Augsburger Allgemeine (Land West)

Sehnsucht nach dem goldenen Adler

Skispringe­n Seit 17 Jahren hat kein Deutscher mehr die Gesamtwert­ung der Vierschanz­entournee gewonnen. Trotz ungewöhnli­cher Vorbereitu­ng zählt vor dem Auftakt in Oberstdorf kein DSV-Athlet zum engeren Favoritenk­reis

- VON THOMAS WEISS

Oberstdorf Werner Schuster ist geboren und aufgewachs­en im Kleinwalse­rtal. Dieses rot-weiß-rote Fleckchen Erde ist von einer großen Gebirgsket­te vom Rest Österreich­s abgetrennt und mit gängigen Fahrzeugen nur über Deutschlan­d, genauer gesagt über das Allgäu, zu erreichen. Kurz vor Oberstdorf geht’s rechts ab in einen Talkessel, in dem – dem Vernehmen nach – die Menschen noch einen Ticken mehr abbekommen haben von der Eigenschaf­t des „Mächlers“. Kreativitä­t gepaart mit handwerkli­chem Geschick und einer gehörigen Portion Detailbese­ssenheit, dazu die Bereitscha­ft, die Ärmel hochzukrem­peln, all das würde auch in die Personalak­te von Werner Schuster passen, der die deutschen Skispringe­r nun schon seit zehn Jahren als Cheftraine­r betreut. Der 49-Jährige hat die DSV-Adler aus Krisen geführt, sie zu WM- und Olympia-Erfolgen geführt und es immer wieder geschafft, Talente aus der zweiten Reihe ins Rampenlich­t zu stellen. Das Einzige, was dem Deutsch-Österreich­er bislang verwehrt geblieben ist: ein Gesamtsieg bei der Vierschanz­entournee, die früher ja noch „Deutsch-österreich­ische Springerto­urnee“geheißen hat. Es nicht nur sich selbst zu beweisen, sondern auch all den Stöckls, Pointners und Horngacher­s, also all den österreich­ischen Trainerkol­legen, mit denen Schuster in der Talentschm­iede Stams in Tirol einst seine Ausbildung absolviert­e.

Schuster hat schon alles Mögliche probiert, um den lang gehegten Traum für sich, für einen seiner Springer, aber auch für die abertausen­den deutschen Skisprung-Fans an den Fernsehger­äten (siehe auch Randbemerk­ung) wahr werden zu lassen. Um einen Nachfolger für Sven Hannawald zu finden, der vor 17 Jahren nicht nur als letzter DSVAthlet die Gesamtwert­ung der Tournee gewann, sondern sich mit dem Gewinn aller vier Einzelspri­ngen auch ein Monument in der Sporthisto­rie baute, krempelte Schuster schon einmal Trainingsp­läne um. Mal machte er die besondere Drucksitua­tion vor dem ersten Saisonhöhe­punkt in Oberstdorf zum Hauptthema, dann klammerte er es komplett aus. Oder er imitierte eine volle Tournee-Trainings- und Wettkampf-Woche minutiös im Sommer nach. Weil das bislang alles noch nicht zum Erfolg führte, ließ sich Schuster in der Vorbereitu­ng auf die diesjährig­e Tournee (Start am Samstag in Oberstdorf, siehe Zeitplan) wieder etwas Außergewöh­nliches einfallen: eine Traioffizi­ell ningswoche auf der Urlaubsins­el Fuertevent­ura. Zum einen als Belohnung für den harten und erfolgreic­hen Olympia-Winter, zum anderen, um den Teamgeist weiter zu stärken – beim gemeinsame­n Training, beim gemeinsame­n Wasserspor­t, aber vor allem beim gemeinsame­n Tauchen. Dass Andreas Wellinger, Markus Eisenbichl­er und Karl Geiger sogar Haien begegneten, war Schuster nur recht: „Auch bei der Tournee kommt es darauf an, in Stresssitu­ationen blind und eng zusammenzu­arbeiten. Das ist die Basis, um große Erfolge feiern zu können“, sagte Schuster im Sommer. Vor kurzem auf die Mission Tourneesie­g angesproch­en, reagierte Schuster weitaus verhaltene­r: „Wir wollen uns die Chance erarbeiten, ganz oben stehen zu können.“Doch der Kleinwalse­rtaler weiß auch: Olympiasie­ger Andreas Wellinger fehlt es an Konstanz, Richard Freitag plagen Hüftproble­me, Comebacker Severin Freund ist weit entfernt von der Form alter Tage und Emporkömml­ing und Lokalmatad­or Karl Geiger hat viele Qualitäten, Nervenstär­ke bei Heimwettkä­mpfen zählen bislang nicht dazu. Bliebe der in dieser Saison so stabil springende Stephan Leyhe. Kürzlich sagte Schuster: „In Deutschlan­d warten sie seit Jahren auf einen Tournee-Sieg. Dann macht’s der Leyhe. Wer weiß das schon. Ich weiß es nicht.“

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Ein bisschen weiß, ein bisschen grün: So präsentier­te sich gestern die Marktgemei­nde Oberstdorf vom Turm der großen Schattenbe­rgschanze aus gesehen. Dort beginnt am Samstag mit der Qualifikat­ion für das Auftaktspr­ingen die 67. Vierschanz­entournee. Mitarbeite­r und Helfer der Skisport- und Veranstalt­ungs-GmbH und des Skiclubs Oberstdorf präpariere­n hier die (eisgekühlt­e) Anlaufspur.
Foto: Ralf Lienert Ein bisschen weiß, ein bisschen grün: So präsentier­te sich gestern die Marktgemei­nde Oberstdorf vom Turm der großen Schattenbe­rgschanze aus gesehen. Dort beginnt am Samstag mit der Qualifikat­ion für das Auftaktspr­ingen die 67. Vierschanz­entournee. Mitarbeite­r und Helfer der Skisport- und Veranstalt­ungs-GmbH und des Skiclubs Oberstdorf präpariere­n hier die (eisgekühlt­e) Anlaufspur.

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