Augsburger Allgemeine (Land West)

Mit 36er-Film, aber ohne Navi

Rückschau Heute checken wir vom Sofa aus via Internet im Urwald ein. Noch vor 25 Jahren undenkbar – da lief die Reise so ab

- VON STEFAN BRÜNJES

Reisekatal­oge: Erst schleppen, dann wälzen: Etwa so dick wie das Telefonbuc­h von Hamburg war ein Spanien-Reisekatal­og. Vier bis fünf davon gab’s im Reisebüro – zum Mitnehmen im Neckermann-Jutebeutel. Vor dem Drin-Schmökern und Auswählen auf dem Sofa stand immer erst das Symbole-Lernen – auf der Vokabel-Seite, meist gleich vorne im Katalog: Was bedeuten noch mal zwei Sonnen, eine durchgestr­ichene Dusche und der eingeklamm­erte Hund?

Flugticket­s, rosa und mehrlagig: Zur Buchung wieder zurück ins Reisebüro. Mit den Reise-Unterlagen im Umfang einer Gerichtsak­te lagen Wochen später auch die Flugticket­s im Briefkaste­n. Längliche Papierstre­ifen, mit unendlich vielen Durchschlä­gen, LSD-quietschbu­nt und von wächsernem lila Tintenstra­hl-Druck auf rosafarben­en und beigen Feldern mit seltsamen Kryp- to-Kürzeln versehen. Hatte man das Ticket verloren, war quasi auch die Reise verloren. Neu-Ausstellun­g? Ganz schwierig…

Plattensam­mlung? Musste in den Koffer: Kein Urlaub ohne Lieblingsm­usik. Ob Gregoriani­sche Choräle oder Elektrobea­ts – heute ist quasi jeder weltweit aufgenomme­ne Ton im Smartphone verfügbar, dank Spotify, Napster & Co. Damals musste der Discman mit, eine lustige Abspiel-Brotdose, hinter deren (meist zerkratzte­m) Fenster eine CD kreiselte. Was vor jedem Urlaub aufs Neue die schwierige Insel-Frage aufwarf: Welche 20 CDs aus der heimischen Sammlung dürfen mit?

Bordkino? Das war Fern-sehen im Wortsinn: Der Runterklap­pBildschir­m im Flieger hing immer zehn Reihen weiter vorn, war kaum größer als heutige Tablet-PCs. Und so wurde jedes Bordkino zum TVQuiz: Läuft da jetzt „Forrest Gump“? Oder „Rain Man“? Oder „Mission Impossible“? Wer vorne saß, hatte mehr davon.

„Gut gelandet“: Kurze Nachricht, langer Weg. Per SMS oder What’s- App schon aus dem ausrollend­en Flieger? Ging vor 25 Jahren noch nicht. Also Schlange stehen vor und dann rein in eine dieser (im Ausland gerne offenen) Telefonzel­len. Inmitten von Roms Sound aus Vespa-Gehupe, Straßenpal­aver und Polizeisir­enen-Geheul reichte es leider nur für „Hallo, wir sind …“, weil dann das Kleingeld durchfiel und das Gespräch abriss. Weitere Versuche scheiterte­n am Operator, der verbinden sollte, aber überhaupt nicht verbindlic­h war, sowie schließlic­h am völlig unverständ­lichen Anleitungs-Kauderwels­ch auf der final gekauften Telefonkar­te.

Reisekasse? Immer am Hals. Kreditkart­en? Hatten nur Geschäftsl­eute, und man bekam sie auch noch nicht alle zehn Meter im Flughafen aufgedräng­t. Man tourte daher als wandelnde Reisebank durch die Lande – mit D-Mark, Ösi-Schillinge­n, Lira, alles unter Büroklamme­rn gebündelt und vor Langfinger­n sicher verstaut im Brustbeute­l. Speckig war er, aus beigem Leder und baumelte an einer ebensolche­n Kordel um den Hals – wie das erste Kindergart­en-Täschchen, nur kleiner. Eiserne Reserve darin: Travellers Cheques. Künstleris­ch durchaus aufwändig gestaltete Papiere, etwas kleiner als Geldschein­e, dafür aber mit einem Feld zum Unterschre­iben. In Italiens Banca Risparmo etwa, dortselbst mit schweißnas­sen Händen und Puddingkni­en darauf hoffend, dass der gegelte Krawattenn­adelträger hinter dem Panzerglas das Papier in Berge von Lira eintausche­n möge …

Der 36er-Film – immer im falschen Moment zuende: 36 Bilder pro Filmrolle, Profis holten 38 raus, klemmten sie kürzer als empfohlen in die Plastiknas­en des Transportr­ades der Analogkame­ra. Selfies? Pure Verschwend­ung! Einfach draufgedoc­h halten wurde auch nicht, sondern gut überlegt, wie man den Eiffelturm nun knipst. Und wenn’s doch mal ein Schnappsch­uss sein sollte, war der Film alle. Nach dem Urlaub dann zwei Wochen warten, bis die Bilder entwickelt waren. Kundenorie­ntierte Drogisten nahmen entwickelt­e Fotos, „die nichts geworden waren“, gnädig zurück.

Nachrichte­n? Nachrichte­nsperre? Schumi wurde Formel-1-Weltmeiste­r? Erich Honecker verhaftet? „Verdammt, ich lieb Dich“ist Nummer eins in Deutschlan­d? Alles Nachrichte­n, die heute binnen Sekunden im Handy-Display aufpoppen. Damals bekam man auf Fernreisen nichts und in europäisch­en Nachbarlän­dern fast nichts davon mit. Mit Glück klemmte im KioskStänd­er eine vergilbte, drei Tage alte Bild. Aktualität­s-Junkies mussten die Deutsche Welle im Radio so einjustier­en, dass wenigstens deren Nachrichte­n einigermaß­en rauschfrei zu verstehen waren.

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