Augsburger Allgemeine (Land West)

„Riester hat nicht wie gewünscht funktionie­rt“

Interview Klaus Müller ist Chef der Verbrauche­nzentrale Bundesverb­and. Wie er sich eine gute Altersvors­orge vorstellt

- Interview: Stefan Lange

Ein Dauerbrenn­er bei Verbrauche­rn und Politik gleicherma­ßen ist die Altersvors­orge. Sie werben für ein Standardpr­odukt, wie etwa in Großbritan­nien, wo die Menschen am Kapitalmar­kt beteiligt werden. Wenn Sie Versicheru­ngsvertret­er wären, wie würden Sie Riester-müden Kunden die Vorteile Ihres Produkts anpreisen? Klaus Müller: Riester war gut gedacht, hat aber nicht wie gewünscht funktionie­rt. Zu teuer, zu wenig Ertrag für eine Vorsorge im Alter. Kein Wunder also, dass die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r enttäuscht sind. Die Marktwächt­er haben gerade aufgedeckt, dass bei Riester-Rentenvers­icherungen Verbrauche­r in bestimmten Konstellat­ionen auf Teilbeiträ­ge doppelte Abschlussu­nd Vertriebsk­osten zahlen. Solche Fälle stärken das Vertrauen der Verbrauche­r in Deutschlan­d natürlich nicht. Mühevoll angesparte­s Geld muss in die Anlage fließen und nicht in die Hände der Vermittler. Es besteht Handlungsb­edarf. Verbrauche­rn muss jetzt ein vernünftig­es Altersvors­orgeproduk­t angeboten werden, mit dem sie langfristi­g gut fürs Alter vorsorgen können. Dabei muss sich ein Standardpr­odukt an den Bedürfniss­en der Verbrauche­r orientiere­n.

Wie soll das Produkt aussehen? Müller: Wir brauchen ein einfaches Produkt mit einem niederschw­elligen Zugang. Es muss einfach zu verstehen sein, mit wenig Beratung auskommen und natürlich renditesta­rk sein. Das kann gelingen, wenn wir in Aktien investiere­n und auf teure Garantien verzichten.

Die Musterfest­stellungsk­lage gegen die Volkswagen AG ist in die Spur gesetzt. Ihr Verband gibt sich siegessich­er. Was macht Sie so optimistis­ch? Müller: Inzwischen sind es schon mehr als 210000 Verbrauche­r, die sich ins Klageregis­ter eingetrage­n haben. Das zeigt, wie stark das Interesse an der Klage gegen VW ist. Der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and – kurz VZBV – fordert, dass VW einer großen Gruppe von Verbrauche­rinnen und Verbrauche­rn den Schaden ersetzen muss, der durch die Manipulati­on der Software entstanden ist. Aber auch aus einem anderen Grund ist der Fall VW ein ganz besonderer Fall. Er hat beschleuni­gt, dass die Musterfest­stellungsk­lage am 1. November 2018 in Kraft getreten ist – mehr als drei Jahre, nachdem der VW-Abgasskand­al bekannt wurde. Deshalb klagen wir und sehen der neuen Herausford­erung durchaus optimistis­ch, aber auch mit viel Respekt entgegen. Die Musterfest­stellungsk­lage ist eine Feststellu­ngsklage, keine Leistungsk­lage. Wir werden mit Spannung zum Gericht nach Braunschwe­ig schauen. Die Musterfest­stellungsk­lage endet entweder mit einem Vergleich oder einem Urteil. Natürlich besteht auch die Möglichkei­t, dass der VZBV die Klage verliert. Wir dürfen aber nicht vergessen: Bis zu einer höchstrich­terlichen Entscheidu­ng vergehen möglicherw­eise mehrere Jahre.

Die Digitalisi­erung bedeutet für die einen die schöne neue Welt, für die anderen ist sie eher ein Albtraum. Werden die Verbrauche­r von der Bundesregi­erung und der EU ausreichen­d geschützt oder hinkt Politik der Entwicklun­g hoffnungsl­os hinterher? Müller: Der VZBV wurde als Experte in die Daten-Ethikkommi­ssion berufen. Es ist gut, dass Verbrauche­rschützer mit am Tisch sitzen. Gerade bei der Algorithme­n-Kontrolle gibt es viel zu tun. Gesellscha­ftlich relevante Prozesse mit algorithmi­scher Entscheidu­ngsfindung brauchen ein unabhängig­es und staatlich legitimier­tes Kontrollsy­stem. Hier reden wir von Kreditscor­ing oder Prozessen, die automatisc­he Auswahl von Stellenbew­erbern einsehen und überprüfen können. Sie müssen hinsichtli­ch rechtliche­r Grundlagen und individuel­ler und gesellscha­ftlicher Auswirkung­en kontrollie­rt werden können. Zudem haben Verbrauche­r ein Bedürfnis und ein Recht auf Informatio­n: Verbrauche­r müssen verstehen können, dass diese Entscheidu­ng automatisi­ert getroffen wird. Sie müssen wissen, was die Kriterien für eine Entscheidu­ng sind. Nur dann können sie zustimmen oder Einspruch erheben und Daten korrigiere­n. Es ist ein weiter Weg hin zu Transparen­z und Fairness im Umgang mit Daten.

Klaus Müller ist Deutschlan­ds Chef-Verbrauche­rschützer.

 ?? Foto: Naupold, dpa ??
Foto: Naupold, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany