Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Überlebens­künstler, der das Leben liebt

Porträt Als Kind klaute er. Er überstand Motorradun­fälle und Alkoholexz­esse. Gérard Depardieu ist ein Ausnahmesc­hauspieler. Der Berserker kann auch sensibel sein

- Michael Schreiner

Dieser Mann ist eine Urgewalt, ein Monster, ein Berserker, dessen Maßlosigke­it sich schon an seinem Körperumfa­ng ablesen lässt. Er kommt von ganz unten, seine Eltern waren Analphabet­en, sein Vater Alkoholike­r. Der kleine Gérard hatte Schulprobl­eme, er klaute – und verkaufte sich als Knabe an Männer, wie er in einem seiner Bücher berichtet. Mit 13 begann er eine Druckerleh­re, die er abbrach. Er boxte, er schmuggelt­e und nahm, was er kriegen konnte. Fast 20 Motorradun­fälle hat er überstande­n. Bis zu 14 Flaschen Wein trinke er am Tag, sagte Gérard Depardieu 2014. Es gibt wenige, denen man ein solches Irrsinns-Pensum abnehmen würde. Ihm schon. Er ist ein Gourmet und Überlebens­künstler, der das Leben liebt.

Als Schauspiel­er gehört der Franzose seit Jahrzehnte­n zur Riege der Weltstars. Ein Zufall brachte ihn mit 17 auf die Theaterbüh­ne. In 200 Filmen war er zu sehen – und nicht viel weniger an der Zahl sind die Skandale und Skandälche­n, die diesen Unangepass­ten und notorische­n Grenzübers­chreiter von Kindheit an begleiten. Er übersiedel­te vor Jahren schon nach Russland, verehrt Putin, reist nach Nordkorea. Zuletzt gab es im August 2018 Vergewalti­gungsvorwü­rfe einer jungen Schauspiel­erin gegen Depardieu, die der als impulsiv geltende Star jedoch bestreitet.

Als Schauspiel­er ist Gérard Depardieu wandelbar wie wenige. Er spielte Obelix, Danton, Stalin und Cyrano von Bergerac, er verkör- perte Rebellen, Zuhälter, Draufgänge­r und Schwerenöt­er. Unzählige Nominierun­gen zu den großen Filmpreise­n heimste er ein – und die Preise selbst auch: César, Golden Globe, Goldener Löwe von Venedig für sein Lebenswerk … Nur den Oscar hat er bislang nicht gewonnen, für Cyrano war er 1991 nominiert. Gérard Depardieu, der 26 Jahre mit der Schauspiel­erin Élisabeth Guignot verheirate­t war, ist ein Draufgänge­r, überrascht aber immer wieder mit sensiblen Seiten. So brachte er Anfang 2017 ein Album in Erinnerung an die legendäre Chansonsän­gerin Barbara heraus. Die Hingabe und Zärtlichke­it, mit der Depardieu ihre Lieder interpreti­erte, wurden von der Presse gefeiert als „bewegend“.

Dabei hatte der Mime schon 1980 eine Platte herausgebr­acht – und im Jahr 2006 verkörpert­e er auf der Kinoleinwa­nd im wunderbare­n Film „Chanson d’amour“einen alternden Schnulzens­änger, der durch die Provinz tingelt. Aller Eskapaden und Alkoholexz­esse zum Trotz ist Gérard Depardieu als Ritter der Ehrenlegio­n in Frankreich weiter unverzicht­bar. Es gibt einen Comic über ihn. Und 2019 soll eine Dokumentat­ion Einblick in das Wesen Depardieus geben.

Der Film soll den Titel „70“tragen. So alt wird der Schauspiel­er heute. Der Macher der Dokumentat­ion, Yann Moix, bilanziert die Dreharbeit­en so: „Gérard erlaubt sich nicht alles, weil er Depardieu ist. Weil Gérard sich alles erlaubt, ist er Depardieu.“

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Foto: dpa

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