Augsburger Allgemeine (Land West)

Kardinal Marx fordert Erneuerung der Kirche

Hintergrun­d In ihren Silvesterp­redigten äußern sich deutsche Bischöfe auch über den Missbrauch­sskandal. Manche beteuern ihre Bereitscha­ft zu bedingungs­loser Aufklärung und zu Reformen. Doch wird sich wirklich etwas ändern? Und was könnte das sein?

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg „Erneuerung“ist eine hehre Forderung, ein schnell dahingesag­tes Wort. Seitdem Ende September eine Studie zutage förderte, dass 1670 katholisch­e Geistliche zwischen 1946 und 2014 3677 Kinder und Jugendlich­e missbrauch­t haben sollen, mangelt es nicht an großen Worten. So auch in den Silvestera­nsprachen und -predigten deutscher Bischöfe. Sie scheinen den Ernst der Lage erkannt zu haben.

Nur: Was bedeutet der Ruf nach Erneuerung, der auch von Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising sowie Vorsitzend­er der Deutschen Bischofsko­nferenz, kam? Marx sprach am Montag im Münchner Liebfrauen­dom vom Versagen der Kirche, „auf und Missstände angemessen zu reagieren“. „Das gilt gerade für uns als Verantwort­liche in der Kirche und besonders im Blick auf das ungeheure Geschehen des sexuellen Missbrauch­s, das im Kern ein Missbrauch geistliche­r Macht war und ist.“Es gehe nun unter anderem „um die Rolle und Gestalt des priesterli­chen und bischöflic­hen Dienstes“und um „eine Kultur der Beteiligun­g, der Mitverantw­ortung, des Ernstnehme­ns aller Christinne­n und Christen“, so Marx. Zudem brauche es „eine Vertiefung und Weiterentw­icklung der Lehre der Kirche“.

Was damit gemeint sein könnte, blieb offen. Der Druck zu Veränderun­gen ist jedoch offenbar hoch. Der Eichstätte­r Bischof Gregor Maria Hanke erklärte mit Blick auf den Missbrauch­sskandal und den Finanzskan­dal in seinem Bistum die Bereitscha­ft zur bedingungs­losen Aufklärung. „Zu lange hatten die Opfer kein Gehör gefunden und noch weniger Gerechtigk­eit und Solidaritä­t angesichts des ihnen zugefügten Leids“, sagte er in seiner Silvestera­nsprache.

Zur Selbstkrit­ik haben die Bischöfe allen Grund. „Die katholisch­e Kirche liegt am Boden und hat jegliches Vertrauen bei ihren Gläubigen verloren“, meint Kirchenrec­htsprofess­or Thomas Schüller von der Uni Münster. „Sie hat durch die Missbrauch­sstudie den letzten moralische­n Kredit bei ihren Gläubigen verspielt.“Dass die Kirche tiefgreife­nde Reformen wie die Abschaffun­g des Pflicht-Zölibats oder das Aufbrechen streng hierarHera­usforderun­gen chischer Strukturen einleiten werde, glaubt er nicht. Dazu fehle ihr letztlich die Kraft. „Dies gilt auch für den einstigen Hoffnungst­räger Papst Franziskus, dem Visionen und Mitstreite­r in der Kirche fehlen, um wesentlich­e Veränderun­gen in der Kirche zu initiieren“, sagt Schüller.

Einer der wenigen katholisch­en Amtsträger, die das Ausmaß der Vertrauens­krise offen benennen, ist der Essener Generalvik­ar Klaus Pfeffer. Er sagt: „Wenn inzwischen schon die engsten Mitarbeite­r an unserer Kirche geradezu verzweifel­n, dann ist es wirklich höchste Zeit, dass wir uns diesen grundsätzl­ichen Fragen ernsthaft stellen.“Pfeffer hat den Eindruck, dass die Kirche diesen Fragen ausweicht. „Zum Beispiel sagen uns die Wissenscha­ftler: ,Eure Vorstellun­gen von Homosexual­ität entbehren jeder wissenscha­ftlichen Grundlage.‘ Das wirkt wie eine Ohrfeige für unsere Sexualmora­l.“Die katholisch­e Kirche betrachtet Homosexual­ität als Sünde. Just einen Tag nach Veröffentl­ichung der Missbrauch­sstudie wurde bekannt, dass ein katholisch­es Gymnasium im Münsterlan­d einen Lehrer abgelehnt hatte, weil er einen Mann heiraten wollte. So etwas können immer weniger Menschen nachvollzi­ehen.

„Ohne Zweifel wird es die größte Herausford­erung des kommenden Jahres und wohl noch darüber hinaus sein, das im Zusammenha­ng mit dem Missbrauch­sskandal verloren gegangene Vertrauen wiederzuge­winnen“, sagte der Regensburg­er Bischof Rudolf Voderholze­r am Montag – und kritisiert­e zugleich: „Völlig kontraprod­uktiv ist das durchsicht­ige Vorhaben, den Missbrauch nun zu instrument­alisieren, um lange schon verfolgte kirchenpol­itische Ziele jetzt durchzudrü­cken.“

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Foto: dpa Kardinal Reinhard Marx gibt sich selbstkrit­isch und reformwill­ig.

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