Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Überlebenskünstler, der das Leben liebt
Porträt Als Kind klaute er. Er überstand Motorradunfälle und Alkoholexzesse. Gérard Depardieu ist ein Ausnahmeschauspieler. Der Berserker kann auch sensibel sein
Dieser Mann ist eine Urgewalt, ein Monster, ein Berserker, dessen Maßlosigkeit sich schon an seinem Körperumfang ablesen lässt. Er kommt von ganz unten, seine Eltern waren Analphabeten, sein Vater Alkoholiker. Der kleine Gérard hatte Schulprobleme, er klaute – und verkaufte sich als Knabe an Männer, wie er in einem seiner Bücher berichtet. Mit 13 begann er eine Druckerlehre, die er abbrach. Er boxte, er schmuggelte und nahm, was er kriegen konnte. Fast 20 Motorradunfälle hat er überstanden. Bis zu 14 Flaschen Wein trinke er am Tag, sagte Gérard Depardieu 2014. Es gibt wenige, denen man ein solches Irrsinns-Pensum abnehmen würde. Ihm schon. Er ist ein Gourmet und Überlebenskünstler, der das Leben liebt.
Als Schauspieler gehört der Franzose seit Jahrzehnten zur Riege der Weltstars. Ein Zufall brachte ihn mit 17 auf die Theaterbühne. In 200 Filmen war er zu sehen – und nicht viel weniger an der Zahl sind die Skandale und Skandälchen, die diesen Unangepassten und notorischen Grenzüberschreiter von Kindheit an begleiten. Er übersiedelte vor Jahren schon nach Russland, verehrt Putin, reist nach Nordkorea. Zuletzt gab es im August 2018 Vergewaltigungsvorwürfe einer jungen Schauspielerin gegen Depardieu, die der als impulsiv geltende Star jedoch bestreitet.
Als Schauspieler ist Gérard Depardieu wandelbar wie wenige. Er spielte Obelix, Danton, Stalin und Cyrano von Bergerac, er verkör- perte Rebellen, Zuhälter, Draufgänger und Schwerenöter. Unzählige Nominierungen zu den großen Filmpreisen heimste er ein – und die Preise selbst auch: César, Golden Globe, Goldener Löwe von Venedig für sein Lebenswerk … Nur den Oscar hat er bislang nicht gewonnen, für Cyrano war er 1991 nominiert. Gérard Depardieu, der 26 Jahre mit der Schauspielerin Élisabeth Guignot verheiratet war, ist ein Draufgänger, überrascht aber immer wieder mit sensiblen Seiten. So brachte er Anfang 2017 ein Album in Erinnerung an die legendäre Chansonsängerin Barbara heraus. Die Hingabe und Zärtlichkeit, mit der Depardieu ihre Lieder interpretierte, wurden von der Presse gefeiert als „bewegend“.
Dabei hatte der Mime schon 1980 eine Platte herausgebracht – und im Jahr 2006 verkörperte er auf der Kinoleinwand im wunderbaren Film „Chanson d’amour“einen alternden Schnulzensänger, der durch die Provinz tingelt. Aller Eskapaden und Alkoholexzesse zum Trotz ist Gérard Depardieu als Ritter der Ehrenlegion in Frankreich weiter unverzichtbar. Es gibt einen Comic über ihn. Und 2019 soll eine Dokumentation Einblick in das Wesen Depardieus geben.
Der Film soll den Titel „70“tragen. So alt wird der Schauspieler heute. Der Macher der Dokumentation, Yann Moix, bilanziert die Dreharbeiten so: „Gérard erlaubt sich nicht alles, weil er Depardieu ist. Weil Gérard sich alles erlaubt, ist er Depardieu.“