Augsburger Allgemeine (Land West)
Mit 36er-Film, aber ohne Navi
Rückschau Heute checken wir vom Sofa aus via Internet im Urwald ein. Noch vor 25 Jahren undenkbar – da lief die Reise so ab
Reisekataloge: Erst schleppen, dann wälzen: Etwa so dick wie das Telefonbuch von Hamburg war ein Spanien-Reisekatalog. Vier bis fünf davon gab’s im Reisebüro – zum Mitnehmen im Neckermann-Jutebeutel. Vor dem Drin-Schmökern und Auswählen auf dem Sofa stand immer erst das Symbole-Lernen – auf der Vokabel-Seite, meist gleich vorne im Katalog: Was bedeuten noch mal zwei Sonnen, eine durchgestrichene Dusche und der eingeklammerte Hund?
Flugtickets, rosa und mehrlagig: Zur Buchung wieder zurück ins Reisebüro. Mit den Reise-Unterlagen im Umfang einer Gerichtsakte lagen Wochen später auch die Flugtickets im Briefkasten. Längliche Papierstreifen, mit unendlich vielen Durchschlägen, LSD-quietschbunt und von wächsernem lila Tintenstrahl-Druck auf rosafarbenen und beigen Feldern mit seltsamen Kryp- to-Kürzeln versehen. Hatte man das Ticket verloren, war quasi auch die Reise verloren. Neu-Ausstellung? Ganz schwierig…
Plattensammlung? Musste in den Koffer: Kein Urlaub ohne Lieblingsmusik. Ob Gregorianische Choräle oder Elektrobeats – heute ist quasi jeder weltweit aufgenommene Ton im Smartphone verfügbar, dank Spotify, Napster & Co. Damals musste der Discman mit, eine lustige Abspiel-Brotdose, hinter deren (meist zerkratztem) Fenster eine CD kreiselte. Was vor jedem Urlaub aufs Neue die schwierige Insel-Frage aufwarf: Welche 20 CDs aus der heimischen Sammlung dürfen mit?
Bordkino? Das war Fern-sehen im Wortsinn: Der RunterklappBildschirm im Flieger hing immer zehn Reihen weiter vorn, war kaum größer als heutige Tablet-PCs. Und so wurde jedes Bordkino zum TVQuiz: Läuft da jetzt „Forrest Gump“? Oder „Rain Man“? Oder „Mission Impossible“? Wer vorne saß, hatte mehr davon.
„Gut gelandet“: Kurze Nachricht, langer Weg. Per SMS oder What’s- App schon aus dem ausrollenden Flieger? Ging vor 25 Jahren noch nicht. Also Schlange stehen vor und dann rein in eine dieser (im Ausland gerne offenen) Telefonzellen. Inmitten von Roms Sound aus Vespa-Gehupe, Straßenpalaver und Polizeisirenen-Geheul reichte es leider nur für „Hallo, wir sind …“, weil dann das Kleingeld durchfiel und das Gespräch abriss. Weitere Versuche scheiterten am Operator, der verbinden sollte, aber überhaupt nicht verbindlich war, sowie schließlich am völlig unverständlichen Anleitungs-Kauderwelsch auf der final gekauften Telefonkarte.
Reisekasse? Immer am Hals. Kreditkarten? Hatten nur Geschäftsleute, und man bekam sie auch noch nicht alle zehn Meter im Flughafen aufgedrängt. Man tourte daher als wandelnde Reisebank durch die Lande – mit D-Mark, Ösi-Schillingen, Lira, alles unter Büroklammern gebündelt und vor Langfingern sicher verstaut im Brustbeutel. Speckig war er, aus beigem Leder und baumelte an einer ebensolchen Kordel um den Hals – wie das erste Kindergarten-Täschchen, nur kleiner. Eiserne Reserve darin: Travellers Cheques. Künstlerisch durchaus aufwändig gestaltete Papiere, etwas kleiner als Geldscheine, dafür aber mit einem Feld zum Unterschreiben. In Italiens Banca Risparmo etwa, dortselbst mit schweißnassen Händen und Puddingknien darauf hoffend, dass der gegelte Krawattennadelträger hinter dem Panzerglas das Papier in Berge von Lira eintauschen möge …
Der 36er-Film – immer im falschen Moment zuende: 36 Bilder pro Filmrolle, Profis holten 38 raus, klemmten sie kürzer als empfohlen in die Plastiknasen des Transportrades der Analogkamera. Selfies? Pure Verschwendung! Einfach draufgedoch halten wurde auch nicht, sondern gut überlegt, wie man den Eiffelturm nun knipst. Und wenn’s doch mal ein Schnappschuss sein sollte, war der Film alle. Nach dem Urlaub dann zwei Wochen warten, bis die Bilder entwickelt waren. Kundenorientierte Drogisten nahmen entwickelte Fotos, „die nichts geworden waren“, gnädig zurück.
Nachrichten? Nachrichtensperre? Schumi wurde Formel-1-Weltmeister? Erich Honecker verhaftet? „Verdammt, ich lieb Dich“ist Nummer eins in Deutschland? Alles Nachrichten, die heute binnen Sekunden im Handy-Display aufpoppen. Damals bekam man auf Fernreisen nichts und in europäischen Nachbarländern fast nichts davon mit. Mit Glück klemmte im KioskStänder eine vergilbte, drei Tage alte Bild. Aktualitäts-Junkies mussten die Deutsche Welle im Radio so einjustieren, dass wenigstens deren Nachrichten einigermaßen rauschfrei zu verstehen waren.