Augsburger Allgemeine (Land West)
Tarifreform: Mehr Abos und viel Ärger
Mobilität Ein Jahr nach der Umstellung sieht es so aus, als ob die Zahl der Stammkunden gesteigert werden konnte. Doch Verbesserungen für Gelegenheitsfahrer lassen auf sich warten. Dafür wird’s zum 1. Januar für alle teurer
Ein Jahr, nachdem die umstrittene Tarifreform bei Bus, Tram und Zug in der Region in Kraft getreten ist, vermelden der Augsburger Verkehrsverbund und die Stadtwerke deutlich gestiegene Abo-Zahlen. Auf Anfrage heißt es von den Stadtwerken, dass sich eine Steigerung von 20,5 Prozent bei den Abos ergeben habe (Vergleich 1. Dezember 2018 zu 1. Dezember 2017). Besonders gut kommt das Mobil-Abo ab 9 Uhr für 30 Euro an: Hier gibt es in der Stadt eine Steigerung von 34 Prozent (verglichen mit dem vormaligen 9-Uhr-Sparabo, dem Schnupperabo und dem im neuen Angebot aufgegangenen Seniorenabo). Im AVV-Gebiet liegt die Steigerung bei 30 Prozent. Eine Gesamtbewertung will StadtwerkeSprecher Jürgen Fergg noch nicht abgeben: Dafür müssten erst die Fahrkartenverkäufe im Bartarif fürs ganze Jahr feststehen und mit den AVV-Zahlen abgeglichen werden.
Zu erwarten ist aber, dass im Augsburger Stadtgebiet die Zahl der verkauften Einzelfahrscheine deutlich zurückgegangen ist. Denn die Neuregelung bei den Preiszonen für Einzelfahrscheine und Streifenkarten sorgte Anfang des vergangenen Jahres für massive Proteste. Hauptpunkt der Kritik: Die bisherige Preisstufe 1 wurde im Bartarif abgeschafft und durch die Kurzstrecke (gültig für vier Haltestellen ohne Einstiegshaltestelle) ersetzt.
Für einen Teil der Gelegenheitsfahrer bedeutete das eine Verschlechterung. Diese Fahrgäste zahlen nun doppelt so viel Geld für eine Fahrt. Auch Senioren gingen auf die Barrikaden, weil das 9-Uhr-Abo als Ersatz fürs Seniorenabo zwar günstiger ist, aber erst später gilt. Zahlreiche Fahrgäste drohten, künftig wieder aufs Auto umzusteigen – dabei wollte die Politik genau das Gegenteil erreichen.
Inwieweit dies tatsächlich passiert ist, lässt sich noch nicht sagen. Ergebnisse der Verkehrserhebung „Mobilität in Städten“der TU Dresden, die in Augsburg regelmäßig Umfragen zum Verkehrsverhalten durchführt, liegen erst 2019 vor. Innenstadt-Parkhausbetreiber berichten jedenfalls von keinen spürbaren Effekten. Stadtwerke-Geschäftsführer Walter Casazza sagte hingegen bereits im Oktober, dass er in diesem Jahr mit einer Rekord- marke von 63 Millionen Fahrgästen rechnet. Dennoch sei der Unmut nach wie vor spürbar, sagt der Fahrgastverband Pro Bahn.
Er verdammt die Tarifreform nicht generell. Denn Pendler aus dem Umland kommen günstiger weg. Doch aus Sicht von Pro Bahn sind die Preise für Gelegenheitsfahrer in der Stadt auch im Städtevergleich saftig. In der Tat ergab im Herbst auch eine Rangliste des Verbraucherportals „Testberichte.de“, dass die Einzelfahrausweise in Augsburg unter den 39 verglichenen Städten mit am teuersten sind. Bei den Monatskarten war Augsburg hingegen günstig, was zusammen mit anderen Faktoren zu einer Platzierung im oberen Drittel reichte.
Höhere Zuschüsse, um bestimmte Härten auszugleichen, seien politisch aber nicht gewünscht gewesen, stellt Pro Bahn fest. „Es gab erheblichen Unmut im Stadtgebiet. Und wir stellen fest, dass dieser Unmut nach wie vor besteht.“Und die vorgestellten Ideen zur Nachbesserung machten das System entgegen den Reformzielen komplizierter statt einfacher.
Als Reaktion auf den Unmut hatte die Politik im April beschlossen, dass die Wiedereinführung der Wochenkarte geprüft, die Zustempel- für Preisstufe-1-Abonnenten nutzerfreundlicher werden soll und in ausgewählten Stadtteilen das Kurzstreckenticket so verlängert werden soll, dass das Stadtteilzentrum erreichbar ist. Seit mehr als einem halben Jahr wird darüber im AVV diskutiert, doch noch fehlen präzise Kostenschätzungen und Verträge darüber, wer was bezahlen wird. „Bei optimalem Verlauf und unter Vorbehalt der Zustimmung der einzelnen Gremien könnte aus unserer Sicht eine Umsetzung Mitte 2019 erfolgen“, so AVV-Sprecherin Irene Goßner.
Unklar ist auch noch, wann die sogenannte City-Zone der Stadtwerke (kostenfreier Nahverkehr in der Kern-Innenstadt) kommen wird. Die Stadtwerke peilen Ende 2019 an. Die Idee, den Nahverkehr in einem Umkreis von einer Haltestelle um Königsplatz/Moritzplatz gratis anzubieten, hängt offiziell mit dem Thema Luftreinhaltung zuRegelung sammen, dient indirekt aber dazu, Härten der Tarifreform abzufedern. Fahrgäste mit dem Ziel Innenstadt hätten so in Kombination mit dem Kurzstreckenticket meist wieder dasselbe Angebot wie vor der Tarifreform. Die Stadtwerke wollen sich die jährlichen Kosten von 900000 Euro von Bund und Land fördern lassen, doch noch gibt es keine Zusage. Erst dann kann das Thema im AVV diskutiert werden.
Eine groß angelegte Bewertung der Tarifreform soll im Jahr 2020 stattfinden. Dafür wird im kommenden Jahr ein Gutachter beauftragt werden. Themen werden eine grundsätzliche Bewertung der Tarifreform sein, aber auch die Nachbesserungswünsche einzelner Parteien. Die Grünen machen sich etwa für ein 365-Euro-Ticket ohne Sperrzeit stark. Ministerpräsident Markus Söder hatte ein solches Ticket für bayerische Städte im Landtagswahlkampf bis 2030 versprochen. Das Projekt steht nach wie vor im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern, inzwischen aber ohne zeitliches Ziel.
Als Nächstes steht den Kunden aber erst einmal eine Preiserhöhung bevor. Zum 1. Januar 2019 wird der AVV seine Preise im Schnitt um 3,9 Prozent erhöhen.
Fahrgäste drohten, aufs Auto umzusteigen