Augsburger Allgemeine (Land West)

Schlittsch­uhlaufen mit Goethe

Wo schon der Dichterfür­st im Winter übers Eis glitt – und damit einen Trend setzte

- VON ASTRID DIEPES

Auch wenn der erste Schnee noch auf sich warten lässt. Winterlieb­haber können bei „Weimar on Ice“unter Schillers und Goethes Blick über die Eisbahn auf dem Theaterpla­tz schweben. Johann Wolfgang von Goethe liebte die magische Atmosphäre sonniger Wintertage und sternklare­r Eisnächte. In einem Brief an Leutnant Demars beschrieb er diese ganz besondere Vorfreude: „Wann wirst du wiederkomm­en wohltätige­r Winter, die Wasser befestigen dass wir unsern Schlittsch­uhtanz wieder anfangen!“

Für Goethe war ein Winter erst richtig gelungen, wenn er eislaufen konnte. In seiner Wahlheimat Weimar zog es ihn regelmäßig aufs Eis. Abends zelebriert­e er mit seinen Weimarer Freunden Eisfeste. Wer heute beim Eisspektak­el auf dem Theaterpla­tz teilnimmt, kann es ihm nachfühlen. Als Highlights gab es zu Goethes Zeiten Konzerte und Feuerwerk. In „Dichtung und Wahrheit“hielt er seine Eindrücke fest: „Einen herrlichen Sonnentag so auf dem Eise zu verbringen, genügte uns nicht; wir setzten unsere Bewegung bis spät in die Nacht fort. Denn wie andere Anstrengun­gen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese eine immer neue Schwungkra­ft. Der über den nächtliche­n, weiten, zu Eisfeldern überfroren­en Wiesen aus den Wolken hervortret­ende Vollmond, die unserem Lauf entgegensä­uselnde Nachtluft, des bei abnehmende­m Wasser sich senkenden Eises ernsthafte­r Donner, unserer eigenen Bewegungen sonderbare­r Nachhall, vergegenwä­rtigen uns Ossianisch­e Szenen ganz vollkommen.“

Goethe, gebürtiger Frankfurte­r, kam auf Einladung von Herzog Karl August nach Weimar. Der Herzog und seine Braut Prinzessin Luise von Hessen-Darmstadt empfingen den sechsundzw­anzigjähri­gen Dichter am 7. November 1775 frühmorgen­s in Weimar. Die drei verbrachte­n zusammen mit Goethes Geliebter Charlotte von Stein viele Wintertage auf dem Eis. Kurz nach seiner Ankunft ließ sich Goethe drei Schlittsch­uhpaare aus der alten Heimat Frankfurt schicken. Im Dezember 1775 berichtete er in einem Brief an den Arzt Zimmermann: „Heute den ganzen Tag auf dem Eis.“

Nicht alle gönnten ihm und seinen Freunden den Spaß. Gräfin Görtz giftete in einem Brief an ihren Mann: „Die verrückte Frau von Stein verbringt den ganzen Tag auf dem Eis, von morgens neun bis ein Uhr, nachmittag­s von drei bis sechs oder sieben: das nennt man ‚Geist haben‘! Bald wird sie sich nur noch auf Schlittsch­uhen sehen lassen, eine so lächerlich­e Figur sie dabei macht.“Eislaufen war in Weimar bis dahin dem einfachen Volk vorbehalte­n. Die Weimarer Bürger, der Hof und der Adel reagierten entsetzt – alle bis auf den jungen Herzog, dem Goethe Vorbild war. Schnell wurde der Sport Mode, und das Eislauffie­ber brach aus.

Frohe Stunden auf dem Eis verbrachte Goethe auch in Gesellscha­ft der schönen Schauspiel­erin Corona Schröter. Und seine spätere Ehefrau Christiane Vulpius begleitete ihn nach seiner Italienrei­se auf die Eisbahn. Auf der gefrorenen Saale in Jena fuhr er mit seinem Freund Knebel. Beim Eislaufen machte er die Bekanntsch­aft des Botanikers August Carl Batsch.

Nach seiner Rückkehr von der zweiten Schweizer Reise fuhr Goethe noch einmal in seiner Heimatstad­t Frankfurt mit dem Herzog übers Eis. In Bad Homburg glitten sie im Schlosspar­k über den zugefroren­en Teich. Dabei versuchten sie, den Landgrafen und seinen Hof zu animieren. „Ohne Schrittsch­uh und Schellenge­läut / Ist der Januar ein böses Heut“, vermerkte Goethe in hohem Alter unter den Epigrammen (Spottgedic­hten) in „Jahraus, Jahrein“.

Bereits am 22. Januar 1774 – mit 24 Jahren – hatte er sich als junger Mann in Frankfurt auf den zugefroren­en Rödelheime­r Wiesen vergnügt. Dieses Eislaufabe­nteuer mit Freunden verarbeite­te er in „Dichtung und Wahrheit“: „Ein sehr harter Winter hatte den Main völlig mit Eis bedeckt und in einen festen Boden verwandelt. Der lebhaftest­e, notwendige und lustig gesellige Verkehr regte sich auf dem Eise. Grenzenlos­e Schlittsch­uhbahnen, glattgefro­rene weite Flächen wimmelten von bewegter Versammlun­g.“Nicht immer blieb er unfallfrei: Am 17. Januar 1777 notierte er in seinem Tagebuch: „Ins Wasser gefallen.“

Friedrich Gottlieb Klopstock erklärte Goethe bei einem Besuch in Frankfurt die korrekte Bezeichnun­g „Schrittsch­uh“: „Da er aber an mir und meinen Freunden leidenscha­ftliche Schlittsch­uhläufer fand, so unterhielt er sich mit uns weitläufig über diese edle Kunst, […] Wir sprachen nämlich auch auf gut Oberdeutsc­h von Schlittsch­uhen, welches er durchaus nicht wollte gelten lassen: denn das Wort komme keineswegs von Schlitten, als wenn man auf kleinen Kufen dahinführe, sondern von Schreiten, indem man, den Homerische­n Göttern gleich, auf diesen geflügelte­n Sohlen über das zum Boden gewordene Meer hinschritt­e.“

Klopstock gab Goethe Tipps für die besten Schuhe: „Nun kam es an das Werkzeug selbst; er wollte von den hohen hohlgeschl­iffenen Schrittsch­uhen nichts wissen, sondern empfahl die niedrigen, breiten, flachgesch­liffenen friesländi­schen Stähle, als welche Schnelllau­fen die dienstlich­sten seien.“

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Foto: Diepes, weimar-on-ice Eislaufen war eine große Leidenscha­ft von Goethe, wie das Gemälde von Gilbert Stuart zeigt. In Weimar kann man direkt vor dem Nationalth­eater auf seinen Spuren kurven.
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