Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Bahn ist im Dauerstreik
Als Fan des Zugfahrens und durchaus wohlwollender Nutzer der Deutschen Bahn darf man das mal, böse sein und feststellen: Die Bahn befindet sich im Dauerstreik – und das in den vergangenen Jahren im zunehmenden Maße. Wieder wird das falsche Zuggleis angezeigt, wieder sind die einzelnen Wagen umgekehrt als angegeben angereiht, wieder wurde die Kaffeemaschine vergessen, wieder sind die Gänge mit Gästen ohne Platzkarte verstopft, wieder funktionieren Toiletten nicht, wieder ist es zu heiß oder zu kalt. Und wieder wird es nichts mit Pünktlichkeit.
Wie sagte ein vom Gewerkschaftsstreik genervter Amerikaner: Deutsche Bahn, schlechte Bahn. Der Mann hat recht. Es hakt überall. Das ist kein böser Wille Einzelner, sondern Resultat eines traurigen Sachverhalts: Mensch und Material werden in dem Konzern nicht ausreichend gepflegt. Das wiederum ist das Ergebnis langen Missmanagements. Die Bahn braucht dringend mehr qualifiziertes Personal, an der Basis und ganz oben. Jahre der Einsparungen, als die Politik vergeblich versuchte, das Unternehmen an die Börse zu bringen, rächen sich.
So haben die Gewerkschaften in dieser Tarifrunde leichtes Spiel mit ihren Tarifpartnern auf Arbeitgeberseite. Die ArbeitnehmerVertreter können ihre Kontrahenten vor sich hertreiben und mit einem Katalog von 37 Forderungen konfrontieren. Am Ende wird die Unternehmensseite einlenken, hat sie doch genügend mit der Bewältigung des täglichen Bahnstreiks zu tun. Und weil der Konzern härter als früher um Nachwuchs kämpfen muss, erweisen die Gewerkschaften der Bahn-Spitze mit ihren hohen Lohnforderungen letztlich sogar einen Gefallen. Denn mit einem besseren Verdienst steigt die Attraktivität des Arbeitgebers. Statt teurer Unternehmensberater muss die Bahn jetzt ihre Besten zusammenscharen, noch Bessere holen und von vorne anfangen.