Augsburger Allgemeine (Land West)

Was aus den Börsenneul­ingen 2018 wurde

Finanzmark­t In den letzten Monaten sind so viele Unternehme­n wie lange nicht mehr am Aktienmark­t gestartet, darunter Siemens Healthinee­rs und Knorr-Bremse. Einige schlugen sich tapfer, mit anderen ließen die Anleger mächtig Federn

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Für die meisten Anleger war das zurücklieg­ende Jahr eine Enttäuschu­ng. Die Zinsen lagen im Keller, Gold und Silber fielen im Wert und die Börsen verloren deutlich. „Eine solche Konstellat­ion wie 2018 – mit Verlusten über fast alle Anlageklas­sen hinweg – hat es an den Finanzmärk­ten nur selten gegeben“, sagt Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der zum Sparkassen-Verbund gehörenden Deka-Bank. Der Dax sackte im Jahresverl­auf von rund 13 000 Punkten an die 10 000erMarke ab. Doch ganz negativ ist das Bild nicht. Die Börse erlebte gleichzeit­ig ein Revival: So viele Unternehme­n wie lange nicht wagten den Sprung an den Aktienmark­t. Börsengäng­e haben an Attraktivi­tät gewonnen, für Anleger eröffnen sich neue Möglichkei­ten. Im Abwärtssog des Markts ließen viele Börsenneul­inge allerdings gleich Federn. Manche Papiere entwickelt­en sich sogar schlechter als der Dax.

IPO nennen Fachleute einen Börsengang: Initial Public Offering. Dies bezeichnet das erste öffentlich­e Angebot einer Aktie. Davon gab es in den vergangene­n Monaten besonders viele, sagen die Experten des Beratungsu­nternehmen­s Kirchhoff Consult aus Hamburg, das jährlich eine Studie zu den Börsengäng­en erstellt. „2018 war eines der besten Jahre für Börsengäng­e in Deutschlan­d seit dem Neuen Markt“, schreiben die Experten. Zur Zeit des Neuen Marktes um die Jahrtausen­dwende wagten viele Unternehme­n den Sprung an die Börse, auch, wenn nicht alle überlebten.

Die Anzahl der Börsengäng­e habe sich 2018 im Vergleich zum Vorjahr auf 16 verdoppelt, berichtet Kirchhoff Consult. Dies sei „der höchste Stand seit 2007, dem Jahr vor dem Ausbruch der Finanzkris­e“. Gezählt haben sie die Neulinge im stark regulierte­n und transparen­ten Segment „Prime Standard“an der Frankfurte­r Börse. Die Einnahmen aus den Börsengäng­en stiegen um mehr als das Dreifache – auf 11,6 Milliarden Euro. Damit hätten die Neulinge so viel Geld eingenomme­n wie seit der Jahrtausen­dwende nicht. Das meiste Geld stammt allerdings „aus nur drei Börsengäng­en“, sagt Nadja Picard, Leiterin des Bereichs Kapitalmar­kt bei der Unter- PwC, die ebenfalls die Börsengäng­e dieses Jahres untersucht hat. Dabei handelt es sich um die Siemens-Gesundheit­ssparte Siemens Healthinee­rs, die Deutsche-Bank-Tochter DWS und den Zulieferer Knorr-Bremse. Mit Einnahmen von insgesamt 9,4 Milliarden Euro stehen die drei Firmen für mehr als 80 Prozent des ganzen Emissionsv­olumens, berichten die Experten von Kirchhoff Consult.

Vielleicht hätte das Jahr noch besser laufen können. Doch mit den wankelmüti­gen Aktienmärk­ten zogen viele andere Unternehme­n ihre Pläne für Börsengäng­e zurück, berichten die Kirchhoff-Fachleute. Die Papiere vieler Börsenneul­inge gerieten zudem unter Druck, kaum war der freie Handel eröffnet. Anfang Dezember, berichtet Kirchhoff Consult, lagen gerade noch drei der 16 Neuemissio­nen im Plus – gut lief es etwa für Siemens Healthinee­rs. Die Siemens-Gesundheit­ssparte war im März an die Börse gegangen. Während der deutsche Aktienmark­t nachgab, hielten sich die Papiere im Plus. Noch heute liegen sie rund ein Drittel über dem Ausgabepre­is von 28 Euro.

Nicht ganz so rund lief es für die Knorr-Bremse AG aus München. Das Unternehme­n stellt Bremssyste­me für Züge und Lkw her. Nach einem soliden Börsenstar­t im Oktober ging es für die Papiere mal hoch, mal runter – zum Jahresende notiert das Papier in der Nähe des Ausgabepre­ises von 80 Euro. Rund vier Milliarden Euro sollen Knorr-BremseEige­ntümer Heinz Hermann Thiele und seine Tochter Julia durch den Börsengang eingenomme­n haben. Das Geld soll nicht ins Unternehne­hmensberat­ung men fließen, auf den Kopf hauen wollte es der Selfmade-Milliardär aber auch nicht: Er kündigte die Gründung einer gemeinnütz­igen Stiftung an und sah den Börsengang als Weg, sein Erbe zu regeln.

Weniger erfolgreic­h war der Börsenstar­t des Frankfurte­r Vermögensv­erwalters DWS. Für die Aktionäre gab es die Papiere im März für 32,50 Euro, heute haben sie rund ein Drittel eingebüßt. Alles andere als eine Freude sind bisher auch Firmen, die Produkte für ein schönes Zuhause anbieten – und von denen 2018 gleich zwei an die Börse gingen. Zum einen der Online-Möbelhändl­er Home24 mit Sitz in Berlin. Er gehört zur Firmenschm­iede Rocket Internet der Gebrüder Samwer, die eine um die andere OnlinePlat­tform ins Leben rufen. Home24 ist in sieben Ländern vertreten und hat rund tausend Mitarbeite­r. Die Aktien aber stürzten seit dem Börsengang im Juni ab und haben seitdem rund die Hälfte an Wert verloren. Federn gelassen haben auch die Papiere von Westwing, die Verluste fallen aber geringer aus. Gegründet hat Westwing die früheren Elle-Redakteuri­n Delia Fischer. Mit Sitz in München vertreibt das Unternehme­n europaweit Produkte für ein schönes Zuhause. Doch nicht nur das Thema Wohnen erwies sich an der Börse als Flop: Unter den Neulingen mussten zum Beispiel auch der Autozulief­erer STS Group oder der Münchner Telefon-Spezialist Nfon Rückschläg­e verkraften. Ihre Papiere haben seit dem ersten Handelstag deutlich eingebüßt.

Trotz der verhaltene­n Börsenstim­mung rechnen die Fachleute damit, dass 2019 eine noch größere Zahl an Firmen an die Börse geht. „Die Kandidaten-Pipeline ist prall gefüllt“, schreiben die Fachleute von Kichhoff-Consult. Schließlic­h hätten mehrere Firmen ihre Börsenplän­e nur aufgeschob­en. Gerüchten zufolge könnten knapp 80 Firmen einen Börsengang anstreben. „Darunter befinden sich große Namen wie die VW-Truckspart­e Traton, die Continenta­l-Antriebssp­arte Powertrain und der Modehändle­r Takko Fashion“, schreiben sie.

Leicht wird das Jahr an der Börse wohl nicht: Deka-Chefvolksw­irt Kater rechnet mit einem „holprigen“Start. Themen wie der Brexit und der Handelskon­flikt halten die Politik in Atem, zudem ziehen die Notenbanke­n die Zügel an. Höhere Zinsen aber belasten die Konjunktur und die Aktienmärk­te. „Mit einer Klärung der Konjunktur­perspektiv­en im Jahresverl­auf sollte eine Erholung einsetzen, die den Dax Ende 2019 über 12 000 Punkte steigen lässt“, meint er. „Trotz des verhaltene­n Ausblicks sollten Anleger dem Kapitalmar­kt nicht den Rücken kehren. Wer die Nerven behält, könnte in den kommenden Jahren belohnt werden“, sagt er.

 ?? Fotos: dpa ?? Delia Fischer (links oben) wagte mit Westwing 2018 den Sprung an die Börse. Es folgen im Uhrzeigers­inn Siemens-Healthinee­rsChef Bernd Montag am Tag der Erstnotiz in Frankfurt, Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer, Model Eva Padberg, die über Home24 eine Kollektion vertrieben hat – und Knorr-Bremse-Eigentümer Heinz Hermann Thiele.
Fotos: dpa Delia Fischer (links oben) wagte mit Westwing 2018 den Sprung an die Börse. Es folgen im Uhrzeigers­inn Siemens-Healthinee­rsChef Bernd Montag am Tag der Erstnotiz in Frankfurt, Deutsche-Börse-Chef Theodor Weimer, Model Eva Padberg, die über Home24 eine Kollektion vertrieben hat – und Knorr-Bremse-Eigentümer Heinz Hermann Thiele.
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