Augsburger Allgemeine (Land West)
Was das Klinikum gegen den Pflegemangel tut
Interview Zuletzt drohte ein Streik des überlasteten Pflegepersonals, das Verbesserungen wollte. Die Einigung mit Verdi setzt das Haus unter Zugzwang. Was Vorstandschef Alexander Schmidkte und Pflegeleiterin Susanne Arnold dazu sagen
Am Klinikum gibt es nach Streikandrohung der Gewerkschaft Verdi jetzt eine Einigung, was die Stärkung der Pflege betrifft. Warum ging das nur mit diesem Druck?
Alexander Schmidtke: Die Themen liegen ja seit 15 Jahren auf dem Tisch. Und wenn man es kritisch sieht, so wäre es wichtig gewesen, bundespolitisch die Weichen schon damals zu stellen. Die Herausforderungen waren bekannt. Das bringt uns aber heute nicht mehr weiter. Mit dem Pflegepaket erreichen wir, dass der Beruf wieder attraktiver wird. Was da vereinbart worden ist, ist eine echte Aufwertung für die Ausbildung, für die Besetzung und für die Patientenversorgung. Wir wünschen uns weniger gehetzte und überlastete Krankenschwestern. Es soll auch wieder mehr Zeit für Gespräche mit Patienten sein. Durch die Leistungsverdichtung der letzten Jahre fehlt das.
Was wird denn jetzt alles besser?
Susanne Arnold: In 18 Monaten ab Juni 2018 muss es gelungen sein, 100 zusätzliche Stellen am Klinikum aufzubauen. Ein weiterer Punkt ist die Personalbemessung auf den Stationen. Die Regelbesetzungen sind festgelegt. Das Personal muss entsprechend des erforderlichen Bedarfs eingesetzt und geplant werden. Eine Dermatologie hat einen hohen Durchlauf an Patienten, die aber pflegerisch in der Regel wenig aufwendig sind. Das sieht in der Neurologie anders aus. Ein solches System hatten wir bisher schon, aber es wurde noch mal geschärft.
Was kostet das alles? Bisher waren Zahlen ja ein Argument, mit dem Arbeitsverdichtung begründet wurde.
Alexander Schmidtke: Wir rechnen mit mindestens zehn Millionen Euro pro Jahr. Die 100 Stellen kosten allein schon 6 bis 6,5 Millionen Euro. Wir sind nach den Aussagen von Gesundheitsminister Spahn, der die Pflege insgesamt stärken will, zuversichtlich, dass das gegenfinanziert wird. Aber klar: Es gab in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Zusagen zur Gegenfinanzierung, die am Ende nicht 100-prozentig war.
Die Politik überlegt, die Personalkosten für Pflege aus dem DRG-Vergütungssystem für Krankenhäuser – also den Pauschalbeträgen, die Krankenkassen an Krankenhäuser für die Behandlung bestimmter Krankheitsbilder pro Patient zahlen –, auszugliedern. Bringt das was?
Schmidtke: Das kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Aber man muss sagen, dass dieses System in der Vergangenheit den Pflegemangel ein Stück weit befördert hat. Man hat in der Pflege abgeknapst, um wirtschaftlich zu bleiben.
An welchen Stellen wird am Klinikum noch angesetzt, um Verbesserungen hinzubekommen?
Arnold: Neu ist auch ein Belastungsausgleich. Wenn ein Mitarbeiter mehr als sieben Schichten pro Monat auf einer Station arbeitet, wo die Besetzungsgrenzen überschritten sind, dann bekommt er einen Tag zusätzlich frei. Aber natürlich hoffen wir, dass das selten der Fall sein wird. Dann wollen wir das zentrale Belegungsmanagement verbessern, also dass die Belegung von Stationen besser gesteuert werden kann.
100 neue Stellen in 18 Monaten – wie wollen Sie das hinbekommen?
Arnold: Im laufenden Jahr ist es uns gelungen, 40 Stellen aufzubauen. Wir haben italienische Kräfte angeworben. Die sind alle gut ausgebildet. Die größte Hürde ist die Sprache, aber da bieten wir Deutschkurse an. Das ist ein Baustein. Dann haben wir 60 sogenannte Anerkennungspraktikanten. Die kommen aus dem Ausland zu uns und bringen schon eine Ausbildung mit, absolvieren hier bestimmte Praktika und nach einem Dreivierteljahr eine Prüfung. Und dann sind das examinierte Kräfte. Der dritte Punkt ist die Übernahme von Azubis – in diesem Oktober haben wir 74 Prozent der Absolventen übernommen. Wir haben momentan keine unbesetzten Stellen in größerem Umfang. Die Zufriedenheit im Haus ist gestiegen. Die Leute sagen, die Belastung ist nach wie vor hoch, aber wir spüren die Verbesserungen.
Reichen denn die 100 Stellen?
Schmidtke: Es wird mittelfristig nicht bei den 100 Stellen bleiben können. Die Demografie gibt die Entwicklungen vor. Patienten werden aufwendiger zu pflegen sein, weil sie älter sein werden. Wir können uns auf Dauer eine hohe Fluktuation nicht leisten. Also müssen wir dahin kommen, dass Mitarbeiter sagen, sie arbeiten trotz vielleicht höherer Belastung an einem großen Haus gerne bei uns. Das hat etwas damit zu tun, wie Mitarbeiter sich entwickeln können und welche Freiräume sie haben wollen. Da müssen wir Lösungen für jeden anbieten.
Vor einem Jahr hat das Klinikum „Kopfprämien“für neu angeworbene Mitarbeiter eingeführt. Was hat das gebracht?
Arnold: Viele der Anerkennungspraktikanten kamen auf diesem Weg zu uns. Da haben zum Beispiel Mitarbeiter aus Bosnien in ihrer Heimat richtig viel Werbung gemacht. Pro Kopf haben wir 3500 Euro bezahlt. Zum Vergleich: In München fließen da Summen um die 12 000 Euro. Das ist eine schwierige Entwicklung, weil es zu einem Wettbewerb führt. Davon muss man wegkommen. Damit Leute gerne in der Pflege arbeiten und der Pflegemangel aufgelöst wird, muss man den Pflegeberuf neu strukturieren. Wir brauchen die Akademisierung und müssen aufs Aufgabenprofil schauen: Pflege kann und will mehr, als sie jetzt tut. Früher wurden durch die Pflege Dinge erledigt, die heute ein Arzt macht – das war vielleicht nicht schlechter. Es muss ja nicht jeder studieren. Manch einer mag solche verantwortungsvolleren Funktionen, der andere ist eher in der Grundversorgung tätig. Im Ausland gibt es schon solche Modelle. Bei uns bekommen sie, wenn Sie langjährig im Beruf sind und Fortbildung machen, vielleicht etwas mehr Geld, aber im Grunde ändert sich wenig. Das muss anders werden. Wenn wir diesen Schritt nicht schaffen, bekommen wir auf Dauer ein Problem.
Schmidtke: Ein erster Schritt wäre, dass wir im Haus mal ein Modellprojekt hinbekommen. Kann der Pflegedienst zusätzliche Aufgaben übernehmen, werden die Ärzte so entlastet, und wie funktioniert das im Tagesablauf?
Machen Sie da nicht das nächste Fass auf? Sie stocken den Pflegedienst personell so auf, dass es halbwegs passt, und geben ihm neue Aufgaben mit auf den Weg. Sinkt so die Belastung?
Arnold: Man muss sich mal im Alltag vorstellen, was passiert, wenn bei einem Patienten etwa der venöse Zugang nicht mehr funktioniert. Das Einfachste wäre, wenn der Pflegedienst den selbst wechseln darf. Dafür muss er qualifiziert sein und natürlich die Verantwortung übernehmen. Momentan läuft es so, dass ein Arzt gerufen werden muss. Wenn’s dann zwei Stunden dauert, sind alle genervt: Pflegekraft, Arzt, Patient. Allein das Rumtelefonieren nach einem Arzt dauert für die Schwester länger, als es selbst zu machen. Schmidtke: Im Intensivbereich ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter durch bereits umgesetzte Maßnahmen gestiegen. Die Fluktuation ist nach unten gegangen. Das stimmt mich zuversichtlich, dass wir die 100 Stellen aufbauen können. Aber in der Tat ist es so: Wenn wir die Stellen nicht besetzt bekommen, werden wir öfter Betten schließen müssen. Wobei bei uns in den vergangenen zwei Jahren immer 80 bis 100 Betten wegen Fachkräftemangels nicht betrieben worden sind. Im Intensivbereich müssen wir regelmäßig Betten schließen, weil wir an der Besetzungsregel von einer Kraft auf zwei Patienten festhalten. Das führt zu einem echten Problem, weil es Patienten gibt, die sofort ein Intensivbett brauchen. Wenn es eng wird, muss man dann einen Patienten schneller von der Intensivstation auf die Normalstation verlegen, obwohl er eigentlich noch dort liegen müsste. Das ist nicht ideal, aber sonst könnte man dringende Operationen für die nächsten Patienten nicht durchführen. Diese Knappheit besteht überregional. Wir bekommen regelmäßig Anfragen aus Ulm, Regensburg oder Österreich, ob wir Patienten aufnehmen können. Diese Knappheit in Bayern erhöht den Druck auf die großen Häuser nochmals enorm. Alexander Schmidtke ist seit 2009 Vorstandschef des Klinikums. Seinen beruflichen Werdegang startete er als Pfleger.
Susanne Arnold ist im Vorstand für die Pflege verantwortlich. In ihrem Verantwortungsbereich gibt es 1750 Vollzeitstellen.