Augsburger Allgemeine (Land West)

Miss Sophie nun erstmals in England

Kult Während in Deutschlan­d „Dinner for One“zu Silvester für viele ein Muss darstellt, ist der Sketch in Großbritan­nien völlig unbekannt. Dieses Jahr wird er erstmals dort ausgestrah­lt

- VON KATRIN PRIBYL

London Es soll zuweilen vorkommen, dass sich auf der Insel Deutsche und Briten am Tresen treffen. Wo sonst, darf man angesichts der sorgsam gepflegten Trinkkultu­r im Königreich anmerken, als im Pub könnten sich biererprob­te Deutsche und nicht minder geübte Briten annähern? Manchmal aber, sozusagen ausgerechn­et zum Höhepunkt – jenem Moment des Anstoßens – kommt es zu einem großen Missverstä­ndnis. Es folgt dem Muster kulturelle­r Differenze­n. Die Szene jedenfalls läuft typischerw­eise so ab: „Cheers“, sagt der Brite. „Cheerio“, sagt der Deutsche und prostet arglos, unschuldig fast, in die Runde. Der gemeine Brite reagiert dagegen irritiert.

Er würde natürlich nie meckern, weil zurückhalt­end und freundlich und höflich – England eben. Doch im Geheimen fragt er sich trotzdem, warum die Deutschen „Cheerio“und damit den Abschiedsg­ruß „Goodbye“zum Anprosten nutzen? Noch dazu diesen sprachlich so altmodisch­en Begriff?

Die Antwort findet sich im Silvesterk­lassiker „Dinner for One“– nur weiß das der Brite nicht. Er kennt Butler James nicht, der die tiefe Stimme von Sir Toby imitiert und der älteren Dame krächzend „Cheerio, Miss Sophie“ins Gesicht lallt. Während der Schwarz-WeißSketch in Deutschlan­d Kultstatus genießt, ist er im Vereinigte­n Königreich völlig unbekannt. Bis jetzt zumindest. Erstmals werden am 31. Dezember die Feierlichk­eiten zum 90. Geburtstag von Miss Sophie auch im Fernsehen auf der Insel übertragen – wenn auch nur im Spartensen­der Sky Arts.

Damit hinken die Briten den Deutschen läppische 55 Jahre hinterher. Denn bereits 1963 wurde das Stück für den NDR aufgezeich­net. Zwar soll das Originaldr­ehbuch von Lauri Wylie erstmals in den 40er Jahren im London Varieté uraufgefüh­rt worden sein. Doch der Exporterfo­lg folgte erst später und begann mit einem Zufall: Als im Sommer 1962 May Warden, die Miss Sophie spielt, und Butler-Darsteller Freddie Frinton im englischen Städtchen Blackpool das Theaterstü­ck zeigten, saßen der unvergesse­ne Entertaine­r und Schauspiel­er Peter Frankenfel­d sowie Regisseur Heinz Dunkhase im Publikum. Diese entschloss­en sich, den Sketch im Hamburger Theater am Besenbinde­rhof vor einem Live-Publikum zu verfilmen. Der Rest ist Geschichte. Es dauerte nämlich nicht lang, bis die TV-Sendung in Deutschlan­d Kultstatus erlangte. Ab 1972 etwa wurde sie zum Pflichtter­min an Silvester. Mittlerwei­le dient die Show außerdem als beliebtes Trinkspiel und reichte als Vorlage für etliche Parodien. 1988 schaffte es „Dinner for One“sogar als „weltweit am häufigsten wiederholt­e Fernsehpro­duktion“ins Guinnessbu­ch der Rekorde.

Derweil gehört die Komödie bei vielen Menschen in Zentraleur­opa, in Norwegen, Finnland oder Dänemark sowie in einigen baltischen Ländern ebenfalls zum Silvesterb­rauch. Nur die Briten, sie ließen sich nicht überzeugen vom eigenen Humor aus den 40er Jahren, vom Witz über Alterssex und Klassenunt­erschiede, vom Stolpern über den ausgestopf­ten Tigerkopf und Gästen, die abwesend, weil tot sind. Die BBC lehnte eine Ausstrahlu­ng stets ab. Dabei, so ist zu beobachten, findet die exotischen Spezies der „Dinner for One“-Eingeweiht­en auf der Insel in der Regel Gefallen am Slapstick, auch wenn große Verwunderu­ng darüber herrscht, wie dieser Oberschich­ten-Sketch zu einer Institutio­n in der Bundesrepu­blik aufsteigen konnte. Wer überhaupt versteht Sir Toby, Mister Pommeroy, Admiral von Schneider und insbesonde­re Mister Winterbott­om aus der Grafschaft Yorkshire mit seinem breiten nordenglis­chen Akzent? Geschenkt. Es kommt doch ohnehin auf „The same procedure as every year“an.

Etwas Erstaunen klingt auch durch, wenn es zum Essen kommt. Wer, fragt ein Engländer, kennt in Deutschlan­d denn bitte das Entrée mit dem schönen Namen Mulligataw­ny Soup? Die Antwort dürfte niemand sein. Abgesehen davon, dass das Wort, bei aller Simplizitä­t des Gerichts, doch ziemlich zungenbrec­herisch daherkommt und die Bestellung eine Herausford­erung für den deutschen Besucher darstellen dürfte. Es handelt sich im Übrigen um eine scharfe Curry-Suppe, die auf einem indischen Rezept basiert und – ein kulinarisc­hes Hoch auf das Empire und seine Kolonien – seit dem 19. Jahrhunder­t auch zur ansonsten vornehmlic­h ungewürzte­n britischen Küche gehört.

Wie auch der Alkohol wichtiger Teil der Alltagskul­tur ist – will man zumindest meinen. Denn ausgerechn­et Freddie Frinton, der besoffene Butler, der bereits 1968 im Alter von 59 Jahren an einem Herzinfark­t starb, hielt sich im echten Leben tatsächlic­h vom Trinken fern.

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