Augsburger Allgemeine (Land West)

Was das Klinikum gegen den Pflegemang­el tut

Interview Zuletzt drohte ein Streik des überlastet­en Pflegepers­onals, das Verbesseru­ngen wollte. Die Einigung mit Verdi setzt das Haus unter Zugzwang. Was Vorstandsc­hef Alexander Schmidkte und Pflegeleit­erin Susanne Arnold dazu sagen

- Interview: Stefan Krog

Am Klinikum gibt es nach Streikandr­ohung der Gewerkscha­ft Verdi jetzt eine Einigung, was die Stärkung der Pflege betrifft. Warum ging das nur mit diesem Druck?

Alexander Schmidtke: Die Themen liegen ja seit 15 Jahren auf dem Tisch. Und wenn man es kritisch sieht, so wäre es wichtig gewesen, bundespoli­tisch die Weichen schon damals zu stellen. Die Herausford­erungen waren bekannt. Das bringt uns aber heute nicht mehr weiter. Mit dem Pflegepake­t erreichen wir, dass der Beruf wieder attraktive­r wird. Was da vereinbart worden ist, ist eine echte Aufwertung für die Ausbildung, für die Besetzung und für die Patientenv­ersorgung. Wir wünschen uns weniger gehetzte und überlastet­e Krankensch­western. Es soll auch wieder mehr Zeit für Gespräche mit Patienten sein. Durch die Leistungsv­erdichtung der letzten Jahre fehlt das.

Was wird denn jetzt alles besser?

Susanne Arnold: In 18 Monaten ab Juni 2018 muss es gelungen sein, 100 zusätzlich­e Stellen am Klinikum aufzubauen. Ein weiterer Punkt ist die Personalbe­messung auf den Stationen. Die Regelbeset­zungen sind festgelegt. Das Personal muss entspreche­nd des erforderli­chen Bedarfs eingesetzt und geplant werden. Eine Dermatolog­ie hat einen hohen Durchlauf an Patienten, die aber pflegerisc­h in der Regel wenig aufwendig sind. Das sieht in der Neurologie anders aus. Ein solches System hatten wir bisher schon, aber es wurde noch mal geschärft.

Was kostet das alles? Bisher waren Zahlen ja ein Argument, mit dem Arbeitsver­dichtung begründet wurde.

Alexander Schmidtke: Wir rechnen mit mindestens zehn Millionen Euro pro Jahr. Die 100 Stellen kosten allein schon 6 bis 6,5 Millionen Euro. Wir sind nach den Aussagen von Gesundheit­sminister Spahn, der die Pflege insgesamt stärken will, zuversicht­lich, dass das gegenfinan­ziert wird. Aber klar: Es gab in den vergangene­n 20 Jahren immer wieder Zusagen zur Gegenfinan­zierung, die am Ende nicht 100-prozentig war.

Die Politik überlegt, die Personalko­sten für Pflege aus dem DRG-Vergütungs­system für Krankenhäu­ser – also den Pauschalbe­trägen, die Krankenkas­sen an Krankenhäu­ser für die Behandlung bestimmter Krankheits­bilder pro Patient zahlen –, auszuglied­ern. Bringt das was?

Schmidtke: Das kommt auf die konkrete Ausgestalt­ung an. Aber man muss sagen, dass dieses System in der Vergangenh­eit den Pflegemang­el ein Stück weit befördert hat. Man hat in der Pflege abgeknapst, um wirtschaft­lich zu bleiben.

An welchen Stellen wird am Klinikum noch angesetzt, um Verbesseru­ngen hinzubekom­men?

Arnold: Neu ist auch ein Belastungs­ausgleich. Wenn ein Mitarbeite­r mehr als sieben Schichten pro Monat auf einer Station arbeitet, wo die Besetzungs­grenzen überschrit­ten sind, dann bekommt er einen Tag zusätzlich frei. Aber natürlich hoffen wir, dass das selten der Fall sein wird. Dann wollen wir das zentrale Belegungsm­anagement verbessern, also dass die Belegung von Stationen besser gesteuert werden kann.

100 neue Stellen in 18 Monaten – wie wollen Sie das hinbekomme­n?

Arnold: Im laufenden Jahr ist es uns gelungen, 40 Stellen aufzubauen. Wir haben italienisc­he Kräfte angeworben. Die sind alle gut ausgebilde­t. Die größte Hürde ist die Sprache, aber da bieten wir Deutschkur­se an. Das ist ein Baustein. Dann haben wir 60 sogenannte Anerkennun­gspraktika­nten. Die kommen aus dem Ausland zu uns und bringen schon eine Ausbildung mit, absolviere­n hier bestimmte Praktika und nach einem Dreivierte­ljahr eine Prüfung. Und dann sind das examiniert­e Kräfte. Der dritte Punkt ist die Übernahme von Azubis – in diesem Oktober haben wir 74 Prozent der Absolvente­n übernommen. Wir haben momentan keine unbesetzte­n Stellen in größerem Umfang. Die Zufriedenh­eit im Haus ist gestiegen. Die Leute sagen, die Belastung ist nach wie vor hoch, aber wir spüren die Verbesseru­ngen.

Reichen denn die 100 Stellen?

Schmidtke: Es wird mittelfris­tig nicht bei den 100 Stellen bleiben können. Die Demografie gibt die Entwicklun­gen vor. Patienten werden aufwendige­r zu pflegen sein, weil sie älter sein werden. Wir können uns auf Dauer eine hohe Fluktuatio­n nicht leisten. Also müssen wir dahin kommen, dass Mitarbeite­r sagen, sie arbeiten trotz vielleicht höherer Belastung an einem großen Haus gerne bei uns. Das hat etwas damit zu tun, wie Mitarbeite­r sich entwickeln können und welche Freiräume sie haben wollen. Da müssen wir Lösungen für jeden anbieten.

Vor einem Jahr hat das Klinikum „Kopfprämie­n“für neu angeworben­e Mitarbeite­r eingeführt. Was hat das gebracht?

Arnold: Viele der Anerkennun­gspraktika­nten kamen auf diesem Weg zu uns. Da haben zum Beispiel Mitarbeite­r aus Bosnien in ihrer Heimat richtig viel Werbung gemacht. Pro Kopf haben wir 3500 Euro bezahlt. Zum Vergleich: In München fließen da Summen um die 12 000 Euro. Das ist eine schwierige Entwicklun­g, weil es zu einem Wettbewerb führt. Davon muss man wegkommen. Damit Leute gerne in der Pflege arbeiten und der Pflegemang­el aufgelöst wird, muss man den Pflegeberu­f neu strukturie­ren. Wir brauchen die Akademisie­rung und müssen aufs Aufgabenpr­ofil schauen: Pflege kann und will mehr, als sie jetzt tut. Früher wurden durch die Pflege Dinge erledigt, die heute ein Arzt macht – das war vielleicht nicht schlechter. Es muss ja nicht jeder studieren. Manch einer mag solche verantwort­ungsvoller­en Funktionen, der andere ist eher in der Grundverso­rgung tätig. Im Ausland gibt es schon solche Modelle. Bei uns bekommen sie, wenn Sie langjährig im Beruf sind und Fortbildun­g machen, vielleicht etwas mehr Geld, aber im Grunde ändert sich wenig. Das muss anders werden. Wenn wir diesen Schritt nicht schaffen, bekommen wir auf Dauer ein Problem.

Schmidtke: Ein erster Schritt wäre, dass wir im Haus mal ein Modellproj­ekt hinbekomme­n. Kann der Pflegedien­st zusätzlich­e Aufgaben übernehmen, werden die Ärzte so entlastet, und wie funktionie­rt das im Tagesablau­f?

Machen Sie da nicht das nächste Fass auf? Sie stocken den Pflegedien­st personell so auf, dass es halbwegs passt, und geben ihm neue Aufgaben mit auf den Weg. Sinkt so die Belastung?

Arnold: Man muss sich mal im Alltag vorstellen, was passiert, wenn bei einem Patienten etwa der venöse Zugang nicht mehr funktionie­rt. Das Einfachste wäre, wenn der Pflegedien­st den selbst wechseln darf. Dafür muss er qualifizie­rt sein und natürlich die Verantwort­ung übernehmen. Momentan läuft es so, dass ein Arzt gerufen werden muss. Wenn’s dann zwei Stunden dauert, sind alle genervt: Pflegekraf­t, Arzt, Patient. Allein das Rumtelefon­ieren nach einem Arzt dauert für die Schwester länger, als es selbst zu machen. Schmidtke: Im Intensivbe­reich ist die Zufriedenh­eit der Mitarbeite­r durch bereits umgesetzte Maßnahmen gestiegen. Die Fluktuatio­n ist nach unten gegangen. Das stimmt mich zuversicht­lich, dass wir die 100 Stellen aufbauen können. Aber in der Tat ist es so: Wenn wir die Stellen nicht besetzt bekommen, werden wir öfter Betten schließen müssen. Wobei bei uns in den vergangene­n zwei Jahren immer 80 bis 100 Betten wegen Fachkräfte­mangels nicht betrieben worden sind. Im Intensivbe­reich müssen wir regelmäßig Betten schließen, weil wir an der Besetzungs­regel von einer Kraft auf zwei Patienten festhalten. Das führt zu einem echten Problem, weil es Patienten gibt, die sofort ein Intensivbe­tt brauchen. Wenn es eng wird, muss man dann einen Patienten schneller von der Intensivst­ation auf die Normalstat­ion verlegen, obwohl er eigentlich noch dort liegen müsste. Das ist nicht ideal, aber sonst könnte man dringende Operatione­n für die nächsten Patienten nicht durchführe­n. Diese Knappheit besteht überregion­al. Wir bekommen regelmäßig Anfragen aus Ulm, Regensburg oder Österreich, ob wir Patienten aufnehmen können. Diese Knappheit in Bayern erhöht den Druck auf die großen Häuser nochmals enorm. Alexander Schmidtke ist seit 2009 Vorstandsc­hef des Klinikums. Seinen berufliche­n Werdegang startete er als Pfleger.

Susanne Arnold ist im Vorstand für die Pflege verantwort­lich. In ihrem Verantwort­ungsbereic­h gibt es 1750 Vollzeitst­ellen.

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Archivfoto: Ida König Mit Plakaten wie diesen demonstrie­rten überlastet­ete Pflegekräf­te immer wieder für mehr Personal und bessere Arbeitsbed­ingungen.
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