Augsburger Allgemeine (Land West)

Raus aus der Zelle – hin zur Kunst

Projekt Künstleris­che Aktivitäte­n helfen in der JVA Aichach inhaftiert­en Frauen, Struktur in ihr Leben zu bringen. Das kreative Schaffen tut auch der Seele gut. Die Werke sind im Sisi-Schloss oder im Aichacher Rathaus zu sehen

- VON GERLINDE DREXLER

Aichach Mit dem Pinsel in der Hand verharrt die junge Frau einen Moment vor dem Bild. Dann tupft sie konzentrie­rt rote Farbe auf die Leinwand. Zusammen mit etwa sieben bis acht anderen Frauen besucht sie jede Woche eine der vier Kunstgrupp­en, die in der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Aichach angeboten werden. Die Frauen sagen: „Das tut unserer Seele sehr gut.“Karola Steinbauer, freischaff­ende Künstlerin und Kunstthera­peutin, staunt, welche Talente in ihren Kursteilne­hmerinnen schlummern.

Das geht vielen der Frauen genauso. Eine sagt: „Ich wusste gar nicht, dass ich zeichnen kann.“Vor ihr liegt eine Bleistiftz­eichnung, die sie nach einer Vorlage angefertig­t hat: das Porträt eines Rappers, dessen Musik sie gerne hört. Die Ähnlichkei­t zwischen der Vorlage und ihrer Arbeit ist unverkennb­ar. Das Malen mit dem Schattiers­tift liege ihr offenbar, sagt die junge Frau. Ein wenig Stolz ist herauszuhö­ren, als sie auf ihre Zeichnung zeigt und sagt: „Das ist erst mein drittes Bild.“

Einmal die Woche trifft sich die Kunstgrupp­e. Die Teilnehmer können frei entscheide­n, was und wie sie malen wollen. Einige setzen die Arbeit an angefangen­en Bildern fort, greifen zu Acryl- oder Aquarellfa­rben. Aber auch das Gestalten von Weihnachts- oder Grußkarten gehört dazu. „Das wäre mir früher nicht in den Sinn gekommen“, sagt eine der Frauen.

Es sind zwei Stunden, in denen die Inhaftiert­en des einzigen Frauengefä­ngnisses in Bayern, das gut 400 Haftplätze für Frauen und gut 100 für Männer hat, abschalten können. „Einmal weg vom Lärm und dem Gang“, sagt eine. In der Kunstgrupp­e herrscht eine entspannte Atmosphäre. Es wird gelacht und die Frauen vergessen für eine kurze Zeit, dass sie im Gefängnis sind. „Einfach mal raus aus der Zelle“– das war für die meisten der Grund, sich künstleris­ch zu betätigen.

Karola Steinbauer versucht jede der Teilnehmer­innen individuel­l zu unterstütz­en: „Nur so kann ich ihr gerecht werden und sie fördern.“Seit Mai 2014 leitet sie die insgesamt vier Kunstgrupp­en. Drei werden von Erwachsene­n besucht, eine von Jugendlich­en. Den grundlegen­den Unterschie­d zwischen beiden Gruppen beschreibt Steinbauer so: „Die Jugend ist viel offener, viel direkter und spontaner.“Erwachsene würden Themen, die verletzen, eher meiden. Vor allem Inhaftiert­e, die schon viele Jahre in der JVA sind, hätten oft eine Schutzmaue­r um sich herum aufgebaut, ob bewusst oder unbewusst. Was Steinbauer an ihrer Arbeit in den JVA-Kunstgrupp­en schätzt: „Ich bekomme sehr viel Wertschätz­ung.“Manche der Teilnehmer hätten sich unglaublic­h entwickelt, erzählt sie. Es macht sie stolz, dass die Frauen sich nun mehr zutrauen und sie ein Stück dazu beitragen konnte.

Die Kunstgrupp­e wird vom Fördervere­in Frauenhaft unterstütz­t. Er bietet den Inhaftiert­en außerdem die Möglichkei­t, sich in Workshops mit externen Referenten zu Themen wie Acrylmaler­ei oder Kalligrafi­e künstleris­ch zu betätigen. Es gibt musikalisc­he Angebote und eine Gruppe für kreatives Schreiben. Die Aktivitäte­n helfen den Frauen, die Haftzeit sinnvoll zu strukturie­ren und geben ihnen psychische­n Halt.

Der Fördervere­in organisier­te bereits viel beachtete Ausstellun­gen mit Arbeiten der Inhaftiert­en im Sisi-Schloss Unterwitte­lsbach. Eines der ersten Projekte war die Gestaltung der Fenster des Aichacher Rathauskal­enders. Zu jedem Fenster verfassten die Inhaftiert­en Texte, die von Mitarbeite­rn der JVA bei der Fensteröff­nung vorgelesen wurden. Aus der Bevölkerun­g gab es viele positive Rückmeldun­gen.

Im Kunstraum steht die junge Frau noch immer mit dem Pinsel in der Hand vor ihrem Gemälde. Als sie vor Monaten damit begann, eine teilweise zerrissene Leinwand zu bemalen, sollte es ein „Restebild“werden, eine schnelle Arbeit. Inzwischen sagt sie: „Jetzt wird es mein zweitaufwe­ndigstes Bild.“Die vier Quadrate, in die sie es eingeteilt hat, sollen Geschichte­n erzählen. „Es wird noch eine Zeitlang dauern, bis es fertig ist“, sagt die Frau – und lächelt verträumt.

 ??  ?? Mit dem Pinsel tupft diese Inhaftiert­e Farbe auf die Leinwand. Das „Restebild“wandelte sich zu einer ihrer aufwendigs­ten Arbeiten.Foto: Gerlinde Drexler
Mit dem Pinsel tupft diese Inhaftiert­e Farbe auf die Leinwand. Das „Restebild“wandelte sich zu einer ihrer aufwendigs­ten Arbeiten.Foto: Gerlinde Drexler

Newspapers in German

Newspapers from Germany