Augsburger Allgemeine (Land West)
Wenn es zu Hause nicht mehr geht, muss schnelle Hilfe her
Pflege Beratungsstellen entwickeln für Senioren mit den Angehörigen individuelle Lösungen. Auch freiberufliche Kräfte kommen infrage
Region Das Thema Pflege ist in aller Munde – Beitragserhöhungen für die Versicherung, Streit über Standards und die Personalausstattung der Heime. Doch wenn man plötzlich in die Situation kommt, für sich selbst oder für Angehörige pflegerische Leistungen zu benötigen, stehen Menschen oft vor einem Problem: Wo bekommt man schnell die nötige Hilfe?
Die Möglichkeiten, sich über Hilfsangebote beraten zu lassen, seien gut, sagt Armin Rieger: „Möglicherweise sind die Beratungsangebote aber nicht bekannt genug.“Der ehemalige Leiter eines Augsburger Pflegeheims übt als Buchautor und in Talkshows am Pflegesystem insgesamt Kritik. Die Beratung tut aus seiner Sicht in jedem Fall Not, weil die Gesetze so kompliziert sind, dass viele Menschen Probleme haben, sich in dem System zurechtzufinden. Ratschläge geben die Pflegeund Krankenkassen, ebenso, wie die Fachstellen bei der Stadt oder den Landkreisen.
Die „Seniorenberatung – Fachstelle für pflegende Angehörige“berate individuell im Hinblick auf die persönliche Situation des jeweiligen Betroffenen und entwickle gemeinsam mit den Ratsuchenden individuelle Lösungen, teilt die Pressestelle des Landratsamts mit. Die Beratung sei kostenlos und finde auf Wunsch auch in der häuslichen Umgebung statt.
Schwierig sei für viele Menschen die grundsätzliche Entscheidung, sich Hilfe zu holen, sagt Armin Rieger: „Man muss einen fremden Menschen in die Wohnung lassen, das möchte niemand gerne.“Gerade das Thema Demenz sei für viele Menschen schwierig, sagen die Experten beim Landratsamt: „Die Betroffenen wollen die Erkrankung nicht wahrhaben, beziehungsweise vermeiden, dass andere davon etwas merken.“Bei den Angehörigen komme es häufig vor, dass sie die Belastung unterschätzen, die das Zusammenleben mit einem Demenzkranken mit sich bringt. Wichtig sei, dass die Krankheit nicht tabuisiert werde, damit Betroffene und Angehörige offen damit umgehen können.
Erfahrung mit ablehnenden Reaktionen auf Hilfsangebote hat Elisabeth Wagner genug: Die Königsbrunnerin kümmert sich als freiberufliche Pflegekraft um Menschen, die sich nicht mehr selbst versorgen können – sie kocht, kauft ein, hilft bei der Körperpflege. Das nötige Wissen hat sie sich selbst angelesen, nachdem vor zehn Jahren die Firma, wo sie als Kauffrau arbeitete, in die Insolvenz ging. Seitdem fand sie immer ein gutes Auskommen, durch Mundpropaganda und Zeitungsanzeigen kam sie zu neuen Kunden. In letzter Zeit liefen die Aufträge aber schleppend: „Immer mehr Angehörige wollen nicht wahrhaben, dass sie Hilfe brauchen“, sagt sie.
Dabei seien niederschwellige Angebote durchaus begrüßenswert, findet Armin Rieger: „Fürs Einkaufen braucht man keine spezielle Ausbildung. Aber es kann dazu beitragen, dass Menschen länger zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung leben können.“Gerade in ländlichen Regionen seien solche Dienstleister wichtig, da die Pflegedienste mitunter an ihre Grenzen stoßen. Früher habe es für solche Fälle die Dorfhelferinnen gegeben, die die Menschen im Alltag unterstützten. Rieger würde es gerne sehen, wenn solche Hilfskräfte wieder bei den Kommunen angestellt würden: „Aber das wird vermutlich nicht passieren, das ist wieder ein möglicher Geschäftszweig.“
Und das Problem nimmt weiter zu: Von der gesellschaftlichen „Mammutaufgabe Pflege“ist die Rede. Die 2015er Statistik wies für den Kreis Augsburg rund 6100 Pflegebedürftige aus, im Wittelsbacher Land waren es knapp 2900. In der Großstadt Augsburg geht die Zahl der Pflegebedürftigen auf 8000 zu. Als Faustregel gilt: Zwei Drittel von ihnen werden zu Hause gepflegt.
Das Augsburger Landratsamt bestätigt, dass es im Kreis inzwischen zwar ein flächendeckendes Netz an ambulanten Pflegediensten gibt, einige davon aber mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. In diesem Fällen würde sondiert, ob ein Pflegebedürftiger umgehend Hilfe benötige oder ob sich der Beginn der Hilfe noch hinauszögern lässt.
Auf der Homepage des Landkreises sind die Anbieter von ambulanten und stationären Pflegediensten aufgeführt. Freiberufliche Pflegekräfte wie Elisabeth Wagner sind dort nicht erfasst. Grundsätzlich spreche nichts gegen solche Pflegekräfte, sagt Rieger: „Jeder Vertrag setzt ein gewisses Vertrauen voraus.“Man solle sich die Anbieter genau anschauen und sich nach Möglichkeit auch im Bekanntenkreis nach Erfahrungen in dem Bereich erkundigen. Auch vom Landratsamt heißt es, dass persönliche Sympathien neben einer gründlichen Ermittlung der Bedürfnisse des Patienten und einer professionellen Beratung eine Rolle spielen können.
„Einkaufen gehen kann dazu beitragen, dass Menschen länger zu Hause leben können.“Pflegeexperte und
Buchautor Armin Rieger