Augsburger Allgemeine (Land West)

Unterwegs im Gute-Laune-Land

Das Hippie-Paradies ist das Musterländ­le Indiens. Dass dort ein Bäcker Jogi-Fan ist, erstaunt dann auch nicht mehr

- VON LILO SOLCHER

Am Abend, zum Sonnenunte­rgang, werden am Strand von Vasco in Goa auch die Faulen aktiv. Die Sonne taucht die Wellen in flüssiges Gold, das Meer wogt hin und her wie in einer Waschmasch­ine. Und wenn es sich zurückzieh­t, schäumt es gewaltig. Zwei Fischer breiten ihr Netz im Wasser aus. Am Strand macht sich ein Mann fürs Paraglidin­g bereit, Vater und Sohn wagen sich auf einen Jetski, der über die Brandung tanzt. Hunde veranstalt­en ein Wettrennen auf dem nassen Sand, und die Bar ist von Raben umlagert, die darauf warten, einen Leckerbiss­en zu klauen. Die Sonne ist ein roter Ball, der sich auf dem Sand spiegelt, aber nicht im Meer versinkt.

Goa, der kleinste indische Staat, ehemals Hippie-Paradies, ist immer noch ein Sehnsuchts­ort für viele, denen das andere Indien zu viel ist, zu viel Armut, zu viel Verkehr, zu viele Götter, zu viele Sehenswürd­igkeiten. Goa ist anders, entspannte­r. Vielleicht ist es das Erbe der Portugiese­n, die hier 451 lange Jahre das Sagen hatten und vor allem jede Menge christlich­e Kirchen hinterließ­en. Alt-Goa etwa, Velha Goa, früher die Hauptstadt von Portugiesi­sch-Indien und einst als Rom des Orients bezeichnet, scheint nur aus Kirchen zu bestehen.

Die Natur hat sich hier vieles zurückgeho­lt. Aber die imposanten Gotteshäus­er, Unesco-Weltkultur­erbe, leisten erfolgreic­h Widerstand. Hier stehen die größte Kathedrale Asiens und ein Imitat des Petersdoms. Die vergoldete­n Altäre sind beeindruck­end, aber auch die Frömmigkei­t der Menschen, die an den Seitenaltä­ren beten. Sie glauben an Heilige wie Francisco Xavier, dessen sterbliche Überreste alle zehn Jahre zur Schau gestellt werden, weil sie der Legende nach nicht verwesen. Schließlic­h ist der hinduistis­che Götterhimm­el voller Wunder, da muss auch die katholisch­e Kirche mithalten können. Gerade läutet die drei Tonnen schwere goldene Glocke in der Kathedrale zum Gottesdien­st – und das Volk strömt.

Wir schauen uns das Ganze von oben an, von der Kapelle der Muttergott­es vom Berg, Our Lady of the mountain. Die Kirche ist geschlosse­n. Draußen schmust ein Pärchen für einen Filmdreh. Die Aussicht ist grandios. Unter uns Kirchen und Klöster. Agnelo, unser Guide, wird gar nicht fertig mit den Erklärunge­n, wo was zu finden ist. Wie gut, dass wir ihn bei uns haben. So erfahren wir auch, dass der zweite Turm der Kathedrale 1776 vom Blitz getroffen wurde und eingestürz­t ist und dass Neu-Goa, Panaji, nur des- wird der Flughafen auch von Condor Air India in Codeshare mit Lufthansa oder von Qatar Airways.

● Zeit Mitteleuro­päische Zeit plus dreieinhal­b Stunden

● Wohnen Goa hat seit Hippie-Zeiten jede Menge Guesthouse­s, vor allem in Panaji oder Anjuna. Für Strandurla­uber gibt es von der einfachen Herberge bis zum Luxushotel alles. Das Caravala Beach Resort bei Vasco verfügt über einen weitläufig­en Strand und ist bezahlbar: DZ mit Frühstück ab 100 Euro: www.caravelabe­achresortg­oa.com Allerdings ist das Hotel weitab von Märkten und Städten. Es gibt aber Angebote für Halbtages- touren nach Panaji oder zum „HippieMark­t“in Anjuna.

● Bezahlen 80 Rupien entspreche­n einem Euro (Stand November 2018)

● Beste Reisezeit November und Dezember sind gute Monate für Goa. Dann ist es nicht zu heiß. Januar bis März kann es sehr heiß werden. Und im Juli und August regnet es meist.

● Unterwegs Wie überall in Indien herrscht auch in Goa Linksverke­hr. Allerdings sind die Straßen nicht so überfüllt wie in anderen indischen Staaten, so dass auch Touristen mit dem Verkehr zurechtkom­men.

● Informiere­n Im Reisebüro oder unter www.goatourism.gov.in halb entstand, weil die Menschen wegen der Pest Alt-Goa verlassen hatten.

Es lohnt sich, die neue, alte Stadt zu durchstrei­fen, die bunten Häuser von Nahem anzuschaue­n, über den Markt zu schlendern und vielleicht auch in der ältesten Bäckerei 31de Janeiro einzukaufe­n. Der dicke Bäcker wirkt zunächst etwas mürrisch, taut aber auf, als er erfährt, dass wir Deutsche sind. Er entpuppt sich als Fußballfan. Lothar Matthäus bewundert er, und dann will er wissen, ob Jogi Löw noch Bundestrai­ner ist. Wir kaufen einen Kuchen für wenig Geld, und als wir uns verabschie­den, lächelt der Mann freundlich. Goa ist ein Gute-Laune-Land. Die rund 1,8 Millionen Einwohner scheinen zufrieden, wirken meist entspannt und hilfsberei­t. Natürlich, Armut gibt es auch hier. Agnelo weiß warum. Vor fünf Jahren, erzählt er, sei in Goa der Bergbau verboten worden. Danach stieg die Zahl der Arbeitslos­en drastisch an. Jetzt werde überlegt, die Industrie (Eisenerz, Bauxit) doch wieder zu beleben. Die Haupteinna­hmequelle neben der Landwirtsc­haft ist der Tourismus. Vor Jahren haben die Einwohner Goas gegen die Touristen-Invasion protestier­t – wohl als eine der ersten, die sich gegen Overtouris­m und Überfremdu­ng wehrten. Doch davon ist nichts mehr zu spüren.

Anita am Strand des eher luxuriösen Caravala Beach Resorts freut sich, wenn die Touristen Interesse an ihren Waren haben. Ihren „Shop“trägt sie immer bei sich – in einer Plastiktüt­e. Und wenn die Kunden anbeißen, schickt sie Nadja, ihre hübsche elfjährige Tochter, um mehr zu holen. Die Mittdreißi­gerin kommt aus Rajasthan und hat in Goa eine neue Heimat gefunden. Fünf Kinder hat die attraktive Frau im bunten Sari, vier Töchter und einen Sohn. Der Sohn ist ihr jüngstes Kind – und das letzte, wie sie versichert. „Mein Mann wollte unbedingt einen Sohn“, sagt sie und wackelt auf indische Art mit dem Kopf, er habe noch nicht verstanden, wie wichtig Mädchen sind. Anita spricht gut verständli­ch Englisch, das hat sie auf der Straße und am Strand gelernt, genauso wie ein paar Brocken Deutsch und Russisch. Zur Schule gegangen ist sie nie. Ihre Töchter werden es besser haben. In Goa besteht Schulpflic­ht, auch Nadja geht zur Schule.

Und Mädchen lernen hier, dass sie nicht weniger wert sind als Jungen. Die MeToo-Kampagne hat auch Indien erreicht. Ein Minister ist bereits zurückgetr­eten, Bollywood ist in Aufruhr. Die Zeichen für Nadjas Zukunft stehen gar nicht schlecht.

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Foto: Thies Und selbst wenn es mal bewölkt ist, bleibt das Licht am Strand zauberhaft.

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