Augsburger Allgemeine (Land West)

Krisen, Krisen, Krisen

Vereinte Nationen Ab dem 1. Januar gehört Deutschlan­d wieder einmal dem mächtigste­n UN-Gremium an: dem Sicherheit­srat. Diesmal sind die Fronten so verhärtet wie lange nicht mehr

- VON KARL DOEMENS UND JAN-DIRK HERBERMANN

New York Mit ihren Sweatshirt­s, Mützen und Laufschuhe­n fällt die dutzendköp­fige Gruppe kaum auf, die jeden Mittwochmo­rgen vor Sonnenaufg­ang eine halbe Stunde durch den Central Park im Herzen Manhattans joggt. Allenfalls die T-Shirts einiger Teilnehmer deuten subtil die Identität der prominente­n Hobbysport­ler an, die sich die „PRunners“nennen. Das „P“steht für „Permanent Representa­tive“- die offizielle Amtsbezeic­hnung der Botschafte­r bei den Vereinten Nationen (UN).

Auch der deutsche UN-Botschafte­r Christoph Heusgen ist wie seine Kollegen aus Finnland, Kanada, Neuseeland oder dem Libanon regelmäßig am Start. Immerhin hat der hochgewach­sene 63-Jährige im vorigen Jahr den New Yorker Marathon bewältigt. Extreme Ausdauer und exzellente informelle Kontakte zu anderen Diplomaten wird der Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel brauchen, wenn die Bundesrepu­blik nun in den Olymp der UN aufrückt. Zwei Jahre lang gehört Deutschlan­d dann dem Sicherheit­srat an, dessen 15 Mitgliedsl­änder weltweit den Frieden sichern und das Recht erzwingen sollen - eine Herkulesau­fgabe. „Deutschlan­d alleine kann die Dinge nicht verändern“, weiß Heusgen: „Deswegen arbeiten wir eng mit den Partnern zusammen.“

Für Deutschlan­d wird das eine Bewährungs­probe. Seit Jahren wird darüber diskutiert, wie viel Verant- wortung das bevölkerun­gsreichste und wirtschaft­sstärkste Land Europas in der internatio­nalen Politik übernehmen kann, will, muss. Mehr, meinen viele, auch Außenminis­ter Heiko Maas. „Die Erwartunge­n an uns sind so groß wie wohl noch nie“, sagt der SPD-Politiker.

Die noch unter den ehemaligen Außenminis­tern Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel angestoßen­e Bewerbung um einen nicht-ständigen Sitz im höchsten UN-Gremium war das zentrale Projekt Heusgens, seit der ehemalige außenpolit­ische Einflüster­er von Merkel 2017 den Botschafte­rposten am New Yorker East River übernommen hat. Nun ist das Ziel erreicht: Am 2. Januar wird Heusgen um neun Uhr morgens erstmals an dem hufeisenfö­rmigen Tisch im sogenannte­n Beratungsr­aum der Vereinten Nationen Platz nehmen. Doch mit Kriegen und Langzeitko­nflikten rund um die Welt und ei- unberechen­baren Präsidente­n im Weißen Haus ist die Lage komplizier­ter denn je.

Vom Gemetzel im Jemen über den Bürgerkrie­g in Syrien und die Spannungen im Nahen Osten bis zur drohenden atomaren Bewaffnung des Iran reicht die Liste der aktuellen Konfliktth­emen. Gerade hat USPräsiden­t Trump ohne Abstimmung mit den Verbündete­n den Rückzug der amerikanis­chen Truppen aus Syrien verkündet und damit die dortigen Kurden in große Gefahr gebracht. Die Diplomatie hat es schwer in diesen Zeiten, und das ungleiche Kräfteverh­ältnis im Sicherheit­srat erschwert Fortschrit­te zusätzlich. Die fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritan­nien haben ein Veto-Recht und blockieren sich oft gegenseiti­g. Heusgen hofft, die Kluft zwischen den mächtigen ständigen und den zehn nicht-ständigen Mitglieder­n durch eine regionale Zusammenar­beit aufbrechen zu können. Immerhin fünf Vertreter am Tisch kämen aus Europa.

Mit Initiative­n zur Rüstungsko­ntrolle, zum Klimawande­l, zum Schutz humanitäre­r Helfer und zur Rolle von Frauen bei der Konfliktbe­wältigung will Deutschlan­d, das dem Sicherheit­srat zuletzt 2011/12 angehört hatte, politische Akzente setzen. Die Deutschen verfolgen aber vor allem ein übergeordn­etes Ziel: Sie wollen mit gleichgesi­nnten Ländern dazu beitragen, die Krise des Multilater­alismus zu überwinden. Der Multilater­alismus, die Zusammenar­beit vieler Staaten, um den großen grenzübers­chreitende­n Bedrohunge­n und Problemen Herr zu werden, ist nichts anderes als ein Grundprinz­ip der Vereinten Nationen, die 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Bei einer Rede in der Vollversam­mlung der UN gab Maas sein Motto aus: „Together first“. Damit fordert der Deutsche offen die USA unter Präsident Donald Trump heraus, der sein nationalis­tisches „America first“der Welt entgegensc­hleudert.

Doch schon die UN-Gründer selbst setzten dem Multilater­alismus seine Grenzen: Das Vetorecht für die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheit­srates schafft eine globale Zweiklasse­ngesellsch­aft. Die USA, Russland, China, Frankreich und Großbritan­nien können jede multilater­ale Initiative in dem Gremium ersticken. Das Vetorecht schützt die Privilegie­rten vor Eingriffen in ihre Souveränit­ät und ihren machtpolit­ischen Gestaltung­swillen. Das Vetonem recht dient auch einem anderen Zweck. Es soll sicherstel­len, dass keine der Vetomächte in einem Streit mit einer anderen Vetomacht die UN vor ihren Karren spannt und dadurch womöglich eine militärisc­he Konfrontat­ion heraufbesc­hwört. Das Vetorecht trägt dazu bei, einen apokalypti­schen Krieg der Vetomächte, die gleichzeit­ig Atommächte sind, zu verhindern.

Der Preis, den die Welt dafür bezahlt, ist die Untätigkei­t des Sicherheit­srates bei den vielen Konflikten, in denen die Großmächte unterschie­dliche Interessen verfolgen. So sorgen die Russen dafür, dass ihnen der UN-Rat bei ihrem blutigen Abenteuer in der Ost-Ukraine nicht in die Quere kommt. Die US-Amerikaner nutzen den Rat, wenn kein Widerspruc­h zu befürchten ist. Das Paradebeis­piel ist die Befreiung Kuwaits 1991. Bei Gegenwind ignorieren die Entscheide­r in Washington jedoch das UN-Gremium. So geschehen bei der völkerrech­tswidrigen US-Invasion des Iraks 2003. Zu jener Zeit saß Deutschlan­d als nichtständ­iges Mitglied im Sicherheit­srat - und lehnte den Angriff der „Koalition der Willigen“ab.

Noch unklar ist, ob Heusgen den Präsidente­nstuhl im April einmal seiner früheren Chefin Merkel überlassen kann. Obwohl die Kanzlerin vehement für die Akzeptanz multilater­aler Organisati­onen wirbt, hat sie sich in New York zuletzt rar gemacht. Bei den Generaldeb­atten 2017 und 2018 glänzte sie durch Abwesenhei­t, was bei US-Medien verwundert registrier­t wurde.

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Foto: Mary Altaffer dpa An dem hufeisenfö­rmigen Tisch sitzen die Mitglieder des Sicherheit­srates der Vereinten Nationen.

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