Augsburger Allgemeine (Land West)
„Nicht den Kopf in den Sand stecken“
Anlage Was Commerzbank-Experte Chris-Oliver Schickentanz über das Börsenjahr 2019 sagt
Frankfurt am Main Chris-Oliver Schickentanz ist Chefanlagestratege der Commerzbank. Wie sieht er das Börsenjahr 2019? Der Experte sagt: „Ein Bilderbuchjahr wird 2019 wohl kaum. Aber auch kein Jahr, um den Kopf in den Sand zu stecken.“Und so schätzt er die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein:
● Auch wenn sich das weltwirtschaftliche Wachstumsmoment 2019 seiner Meinung nach etwas abschwächen dürfte, bleiben die Rezessionsrisiken extrem gering. Schickentanz erwartet rund 3,5 Prozent globales Wachstum. Schickentanz: „Es spricht vieles dafür, dass wir in den USA den längsten Wirtschaftsaufschwung der Geschichte erleben werden, in Europa immerhin eine der längsten Expansionsphasen seit Jahrzehnten.“Realwirtschaftlich werde das kommende Jahr also mit Ausdauer überzeugen, auch wenn sich Deutschland in der letzten Phase des aktuellen Konjunkturaufschwungs bewegen dürfte.
● 2019 werden sich nach Einschätzung des Commerzbank-Experten einige Trends aus 2018 fortsetzen. So rechnet der Aktien-Spezialist weiter mit größeren Wachstumsdifferenzen zwischen den USA und der Eurozone. Die Zinsdifferenzen zwischen beiden Regionen dürften zunächst ebenfalls noch weiterwachsen. Allerdings werde der Markt irgendwann in 2019 den Blick in Richtung 2020 werfen. Schickentanz: „Dann dürften sich die Zinstrends umkehren, weil die USA das Ende des Normalisierungskurses erreicht, die EZB dagegen erst richtig damit beginnt.“
● Auch 2019 werden, wie Schickentanz überzeugt ist, politische Entwicklungen für Abwechslung an den Kapitalmärkten sorgen. So werde der Brexit Ende März zu einer Tatsache – entweder in einer milden Form mit Übergangsfristen oder abrupt als „Hard Brexit“. Auch der Handelskonflikt zwischen den USA und dem Rest der Welt bleibe aktuell. Aufgrund seiner hohen realwirtschaftlichen Bedeutung werde der Konflikt auch die Kapitalmärkte bewegen.
● Und der Experte verweist darauf, dass in der späten Phase eines Konjunkturaufschwungs die Volatilität an den Märkten meist zunehme. Dies sei nicht verwunderlich. Schließlich würden vereinzelte Negativnachrichten schnell als Hinweis auf eine nahende Rezession interpretiert – auch wenn sich dies in vielen Fällen als falscher Alarm herausstellen werde. Schickentanz glaubt: „Ein hektischeres Hin und Her in allen Anlageklassen sollte daher 2019 nicht überraschen.“
● So meint der Anlage-Profi: „Das, was wir in unserem Langfristausblick seit geraumer Zeit angedeutet haben, dürfte sich nach dem schwachen Börsenjahr 2018 mit leicht positiveren Vorzeichen auch 2019 wiederholen: eine in Summe unter den historischen Durchschnittswerten liegende Performance.“So erwartet Schickentanz für Aktien ein kleines Plus, für Anleihen eher ein Minus. Stabilitätsgaranten blieben offene Immobilienfonds.
● Und wie geht es in den USA weiter? Amerika erlebe, wie Schickentanz schreibt, den längsten Aufschwung in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte. Das werfe fast zwangsläufig die Frage auf, wie lange die nächste Rezession noch auf sich warten lässt. Schließlich sei das politische Umfeld mit Handelskonflikt, Brexit und neuerlichen ItalienSorgen alles andere als wachstumsfördernd. Der Experte sagt aber: „Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass uns das konstruktive Wachstumsumfeld noch zwei weitere Jahre begleiten wird – wenn auch mit einer nachlassenden Dynamik.“● Und was steht China bevor? Hier dürfte sich laut Commerzbank das Wachstum ebenfalls verlangsamen. Die Strafzölle der US-Regierung auf rund die Hälfte aller in die USA exportierten Waren bremsten hier wie die hohe Verschuldung des privatwirtschaftlichen Sektors.