Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie sich der Blick auf Juden wandelt
Der Name des Jüdischen Kulturmuseums ist geändert und damit die Ausrichtung. Wie es in Zukunft die Vielfalt einer Religion und ihre gesellschaftspolitischen Bezüge darstellt
Als das Jüdische Kulturmuseum im September 1985 bei der Augsburger Synagoge eröffnet wurde, gab es in Deutschland nichts Vergleichbares. Häuser in New York, London, Zürich und Jerusalem setzten hier die Maßstäbe. Senator Julius Spokojny, der damalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, hatte den Plan zusammen mit der Restaurierung der im Novemberpogrom 1938 geschändeten, aber erhalten gebliebenen Prachtsynagoge gefasst. Das Museum sollte in Ergänzung zur Synagoge Ritus und Kultur des nahezu ausgelöschten Judentums für Außenstehende darstellen.
Wenn sich das Augsburger Haus in Zukunft schlicht „Jüdisches Museum“nennt, passt es sich dem internationalen Sprachgebrauch an. „Im Englischen gibt es bloß ein Jewish Museum“, erklärt die Leiterin Barbara Staudinger. Ganz pragma- sei dies zunächst. Mit der Umbenennung geht auch eine neue inhaltliche Ausrichtung einher. Staudinger möchte alles vermeiden, was zu einer Exotisierung des Judentums beiträgt. „Jüdische Museen kommen grundsätzlich davon ab, die jüdische Religion idealtypisch zu erklären. Denn wir wissen, dass das jüdische Leben in Geschichte und Gegenwart wesentlich vielfältiger ist und dass man falsch liegt, wenn man meint: Nur das ist jüdisch.“
Ein modernes jüdisches Museum eröffnet viele Zugänge zu den Exponaten. Es genüge nicht, sagt Barbara Staudinger, einen Ritualgegenstand in die Vitrine zu legen und bloß seine Zweckbestimmung zu beschreiben. So erzähle ein Thoraschild auch etwas über das Zusammenleben und den sozialen Ausschluss. Ihre Ritualgegenstände konnten die Juden nur bei nichtjüdischen Werkstätten in Auftrag geben, weil sie selbst kein Handwerk ausüben durften. „Man sieht es den Objekten an, sie zeigen eine eigene Ikonografie“, weiß Staudinger. Sie wurden eben von christlichen Goldschmieden geschaffen. Befragen lassen sich Ritualgegenstände auch nach ihren Stiftern. Das waren meistens bedeutende, wohlhabende Familien. Worauf kam es ihnen mit ihrer Stiftung an? Schließlich wäre zu verfolgen, wie ein Objekt ins Museum gelangt ist. Wer hat es wann aus der Hand gegeben? Unter welchen Umständen? Wie kam es dazu, dass ein Gebrauchsgegenstand Objekt der jüdischen Kulturgeschichte wurde und nicht achtlos weggeworfen wurde?
Staudinger kommt mit diesem erweiterten deskriptiven Ansatz in die Nähe einer früheren Vision, das Jüdische Kulturmuseum möge eine lebendige Stätte der Begegnung werden. Freilich, in den achtziger Jahren dachte man an eine Art jüdisches Dokumentationszentrum für Bayern, das vor allem auf eine vergantisch gene Zeit zurückschaut. Dies hat sich seit der jüdischen Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion ab den neunziger Jahren stark verändert. Zeitweise schwebte dem damaligen Gemeindepräsidenten Iradj Neman vor, das Museum vor allem in den Dienst didaktischer Vermittlung zu nehmen.
Die 2006 vollzogene Neugestaltung des Museums unter seiner Leiterin Benigna Schönhagen zielte darauf ab, auch die Geschichte der Kultusgemeinde nach der Schoah darzustellen und jüdisches Leben unter dem Aspekt der Migration zu dokumentieren. So sollte das Museum sowohl als Lernort für die jüngere Generation als auch als Stätte der Vergewisserung für die heute bestehende Kultusgemeinde dienen.
Barbara Staudinger möchte jetzt weiter die Schwellenangst nehmen und in Ausstellungen noch stärker Bezüge zu aktuellen gesellschaftspolitischen Zuständen herstellen.