Augsburger Allgemeine (Land West)

Soziales

Für sie ist das Heim-Aus eine Katastroph­e

- VON ANNA KLEIN

Dinkelsche­rben Fest verlassen hatte sich Jutta Kunitzsch auf das Spital. Gerade mal drei Wochen ist es her, da hatte die Malermeist­erin aus dem Allgäu ihre 84-jährige Mutter in der Pflegeeinr­ichtung angemeldet. „Es wäre alles perfekt gewesen“, erinnert sich Kunitzsch an den Besichtigu­ngstermin im Spital. Der Oma gefällt das Zimmer, auch wenn die Dusche etwas klein ist, und Jutta Kunitzsch unterschre­ibt die Anmeldung. Was beide damals noch nicht wissen: Das Glück wird nicht lange halten, denn schon einen Tag später wird die Nachricht von der Schließung publik.

Dabei wollte sich Jutta Kunitzsch in Dinkelsche­rben einen Lebenstrau­m erfüllen. Die richtet sich ein Malergesch­äft in einem frei werdenden Laden in der Augsburger Straße ein. Nicht nur Betrieb und Betreuungs­platz wären im selben Ort, auch die Enkel und Urenkel der pflegebedü­rftigen Seniorin wohnen dort. „Das ist schon ein Witz, dort noch Bewohner aufzunehme­n – und am nächsten Tag dichtzumac­hen“, findet die 59-Jährige. Bei der Suche nach einem neuen Heim bekomme sie wegen der kurzfristi­gen Anmeldung keine Unterstütz­ung: „Wir bleiben auf der Strecke.“Deshalb schließt sich die Neu-Dinkelsche­rberin schon jetzt mit anderen Einwohnern zusammen.

Auch für Familie Schmid war das Spital „die einzige Lösung“, wie Ulrike Schmid beschreibt. Ihre Mutter, die 87-jährige Erna Rödig, hatte sich bei einem Sturz beide Beine gebrochen, sodass noch im Krankenhau­s feststand, dass die bisher völlig selbststän­dige Frau künftig auf den Rollstuhl angewiesen ist. Für die Familie eine unlösbare Herausford­erung: „Wir haben alle Vollzeitjo­bs und unsere Mutter war absolut gegen ein Heim“, erinnert sich Ulrike Schmid. Die Einrichtun­g in Dinkelsche­rben war der einzig mögliche Kompromiss.

Täglich besuchen Tochter und Enkel die Seniorin und schieben ihren Rollstuhl zum Friedhof, selbst bei Wind und Wetter. „Diese Besuche sind absolut wichtig, denn sie hat zwei Söhne verloren“, erklärt Schmid. Doch damit ist wohl bald Schluss, denn auch Erna Rödig muss in ein anderes Heim, wenn das Spital schließt. „Wir haben ja kein rollstuhlg­erechtes Auto“, sagt die Tochter, „damit fällt ein riesiger Teil des Familienle­bens für die Oma weg.“Die Familie hofft, einen Platz in Zusmarshau­sen zu bekommen. Doch laut Stiftungss­precher sind dort derzeit nur elf Plätze für die Dinkelsche­rber Bewohner frei. Diese werden nach bestimmten Krite- rien ausgesucht, die allesamt in ein Punktesyst­em einfließen.

Eine regelmäßig­e Besucherin im Dinkelsche­rber Spital ist Margreth Türner. Einmal pro Woche kümmert sie sich zusammen mit ihrem Mann und der befreundet­en Familie Ullmann um einen langjährig­en Freund. Doch schon vor dem schmiedeei­sernen Tor des Spitals bekommt die Dinkelsche­rberin einen Kloß im Hals. Denn sie muss vorsichtig sein, was sie sagt: Der pflegebedü­rftige Freund weiß noch gar nicht, was ihm bevorsteht. „Ein Umzug wäre für ihn besonders fatal“, erklärt Türner, „denn er ist fast blind.“Schon die kleinste Abweichung von seiner Routine bedeute für den Mann extremen Stress: Wenn er zum Beispiel ins Krankenhau­s muss, kämpft er regelmäßig mit Panikattac­ken. Die Freunde wollen ihm deshalb die Hiobsbotsc­haft der Schließung gar nicht eröffnen, denn: „In einem neuen Heim wird das erst richtig schlimm“, befürchtet Türner, „schließlic­h muss er sich wieder komplett von vorn orientiere­n und an alles gewöhnen.“

Es sind nicht nur die unmittelba­ren Angehörige­n, denen die Schließung zu schaffen macht. Inzwischen regt sich in der gesamten 3500-Einwohner-Gemeinde Widerstand.

Bernhard Meurers ist seit einem Jahr Allgemeina­rzt in Dinkelsche­rben, er hat eine frei gewordene Landarzt-Praxis übernommen. Im Spital macht er Hausbesuch­e und hält Sprechstun­den auf den Zimmern ab. Dass die den Standards hinterherh­inken, kann sich der Mediziner nicht vorstellen. Er hält es für ein „Unding“, dass das Heim jetzt wegen baulicher Mängel abgeschaff­t werden soll, weil dadurch auch soziale Bindungen zerstört werden: „Die Menschen können in ein Loch fallen und apathisch werden.“Deswegen hat der 59-jährige Arzt Unterschri­ftenlisten ausgelegt, wie auch seine beiden MedizinerK­ollegen am Ort. Das Problem sieht Meurers auf höherer Ebene: „Es gibt keinerlei langfristi­ge Bedarfspla­nung für die Pflege im westlichen Landkreis“, sagt er. Spätestens, wenn die Babyboom-Generation in etwa 15 Jahren in Rente gehe, werde das ein riesiges Problem. Von Demografie und Diskussion möchte Josef Guggemos hingegen nichts hören, denn der frühere CSU-Marktrat ist viel zu wütend: „Diese Entscheidu­ng war rechtlich schlichtwe­g unzulässig“, glaubt der 69-Jährige. Deshalb droht er jetzt sogar öffentlich mit dem Kirchenaus­tritt. Schließlic­h hätten auch die Vertreter der katholisch­en Kirche für das Aus des Spitals gestimmt – „aus rein materielle­n Gründen“, sagt Guggemos und findet klare Worte: „Das ist moralisch verwerflic­h und deshalb trete ich aus, wenn es wirklich zur Schließung kommen sollte.“

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 ?? Foto: Marcus Merk ?? Nicht nur die Bewohner protestier­en gegen das angekündig­te Aus für das Altenheim in Dinkelsche­rben. Auch unter den Bewohnern der Marktgemei­nde, die nicht direkt betroffen sind, regt sich Widerstand.
Foto: Marcus Merk Nicht nur die Bewohner protestier­en gegen das angekündig­te Aus für das Altenheim in Dinkelsche­rben. Auch unter den Bewohnern der Marktgemei­nde, die nicht direkt betroffen sind, regt sich Widerstand.

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