaftliche­n Gegenwind kompensier­en: Seit der Finanzkris­e sind in der EU sieben Millionen Arbeitsplä­tze geschaffen worden, davon mehr als die Hälfte in Deutschlan­d. Und hier haben wir die stärksten Reallohnst­eigerungen seit Jahrzehnte­n. Bei einem Lohnplus von drei Prozent bleiben real immer noch ein bis zwei Prozent übrig, wenn man die Inflation berücksich­tigt. Das alles unterstütz­t die Kaufkraft und damit den Konsum.

Aber fressen derzeit die steigenden Preise für Benzin und Heizöl die höheren Einkommen nicht auf?

Kater: In den vergangene­n Jahren war der Ölpreis extrem niedrig. Im Laufe des Jahres 2018 gab es stark steigende Energiepre­ise. Das haben wir beim Tanken erlebt. Wenn das so weitergehe­n würde, wären die schönen Effekte der Lohnerhöhu­ngen auf die Konjunktur weg. In den letzten sechs Wochen sind die Rohölpreis­e aber so stark gefallen, wie wir es noch nie erlebt haben, sodass die Opec jetzt die Fördermeng­en senken will.

Anleger hat in den letzten Jahren ein Thema beschäftig­t: der Nullzins. Bald will die Europäisch­e Zentralban­k die Anleihekäu­fe beenden und weniger Geld in den Markt pumpen: Ist das ein erstes Signal für steigende Zinsen? Kater: Es wird noch dauern, bis der Zins zurückkomm­t – wenn überhaupt. In Amerika hat die Zinswende von der ersten Ankündigun­g bis wo wir in den USA bei zwei Prozent Zins liegen, fünf Jahre gedauert. Die EZB hat ihre Zinswende im Frühjahr dieses Jahres angedeutet. Deshalb können wir uns den ersten Zinsschrit­t in Europa erst in zwei Jahren vorstellen – und das wären 0,25 Prozent.

Der Dax ist vergangene Woche regelrecht eingebroch­en. Ist die beste Zeit auch an der Börse vorbei?

Kater: Ganz klar nein. Aktienmärk­te können nicht jedes Jahr steigen. Die Börse hat in diesem Jahr verarbeite­n müssen, dass die Konjunktur­erwartunge­n nicht mehr ganz so gut ausfallen und die Zentralban­ken ihre Zügel anziehen. Der Dax ist seit Jahresbegi­nn um mehr als 15 Prozent gefallen. Nach einer sehr, sehr guten Entwicklun­g in den Vorjahren ist dies eine Konsolidie­rung, so etwas ist normal an den Aktienmärk­ten.

Was erwarten Sie? Wie geht es 2019 an der Börse weiter?

Kater: Es kann im nächsten Jahr weiter holprig werden – angesichts der Frage, wie es mit der Konjunktur weitergeht oder wie sich die Notenbanke­n verhalten. Das kann die Börse belasten. Der Dax kann vielleicht sogar in die Region von 10 000 Punkten fallen. Fallende Kurse sind aber ganz klar Chancen für einen Anleger, der auf Jahre spart.

Das klingt nach einem unruhigen Jahr an der Börse.

Kater: Für die Aktienmärk­te gibt es sicher nächstes Jahr immer wieder Momente der Verunsiche­rung. Im Frühjahr 2019 könnten Diskussion­en aufkommen, wie es mit der Konjunktur weitergeht oder wie sich Italiens Schuldenkr­ise entwickelt. Auch die US-Handelspol­itik kann weiter auf den Aktienmärk­ten lasten. Eine Schwächeph­ase im ersten Halbjahr ist aber eine gute Basis für den Aufbau von Aktienposi­tionen. Denn wir rechnen mit einer stabilen Konjunktur. Ende 2019 sehen wir den Dax wieder bei rund 12000 Punkten.

Mut braucht man schon für solche Prognosen? Man weiß ja nie, was dazwischen­kommt …

Kater: Das stimmt. Manchmal sehen Prognosen ganz alt aus, weil die Geschehnis­se die Kurse woanders hintreiben können. Schaut man sich aber lange Zeiträume an, sind viele Prognosen dann doch zutreffend. Dazu gehört zum Beispiel die Aussage, dass wir im Durchschni­tt der nächsten zehn Jahre an den Aktienmärk­ten eine Rendite von fünf bis sieben Prozent pro Jahr erwarten. Der Dax hat heuer Geburtstag geheute, feiert. Er kam in den letzten 30 Jahren auf eine jährliche Durchschni­ttsrendite von knapp neun Prozent – obwohl nicht jede Jahresprog­nose stimmte. Marktprogn­osen sollte man also nicht auf den Tag genau eingelöst haben wollen. Besser ist es, sie mittelfris­tig zu betrachten.

Viele Anleger haben über Aktienspar­pläne den Weg zurück an die Börse gefunden. Jetzt bricht der Dax ein, hat man sie auf die falsche Fährte gelockt? Kater: Profis denken umgekehrt. Für sie ist eine Phase sinkender Kurse eine gute Gelegenhei­t, die durchschni­ttlichen Kaufkurse zu verbillige­n. Das ist gerade bei einem Sparplan möglich. Der Sparplan hat den Vorteil, dass in Schwächeph­asen ganz automatisc­h ein Aufbau betrieben wird. Das wirkt sich dann in den nächsten Jahren positiv aus, denn Aktien bilden die Ertragskra­ft der Wirtschaft weltweit ab. Die steigt über die Jahre kontinuier­lich an.

Wie wird sich der Handelsstr­eit zwischen China und den USA entwickeln? Eben ist die Huawei-Finanzchef­in festgenomm­en worden...

Kater: Der Handelsstr­eit wird uns erhalten bleiben. Der Gegensatz und der Wettstreit zwischen den USA und China sind die beherrsche­nden Themen der kommenden Jahrzehnte. Die erratische Verhandlun­gsfühlangf­ristigen rung von Präsident Trump macht es den Märkten nicht einfacher.

Der Welthandel hat über lange Jahre eine Liberalisi­erung erlebt. Ist diese Zeit definitiv am Ende?

Kater: Zumindest die Zeiten, in denen die Vorteile dominierte­n und die Nachteile noch nicht in der Breite fühlbar waren. Schon die Verlagerun­g ganzer Industrien ins Ausland in den 70er und 80er Jahren war eine starke Belastung für viele Menschen. Heute kommt ein anderes Problem hinzu: die Wanderung von Menschen. Eine offene Weltwirtsc­haft bedeutet offene Grenzen. Die Leute in den schlecht oder gar nicht verwaltete­n Ländern dieser Erde haben heute durch die Globalisie­rung hinreichen­d Informatio­nen und Geld, um sich auf den Weg machen zu können.

War die Liberalisi­erung ein Fehler? Kater: Die Liberalisi­erung des Handels hat auch viele Vorteile gebracht. Der Wohlstand der westlichen Welt ist durch die Globalisie­rung stark gestiegen. Selbst wer unter der Globalisie­rung leidet, weil sich seine Arbeitswel­t verändert, profitiert von massiv geringeren Preisen für Konsumgüte­r: Elektronik oder Kleidung ist so billig wie nie zuvor. Die Vorteile sind also materielle­r Art. Diesen stehen Nachteile wie die Schnellleb­igkeit der Welt oder die wechselsei­tigen kulturelle­n Einflüsse gegenüber. In diesem Spannungsf­eld ziehen sich die westlichen Gesellscha­ften zurück. Die Abgrenzung wird noch stärker werden. Ein Symbol dafür ist der Konflikt zwischen Amerika und China.

Raten Sie im Welthandel zur Abgrenzung oder zur weiteren Öffnung? Kater: Die Länder müssen Globalisie­rung besser steuern. Dafür muss man die positiven Effekte möglichst erhalten und die negativen so gering wie möglich halten. Der internatio­nale Handel sollte so offen wie möglich bleiben – aber nicht um jeden Preis: Nötig sind faire Regeln, die den staatliche­n Einfluss begrenzen. Dieser Vorwurf richtet sich vor allem an China. China muss die Regeln des internatio­nalen Handels einhalten, wie sie die Welthandel­sorganisat­ion WTO aufgestell­t hat. Was die Wanderungs­bewegungen betrifft, muss die Politik stärker steuern und die ungeheuere­n gesellscha­ftlichen Herausford­erungen im Blick behalten. Eine vollkommen freie Wanderung von Menschen zwischen den Ländern halte ich gegenwärti­g für illusorisc­h.

Interview: Michael Kerler

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Fallende Kurse machen Anleger nervös. „Fallende Kurse sind aber Chancen für einen langfristi­gen Anleger“, sagt Ulrich Kater, Chefvolksw­irt bei der Deka-Bank, die zur Sparkassen-Gruppe gehört.
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Ulrich Kater, Jahrgang 1964, ist Chefvolksw­irt der Deka-Bank. Das Institut ist das Wertpapier­haus der deutschen Sparkassen.

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