Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie ein Pferd helfen kann
Weihnachten An Weihnachten steht das Wunder in einem Stall in Bethlehem im Mittelpunkt. Auch heute noch geschehen kleinere Wunder in einem Stall, zum Beispiel in Ursberg
Ein Stall. Seit jeher weckt er Sehnsüchte in Menschen – nicht nur zur Weihnachtszeit. Was ist der Grund dafür? Vielleicht ist es kein Wunder, dass sich Gott für das größte Wunder der Menschheitsgeschichte ausgerechnet einen Stall ausgesucht hat. Der Stall von Bethlehem steht für diese unmittelbare Begegnung, für diese Selbstvergewisserung des Menschen, dass er wertvoll und geachtet ist. Ein Ort, an dem seit jeher Veränderungen geschehen können.
In manch schwierigen Lebenssituationen braucht es dafür jedoch ein Wunder. Kleine und große Lebenswunder gibt es immer wieder. Zum Beispiel hier, im Reitstall St. Leonhard des Dominikus-ringeisen-werks (DRW) mitten in Ursberg, in den vor Kurzem neue Bewohner eingezogen sind: Vier Therapiepferde. Zu Josef, einem von ihnen, ist gerade Anne-kathrin (Name geändert) an der Hand ihrer Mutter unterwegs, mit langsamen, vorsichtig kleinen Schritten. Gemeinsam mit einer Betreuerin holen sie Josef aus seiner Box und führen ihn auf den Hof. Mit einer Bürste streicht Anne-kathrin ihm eine Zeit lang vorsichtig übers Fell, bevor sie dabei hilft, Josef Sattel und Zaumzeug anzulegen.
Anne-kathrin ist seit ihrer Geburt körperbehindert. Auch das Sprechen musste die heute 14-Jährige erst mühsam erlernen. „Als sie zu uns ins heilpädagogische Reiten kam, war sie sehr verunsichert, schüchtern und ängstlich“, erzählt Angela Hänseler, die für das therapeutische Reiten im DRW zuständig ist. Anne-kathrins Muskulatur war wenig ausgeprägt und sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Das Mädchen musste schon sehr früh mehrere Operationen an Hüfte und Füßen über sich ergehen lassen. Ihr Selbstbewusstsein war entsprechend am Boden. Auf dem Platz vor dem Stall folgt eine Szene, die hängen bleibt: Selig lächelnd legt Annekathrin ihren Kopf an den Hals ihres Therapiepferdes Josef und kuschelt sich regelrecht hinein in dessen Mähne.
Das Tier lässt sich das gerne gefallen. Es ist ein Bild des vollkommenen Vertrauens. Es wirkt, als beschütze der schwarz-weiß gescheckte Josef die zierliche Anne-kathrin, sei er ihr großer, starker Freund. „Es ist kaum zu glauben, wie sich Anne-kathrin in den letzten Monaten verändert hat – körperlich und seelisch“, berichtet Angela Hänseler.
Der Grund ist Josef:. „Ein Pferd stellt keine Forderungen. Bei ihm muss man nichts leisten. Stattdessen können unsere Klienten so sein, wie sie sind“, erläutert Angela Hänseler. Anne-katrins Mutter bestätigt diese Veränderung: „Mit der Zeit nahm Anne-kathrins Körperspannung zu und ihre Beine wurden kräftiger. Immer öfter lächelt sie jetzt und geht unbefangener mit anderen um. Es ist so schön, diese Entwicklungsschritte bei unserer Tochter zu erleben.“Eine kleine Holztreppe hilft Anne-kathrin beim Besteigen des breiten Pferderückens. Jetzt sitzt sie ganz aufrecht da, hoch im Sattel, selbstbewusst und glücklich.
Selbstwahrnehmung, die Kommunikation mit dem Tier und dessen direkte Reaktionen, die körperlichen und motorischen Übungen beim Reiten, das alles sind die heilsamen Zutaten des Ursberger heilpädagogischen Reitens. Auch bei Florian (Name geändert) zeigen sich diese positiven Auswirkungen. Der Achtjährige ist im motorischen, sozialen, kognitiven und emotionalen Bereich verzögert. Das Tier motiviert ihn, in den Reitstunden mitzuarbeiten. „Das Pferd ist wie ein zusätzlicher Therapeut“, sagt Angela Hänseler. „So können wir Florian verschiedene Reize in jedem der Bereiche anbieten, in denen er Nachals holbedarf hat. Das helfe ihm, besser zu lernen.“
Eine positive Wirkung beobachtet Angela Hänseler ebenso bei sehr unruhigen Kindern und Erwachsenen, die, auch wenn sie aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Behinderung nicht im Sattel sitzen können, bereits durch die bloße Nähe des Tieres oder die Berührung des Fells wie ausgewechselt wirken, „eben ganz bei sich sind“, wie es Angela Hänseler ausdrückt.
Seit Herbst 2018 arbeiten sie und ihre Mitarbeiterinnen mit Hochdruck daran, das heilpädagogische Reitangebot am Drw-standort Ursberg aufzubauen.
Lange war unklar, wie es mit dem Reitstall, der früher verpachtet war, weitergehen sollte. „Die Nachfrage bei Eltern und Menschen, die in den Einrichtungen des DRW in Ursberg leben, ist sehr groß“, sagt Angela Hänseler. Schließlich entschied man sich, das Angebot am Leben zu erhalten. Das Dominikus-ringeisenwerk investiert viel, „weil wir absolut überzeugt davon sind und jeden Tag sehen, welche unmittelbaren Auswirkungen dieses Therapieangebot auf benachteiligte Menschen hat“, sagt Angela Hänseler.
Trotzdem hat sie eine große Sorge: „Das Reiten wird von Kostenträgern oder Krankenkassen nicht finanziert. Nicht alle Eltern und Erwachsene, für die das Angebot sinnvoll wäre, können ohne Weiteres die Reitstunden zahlen. Deshalb sind wir dringend auf Spenden angewiesen.“