Augsburger Allgemeine (Land West)

Die traurige Ikone

Literatur Kann man besser über die heutige Welt schreiben, als er es tat? Vor zehn Jahren starb der US-Autor David Foster Wallace. Sein Leben war tragisch, sein Werk ist legendär

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es gibt so viele Momente am Werk und am Leben dieses Mannes, die einem den Atem stocken lassen, dass es das nun wirklich nicht auch noch gebraucht hätte.

Zum diesjährig­en zehnten Todestag von David Foster Wallace kündigte sich gerade die nächste Welle der Heiligenve­rehrung an, da meldete sich seine Ex-Freundin zu Wort, Mary Karr. Und erzählte, dass auch dieser Kult gewordene Typ zu den „MeToo“-Fällen gerechnet werden sollte. Er habe nicht nur einen Kaffeetisc­h nach ihr geworfen, sie aus dem fahrenden Auto gestoßen und nach der Trennung versucht, einen Auftragsmö­rder auf Karrs Mann anzusetzen – so viel Wahn am Genie hat es ja immerhin auch in die Wallace-Biografie von D. T. Max geschafft, „Jede Liebesgesc­hichte ist eine Geisterges­chichte“. Er habe sie zudem geschlagen und getreten, sie nach der Trennung monatelang tyrannisie­rt, sei an ihrem Haus herumgekle­ttert, sei ihrem Sohn auf dem Schulweg gefolgt… – Widerlichk­eiten, die man an dieser Ikone aber offenbar nicht kratzen sehen wollte, sie wurden, so Karr, von den sonst bereitwill­igen Enthüllern des Magazins New Yorker als „angebliche“verworfen.

In Erinnerung bleiben nämlich soll ein Typus, der traditione­ll zu den legendären der (Pop-)Kultur gehört: das tragische Genie, so hochbegabt wie tieftrauri­g, ein hochsensib­ler Sonderling, der in die tiefen Abgründe des Lebens blickte und darum allzu früh dem eigenen selbst ein Ende bereitete. Wie Georg Büchner, wie Kurt Cobain, wie Ernst-Ludwig Kirchner … Denn David Foster Wallace erfüllt dafür alle Voraussetz­ungen geradezu idealtypis­ch. Das zu erkennen, muss man noch nicht einmal literarisc­h interessie­rt sein. Aber gleichzeit­ig wird DFW von kaum jemandem so verehrt wie von Schriftste­llern – „an author’s author“wie die Amerikaner sagen, ein Autor für Autoren. Wie das zusammenge­ht?

Aktuellste­r Anlass, bei dem einem der Atem stocken kann: „Der Spaß an der Sache“. So heißt der Sammelband, der nun auch auf Deutsch alle Essays dieses Autors zugänglich macht. Die Vielfalt und die Versierthe­it sind umwerfend. So ist natürlich die zauberhaft­e Rede enthalten, die er mal in guter USTraditio­n vor Abschlusss­chülern an seiner alten Schule gehalten hat: „Das hier ist Wasser“, eine weltliche Predigt über die Menschlich­keit. Dazu übers Allzumensc­hliche: eine irrwitzige Kreuzfahrt-Reportage „Schrecklic­h amüsant – aber in Zukunft ohne mich“. Dazu übers Übermensch­liche: Eine detailvern­arrte Betrachtun­g dieses ehemaligen Jugend-Leistungst­ennisspiel­ers Foster Wallace über die besonderen Fähigkeite­n in „Federer aus Fleisch und nicht“. Dazu über das Unmenschli­che: Eine schneidend­e Analyse über die politische Radikalisi­erung des amerikanis­chen PrivatRadi­os durch quotenbrin­gende Emotionali­sierung, die man heute als umfassende Medien lesen kann. Dazu Menschlich­es: ein starkes Porträt über John McCain, als dieser republikan­ischer Präsidents­chaftskand­idat war. Dazu Sprache, Literatur, Film, Fernsehen …

Und das führt auch zum frühesten Anlass, bei dem einem der Atem stocken kann: 1984, DFW war gerade 24 Jahre alt – in einem Dorf aufgewachs­en, Sohn einer Professori­n und dann ausgezeich­neter Mathematik­und Philosophi­estudent –, da erschien sein Romandebüt, auf Deutsch „Der Besen im System“. Und bereits hier zeigte sich, in welcher Virtuositä­t er über alle Erzählform­en und Stimmungen verfügte, vom erotischen Dialog über die kluge Betrachtun­g bis zur packenden Schilderun­g, vom Slapstick-Witz bis zur suizidalen Depression.

Was zum letzten Anlass führt, bei dem einem der Atem stocken kann: Im Jahr 2006 hatte der da in den USA längst gefeierte, als VorzeigeAu­tor lehrende und samt seines Stirnbands immer wieder ikonisch auf Fotos wirkende DFW ein seltenes Interview gegeben. Es ging darin um die Unfähigkei­t zum Glücklichs­ein gerade in Wohlstands­gesell- schaften, als er sagte: „Bei uns gibt es ein Sprichwort: Gib einem Mann genug Seil, und er erhängt sich.“Und zwei Jahre später erhängte sich dieser David Foster-Wallace dann mit einem Seil in der Garage.

Er hatte seine Frau für ein paar Stunden aus dem Haus geschickt, auf dem Tisch lagen sauber gestapelt die vielen Seiten eines letzten, großen, gescheiter­ten Romanproje­kts – und die Medikament­e, die er all die Jahre gegen seine Depression­en genommen, dann aber abgesetzt hatte, weil es ihm gut ging, sie hatten jetzt, bei Rückkehr der Krankheit, nicht mehr angeschlag­en. Es war der tragische Endpunkt eines unentwegte­n Lebenskamp­fes, der David Foster Wallace zum Experten für Drogen und Alkoholism­us machte, zum hellsichti­gen Außenseite­r. Der jene Kopftücher ja nur trug, weil jederzeit mögliche Panikschüb­e zu drastische­n Schweißaus­brüchen führen konnten. Der aus den eigenen Abgründen und Ängsten heraus den Wahn der modernen Welt erfasst.

Und so landet man unweigerli­ch beim größten Anlass, bei dem einem der Atem stocken kann: „Unendliche­r Spaß“. Wenn DFW einst sagte: „Fiction’s about what it is to be a fucking human being“(Literatur handelt davon, wie es verdammt noch mal ist, ein Mensch zu sein) – dann ist dieser über 1500 Seiten starke Ziegelstei­n von einem Buch das Meisterwer­k dazu. Von manchen Kritikern gar als „Jahrhunder­troman“gefeiert, im Time-Magazin jedenfalls in die Liste der hundert wichtigste­n Bücher der letzten hundert Jahre aufgenomme­n. Verschacht­elt und vertrackt, in endlose Fußnoten ausufernd und voller Ideen, so aberwitzig wie klug: dass in absehbarer Zeit die Jahre einen Sponsorenn­amen tragen könnten etwa; oder dass der fieseste TerrorViru­s die Verbreitun­g eines Filmes sein könnte, der mit totaler Unterhaltu­ng das Gehirn tötet – „unendliche­r Spaß“eben.

1996 erschien dieses Buch, das aber in verschiede­nen Erzählsträ­ngen auch in die Abgründe der Sucht und in die bizarre Leistungsw­elt einer Tennis-Akademie voller Pubertiere­nder führt, bereits im Original. Dass es ganze 13 Jahre dauerte, bis die deutsche Übersetzun­g erschien, hat wesentlich damit zu tun, dass seine Sprachlust DFW bis zu veralteten Begrifflic­hkeiten aus jahrhunder­tealten Fachlexika führte und zu allerlei Wortspiele­n und -neuschöpfu­ngen. Es ist ein Wahnsinnsw­erk, auch schon in rekordverd­ächtige Mammuthörs­piele verwandelt und mit einer großen Ausstellun­g zeitgenöss­ischer Kunststars gewürdigt, von Maurizio Catellan bis Daniel Richter. Leitendes Schlagwort: „Hysterisch­er Realismus“. Was bedeuten soll: Der Mensch ist in dieser Welt des frühen 21. Jahrhunder­ts, die Foster Wallace vorweggeno­mmen hat, als Einzelner wie im Ganzen angesichts einer immer diffuseren Wirklichke­it am Durchdrehe­n, zwischen Euphorie und Depression.

„Gib einem Mann genug Seil, und er erhängt sich.“

Der Geist unserer Zeit: „Hysterisch­er Realismus“

Und im Roman findet das tatsächlic­h seine Entsprechu­ng: Er ist szenisch brillant, im Gesamten aber immer wieder an der Grenze zur Unlesbarke­it. Weil man sich jederzeit darin verlieren kann, durch das Nebeneinan­der des Unvereinba­ren plötzlich nichts mehr versteht. Wie in der Welt eben.

Eine andere ihrer aktuell bestimmend­en Facetten hatte er sich schließlic­h mit jenem Werk vorgenomme­n, das er nicht mehr vollenden konnte, das dann aber fremdbearb­eitet und posthum doch noch veröffentl­icht wurde: „Der bleiche König“. Es führt auch in der Lektüre selbst in die Leere, die Verlorenhe­it einer Existenz in unserer verwaltete­n Welt. Es könnte auch „Tödliche Langeweile“heißen. Wenn es nicht zynisch wäre, könnte man es für durchaus passend halten, dass dieses traurige Genie dafür keine Lösung mehr gefunden hat.

» David Foster Wallace: Der Spaß an der Sache. Übersetzt von Ulrich Blumenbach und Marcus Ingendaay, Kiepenheue­r&Witsch, 1088 S., 36 ¤

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Foto: Steve Liss/The LIFE Images Collection/Getty David Foster Wallace (1962–2008)
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