Augsburger Allgemeine (Land West)
„Schindlers Liste hat mich gerettet“
Film Tom Dittrich geht nach fast 40 Jahren als Kinobetreiber in den Ruhestand. Dieser Abschied fällt ihm nicht schwer: Zwei Nachfolger sind gefunden. Was bleibt, sind Erinnerungen, etwa an die Punks, die ihm einmal das Kino zerlegten
Herr Dittrich, Sie hören jetzt mit 68 Jahren als Kinobetreiber auf. Sie haben fast 40 Jahre lang in Augsburg Filme gezeigt, Kinos betrieben. Fällt es Ihnen schwer, jetzt loszulassen?
Tom Dittrich: Überhaupt nicht. Ich habe zwei Nachfolger gefunden, von denen ich glaube, dass sie das Kino reißen können, den Kopf und die Lust dazu haben sie auf jeden Fall.
Das macht Ihnen die Trennung von Ihrem Liliom-Kino leichter? Dittrich: Es ist schon an der Zeit, einen Wechsel zu vollziehen. Ich habe nicht mehr den Nerv, mich auf all die neuen Trends von Eventkino bis zu Konzerten im Kino einzulassen. Ich habe zwei Nachfolger mit Elan, da den Laden weiter dahinsiechen zu lassen, das ist doch Quatsch.
Warum ist es heute schwer, ein Programmkino zu führen?
Dittrich: Vor allem durch die Übersättigung des Markts. Es laufen jede Woche so viele Filme gleichzeitig an, dass die kleineren Kinos kaum noch wahrgenommen werden.
Ist es schwieriger geworden, das junge Publikum ins Kino zu bekommen? Dittrich: Auf jeden Fall. Früher sind Studenten ins Programmkino gekommen, heute schauen Studenten Mainstream-Kino. Mein Publikum ist in der Regel jenseits der 40. Ab und zu gibt es auch Jüngere, die vorbeischauen.
Wie fing Ihre Kinogeschichte an? Dittrich: In meiner Zeit am Bayernkolleg fing das an, da habe ich schon von einem Programmkino geschwärmt und mir vorgestellt, was ich alles zeige. 1980 hat man mich auf das kleine Kino in der Philippine-Welser-Straße aufmerksam gemacht, im ersten Stock dort. Das stand leer. Daraus habe ich die Filmbühne gemacht.
Wissen Sie noch, welchen Film Sie als Erstes gezeigt haben?
Dittrich: Na klar: „Der Preis fürs Überleben“von Hans Noever.
Und dann?
Dittrich: In den ersten Jahren habe ich erst einmal sehr viel Repertoire gezeigt. Das Arthouse-Kino, wie wir es heute kennen, gab es ja damals nicht. Meine größte Freude war, alle Woody Allen, Stanley Kubrick, Monty Python, die Franzosen und Spanier zeigen zu dürfen, Filme, die nicht mehr im Kino liefen. Nach kurzer Anlaufzeit lief die Filmbühne tierisch gut. Langsam ging es auch in Erstaufführungen rein. Einmal haben wir auch einen Porno gezeigt.
Wie bitte?
Dittrich: „Deep Throat“hieß der Film. Keiner hatte damals einen Porno gesehen. Es gab zwar Pornokinos, aber niemand ging hin, weil die schmuddelig waren. Aber wenn ein angesehenes Programmkino einen Porno zeigte, ging man rein. Das war so witzig. Der Film lief eine Woche, das Kino war jeden Abend voll. Am Schluss der Vorstellungen waren allerdings nur noch sechs, sieben Leute im Kino. Die Leute sind reihenweise rausgegangen, weil sie es nicht ausgehalten haben.
Bitte noch eine Anekdote aus dem Leben eines Kinobetreibers.
Dittrich: Gerne. In der Filmbühne habe ich auch „The Great Rock ’n’ Roll Swindle“gezeigt, ein Film über die Sex Pistols. Ich dachte mir, ich mache den Punks einen Gefallen. Das Kino war rammelvoll. Ich habe den Ton extralaut aufgedreht für sie. Und schon beim Blick ins Kino habe ich gemerkt: Auweia, das geht nicht gut. Bierflaschen flogen an die Leinwand. Die haben mir tatsächlich das Kino zerlegt. Die Bilderrahmen waren von der Wand gerissen. Überall lagen Kippen herum. Die Stühle waren aufgeschlitzt. Ich habe die Vorstellung nicht abgebrochen, weil ich nicht wusste, was dann passiert wäre. Als ich das Kino dann wieder hergerichtet hatte und die nächste Vorstellung zeigte, sagte ich zu den Punks: Ihr bekommt nichts zu trinken, dürft nichts mit reinnehmen und sobald ich merke, dass etwas aus dem Ruder läuft, stoppe ich die Vorstellung. Dann waren sie eine Woche lang brav.
Aber ansonsten waren die 1980er Jahre schon gute Jahre fürs Kino? Dittrich: Fürs Programmkino ganz sicher. Es gab noch kein Privatfernsehen, auch Videos waren noch nicht so präsent. Damals war das Kino der Ort, an dem man Filme geschaut hat.
Und da haben Sie sich nach einem eigenen Kino umgeschaut und das Liliom gefunden.
Dittrich: Nach langem Hin und Her und viel Hilfe von der Stadt konnte ich dieses Gebäude für einen Kinobetrieb umbauen. Drei Jahre lang war ich jeden Tag im Blaumann auf der Baustelle. Am 7. Dezember 1989 haben wir das Liliom aufgemacht.
Wie sind Sie auf den Namen gekommen?
Dittrich: Wir haben lange überlegt, sind viele Namen durchgegangen. Was mir gefallen hat in Augsburg, war der Name Striese. Ein Name, den es sonst nicht gibt. So etwas wollte ich auch haben, etwas, das niemand kennt. So sind wir auf Liliom gekommen.
Und wie lief es im Liliom in den 1990er Jahren?
Dittrich: Auch bombig. 1998 war mein bestes Jahr hier.
Welche Filme aus dieser Zeit haben Sie noch im Kopf?
Dittrich: Meine Rettung war „Schindlers Liste“. Der Umbau hat sehr viel Geld gekostet, Geld, das ich nicht hatte. Ich musste Kredite aufnehmen und zurückbezahlen. Anfangs waren die Ausgaben jeden Monat höher als die Einnahmen. Irgendwann hat mein Bankberater gesagt, dass jetzt etwas passieren muss. Da hatte ich das Glück, dass ein Freund mir eine größere Summe geben konnte. Das hatte mir Luft gegeben. Im Jahr darauf kam „Schindlers Liste“, den Film hatte ich allein in Augsburg im Programm, mit ihm habe ich 50 000 Besucher gemacht.
Das war der Film mit den meisten Be- suchern in ihrer Kinobetreiberlaufbahn?
Dittrich: Ja, absolut.
Und kein anderes Kino hat ihn in Augsburg gezeigt?
Dittrich: Damals galt noch das Prinzip, dass ein Film nur in einem Kino in einer Stadt gezeigt wurde. Man musste kämpfen, kämpfen, kämpfen um einen solchen Film, aber wenn man ihn gehabt hat, war es super. Mit „Schindlers Liste“bin ich aus den Schulden herausgekommen.
Woran denken Sie jetzt, wenn Sie auf 40 Jahre als Kinobetreiber zurückblicken?
Dittrich: Erlebnisse. Neulich hatte ich wieder die Werbung für „Die Story von Monty Spinnerratz“in der Hand. Für den ersten Kinofilm der Augsburger Puppenkiste habe ich die Kongresshalle angemietet, ein Kino dort eingebaut, eine Riesenaktion. Am Ende war sie fast zwei Mal komplett ausverkauft. An einem Tag haben dort 2500 Leute den Film gesehen. Solche Erlebnisse bleiben hängen.
Und was noch?
Dittrich: Am Kinoausgang zu stehen und in die Gesichter zu schauen, wie die Leute aus dem Kino kommen: Grinsen sie über beide Ohren oder trocknen sie sich die letzten Tränen?
Welchen Film haben Sie am häufigsten gesehen?
Dittrich: In den 1980er Jahren war es „Harald and Maude“, den habe ich bestimmt 13, 14 Mal gesehen. Und in den 1990er Jahren war es „Fargo“von den Coen-Brüdern, den ich sehr oft gesehen habe. In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich das geändert. Ich will die Filme jetzt nur noch einmal sehen und mir diesen ersten Eindruck bewahren.
Schauen Sie Serien?
Dittrich: Überhaupt nicht. Was machen mich meine Kinder deshalb fertig. Die Ursprünge, warum ich keine Serien sehen will, liegen in der Ästhetik. Die Ästhetik von einer schnell zusammengeschusterten Fernsehserie ist einfach entsetzlich, grausam. Da hat sich ganz viel entwickelt, ich weiß, aber ich schaue sie trotzdem nicht, weil ich mir denke, vielleicht werde ich ja süchtig. Ich möchte keine Abhängigkeit haben. Mir fehlt da auch die abgeschlossene Geschichte, die ich so gerne habe.
Was für Filme werden Sie interessieren, sobald Sie nicht mehr in dem Kino arbeiten?
Dittrich: Ich werde immer hier im Liliom sitzen. ● Tom Dittrich, 68, hat 1980 begonnen, mit der Filmbühne als Kinobetreiber in Augsburg zu arbeiten. 1989 eröffnete er das Liliom, zwischenzeitlich betrieb er auch die Schaubühne in Lechhausen. Zum Jahreswechsel gibt er sein Kino ab.