Augsburger Allgemeine (Land West)
Sicher ist: Gar nichts ist sicher
Damit dem Nachwuchs nichts passiert, ist Sicherheit für Eltern ein großes Thema. Aber wie viel Risiko gehört zum Leben?
Bei uns ist es ein roter Kindersitz. Seit Tagen steht er im Flur der Wohnung, weil wir uns bislang nicht entscheiden konnten, ob er bleiben darf oder nicht. Das klobige Sicherheits-Automöbel ist zu uns gekommen, wie einem so vieles zufliegt, wenn man Kinder hat: Irgendwo im Familien- und Freundeskreis sind andere Kinder zu groß geworden für ihre Kleidung, Spielsachen oder eben Kindersitze. Und schwupps, steht da so ein rotes Ungetüm im Flur. Prinzipiell eine tolle Sache, dieser ewige Schenkkreislauf. Aber im Speziellen stellen sich manchmal ungeahnte Fragen. In diesem Fall: Ist der Sitz denn sicher?
Meist haben Eltern unterschiedliche Sensibilitäten, was die Sicherheit angeht. Für den einen Elternteil ist Tretradfahren ohne Helm kein Problem, für den anderen eine Hochrisikotätigkeit. Der eine sagt, Anschnallen im Kinderwagen ist nicht nötig, für den anderen ist das nicht zu tun grob fahrlässig. Irgendwo in der Mitte trifft man sich im Alltag. Das heißt aber: Bei jeder Entscheidung muss einer zurückstecken – und kriegt dann vielleicht beim nächsten Mal Recht. Spannend wird es, aber das nur am Rande, wenn die Fürsorge für das Kind auf das eigene Verhalten und den eigenen Lebensstil überspringt: Muss ich jetzt einen Fahrradhelm tragen, weil meine Kinder mich ja noch lange brautern chen? Kann man lange diskutieren, aber dafür ist hier kein Platz … Darum schnell zurück zu den Kindern. Also: Wie findet man das richtige Maß zwischen Überbehütung und Sorglosigkeit?
Der Verweis auf früher, auf die eigene Kindheit hilft nur begrenzt. Kann schon sein, dass einen die El- damals auf langen Strecken nicht angeschnallt auf der Rückbank haben schlafen lassen. In einem Auto, das, wie alle dieser Zeit, heute jeden Crashtest-Ingenieur an den Rande des Nervenzusammenbruchs bringen würde. War wohl auch damals nicht gut und ist mittlerweile zurecht undenkbar. Aber braucht man heute einen Kindersitz mit Airbag für knapp 600 Euro, damit man sich im Falle eines Falles nichts vorwerfen muss?
Die Liste lässt sich beliebig verlängern, denn die Sorge um die Sicherheit der Kinder ist ein sensibler Punkt bei allen Eltern. Das wissen auch die Marketingheinis da draußen und sorgen mit dem Schüren von Sorgen dafür, dass die Kasse klingelt. Kann das Kind aus dem Bett fallen? Sind alle Schubladen gesichert? Kann das Kind allein den Toilettendeckel öffnen? Braucht man eine Kinderleine zum Spazierengehen? Ja, die gibt es wirklich …
Mit Kindern leben heißt, mit Risiken leben lernen. Der Kindersitz wird wohl bleiben. Außer meine Frau hat andere Sensibilitäten.
Matthias Zimmermann, 38, ist Vater von zwei kleinen Kindern – und überlegt, sich doch einen Fahrradhelm zu kaufen.
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Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle. Nächste Woche: „Radlerleben“– Ansichten und Geschichten eines Radfahrers.