Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Deutschen freuen sich mit Eisenbichl­er

Skispringe­n Um den Wimpernsch­lag von 0,4 Punkten verpasst der Siegsdorfe­r beim Auftakt der Vierschanz­entournee in Oberstdorf seinen ersten Weltcup-Sieg. Lokalmatad­or Karl Geiger weiß nicht so recht, was er von Platz zwölf halten soll

- VON THOMAS WEISS

Oberstdorf Jens Zimmermann und Helmer Litzke machen ihren Job am Stadionmik­rofon der Vierschanz­entournee in Oberstdorf schon viele, viele Jahre. Voller Leidenscha­ft und Inbrunst animieren sie das Publikum dazu, insbesonde­re den deutschen Springern oben am Startbalke­n eine Schallwell­e der Begeisteru­ng und ein Wimmelbild von zigtausend schwarz-rot-goldenen Fähnchen hochzuschi­cken. Gestern kam das Moderatore­n-Duo beim Auftaktwet­tbewerb der Vierschanz­entournee kaum hinterher mit ihrer Gute-Laune-Animation, schließlic­h trug nach einer überragend­en Qualifikat­ion am Samstag fast jeder vierte der insgesamt 50 Springer den DSV-Adler auf dem Anzug. Zwölf Springer im Finale brachte den Deutschen vor Österreich, Polen und Norwegen (jeweils sechs Springer) zwar zwischenze­itlich den Meistbetei­ligungspre­is, kaufen konnten sie sich davon aber nichts. Doch Bundestrai­ner Werner Schuster sollte recht behalten, dass mindestens einer seiner Jungs um den Sieg mitspringe­n könne.

Es war am Ende sein TrainingsW­eltmeister Markus Eisenbichl­er, die Kohlen aus dem Feuer holte und als umjubelter Zweiter dem Dauersiege­r Ryoyu Kobayashi nicht nur Paroli bot, sondern dem 22-jährigen japanische­n Überfliege­r auch gehörig auf den Pelz rückte. Die Winzigkeit von 0,4 Punkten fehlte dem 27-jährigen Siegsdorfe­r zu seinem ersten Weltcup-Sieg. Eisenbichl­er, der seinen zweiten Platz vom ersten Durchgang (133 Meter) mit einem Satz auf 129 Metern im zweiten verteidigt­e, sah sich aber nicht als Verlierer gegen Kobayashi (138,5/126,5): „Ich bin überglückl­ich und würde jetzt am liebsten heulen vor Glück.“Lokalmatad­or Karl Geiger und Stefan Leyhe, die mit den Rängen zwölf und 13 nicht ganz ihre Erwartunge­n erfüllen konnten, freuten sich im Auslauf ausgelasse­n über den Podestplat­z ihres Teamkolleg­en „Eisei“. Eisenbichl­er verriet sein Erfolgsrez­ept: „Ich bin mit vollen Akkus hierhergek­ommen. Die freien Tage an Weihnachte­n, ein bisschen auf den Berg hoch, das war Gold wert.“

Im Überschwan­g des Erfolges zündete Bundestrai­ner Schuster zum Jahreswech­sel sogar eine verbale Rakete in Richtung Konkurrenz: „Vielleicht ist das ja der Knotenlöse­r für Markus. Jetzt kommen eigentlich nur noch Schanzen, die er im Schlaf springen kann.“Schuster entging freilich nicht, dass der ansonsten so coole Japaner Kobayashi im zweiten Durchgang Nerven zeigte: „Auch er musste Federn lassen.“Will heißen: Trainer und DSVTross glauben weiter fest daran, nach den Springen in Garmisch, Innsbruck und Bischofsho­fen den Tournee-Gesamtsieg wieder nach Deutschlan­d zu holen – 17 lange Jahre nach Sven Hannawald.

Der Weg dorthin führt aber nur über Kobayashi. Der 22-jährige Shooting-Star aus dem Land der aufgehende­n Sonne demonstrie­rte mit seinem fünften Triumph im achten Weltcup-Springen dieser Saison erneut das stabilste Flugsysder tem – den Finalsprun­g mal ausgenomme­n. Auch Frauen-Bundestrai­ner Andreas Bauer, der mit der Gesamtwelt­cup-Führenden Katharina Althaus das Tournee-Springen im mit 25 500 Zuschauer ausverkauf­ten Stadion am Schattenbe­rg live verfolgte, zeigte sich begeistert vom Sprungstil des Japaners. „Wahnsinn, wie er vom Schanzenti­sch weg beschleuni­gt. Das macht momentan den großen Unterschie­d.“Die Mannschaft­sleistung der DSVSpringe­r stufte Bauer „ebenfalls hoch ein. Und den zuvor hoch gehandelte­n Karl Geiger nahm Bauer explizit in Schutz: „Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ein Springen vor der Haustüre ist schwierige­r als jedes andere. Du hast einfach nicht die Ruhe, die du für zwei richtig gute Sprünge brauchst.“Geiger selbst wusste nicht so recht, wie er Rang zwölf, seine schlechtes­te Weltcup-Platzierun­g dieser Saison, erklären sollte: „Ich wäre gern etwas besser gesprungen, aber Eisei hat gezeigt, wie es geht. Dennoch bin ich happy. Das war eine coole Stimmung und ein solider Wettkampf.“

Es war aber auch ein Springen mit zahlreiche­n Überraschu­ngen: Olympiasie­ger Andreas Wellinger stürzte ebenso vom Himmel wie die Norwegen-Stars Anders Fannemel und Skiflug-Weltmeiste­r Daniel Andre Tande. Der 24-jährige Ruhpolding­er sprach nach Rang 39 Klartext: „In der Quali ein Schritt nach vorn, heute wieder zwei zurück. Das ist scheiße.“Während Wellinger darüber klagte, dass er am Tisch „zu spät dran war und ins Leere sprang“, haderte Richard Freitag als 16. über sein abhandenge­kommenes Fluggefühl: „Auf den ersten Metern stimmt’s nicht. Das fühlt sich immer zu früh an.“

Glücksgefü­hle überkamen nach Rang drei den Österreich­er Stefan Kraft in seinem Wohnzimmer Oberstdorf. „Das war ein perfekter Auftakt, nach so langer Zeit mal wieder aufs Stockerl zu kommen.“

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Foto: Ralf Lienert Deutsches Trio in Jubelstimm­ung: Stephan Leyhe (links) und Karl Geiger (rechts) freuen sich mit Markus Eisenbichl­er über dessen zweiten Platz beim Tournee-Auftakt.

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