Augsburger Allgemeine (Land West)
Was wünscht sie sich mit 101 fürs neue Jahr?
Ausblick Amalie Horst kam zur Welt, als noch der Erste Weltkrieg tobte. Heute lebt sie in Günzburg. Was die gebürtige Rheinländerin in etwas mehr als einem Jahrhundert bewegt hat und worüber sie sich am meisten freut
Günzburg Was passierte alles im Jahr 1917? Historiker bezeichnen es als ein Epochenjahr der neueren Geschichte. Der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg bringt eine wichtige Wende mit sich, mit der Februarrevolution endet in Russland die 500 Jahre anhaltende Zarenherrschaft und in Frankreich wird die niederländische Tänzerin und Spionin Mata Hari zum Tode verurteilt und erschossen. Ein Jahr lang wird Kaiser Wilhelm II. noch das Deutsche Kaiserreich regieren und ebenso lange wird König Ludwig III. noch über Bayern herrschen, bis 1918 aus dem Königreich der heutige Freistaat wird. 1917 ist auch das Geburtsjahr von Amalie Horst.
Am 25. November 2018 feierte sie ihren 101. Geburtstag, nicht ganz so groß wie ihren 100., bei dem sie mit etwa 45 Gästen, unter anderem mit einem Bilderabend über ihr Leben, überrascht wurde. 101 Jahre sind mehr als zehn Jahrzehnte – Dimensionen zwischen damals und heute. Amalie Horst, die in der Belvedere-Wohnanlage in Günzburg lebt, ist eine der wenigen Menschen, die nicht nur den Ersten Weltkrieg, wenn auch unbewusst, sondern auch drei verschiedene Währungen miterlebt haben. „Die Reichsmark, die Deutsche Mark und den beliebten Euro“, sagt sie und lächelt.
Amalie Horst erzählt von ihrer Kindheit – es war eine ganz andere als die heutiger Buben und Mädchen. Bei Zahnschmerzen sei man zum Zahnarzt, sondern noch zum Friseur gegangen. Und Autos habe es nur wenige gegeben. Sie wächst zusammen mit ihrer Schwester im Herzen von Düsseldorf im Stadtteil Oberbilk auf. Ihr Vater führt einen Dachdeckerbetrieb und ist Holländer. Dadurch hat auch Amalie Horst, eine geborene van Enckevort, die holländische Staatsbürgerschaft. Der Vater stirbt sehr früh und ihre Mutter, die als Köchin im Hotel Germania arbeitet, muss sie und ihre Schwester in einer Zeit, in der es nach dem Krieg an allem fehlt, alleine durchbringen. Amalie Horst nimmt die deutsche Staatsbürgerschaft an, damit ihre Mutter zumindest das Schulgeld für die „Schule Höhenstraße“spart. Aus dem Wenigen, was es überhaupt gibt, wird gemacht, was gemacht werden kann. Spielzeug gibt es sowieso so gut wie keines. „Man musste zufrieden sein und man war zufrieden“, erinnert sie sich.
Was waren die für sie bewegendsten Ereignisse innerhalb eines Jahrhunderts und mit welchen hätte sie nicht gerechnet? „Dass Deutschland wieder aufgebaut wurde, weil ja alles kaputt war“, sagt Amalie Horst und erinnert an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. „Düsseldorf war platt. Es gab keinen Spielplatz und keine anständige Schule, viele sind in der Stadt in den Trümmern groß geworden.“
2011 folgt Amalie Horst ihrer Familie aus dem Rheinland ins schwäbische Günzburg. Die Frage, wie sie das Jahr 2018 erlebt hat, beantwortet sie kurz und bündig in zwei Worten: „rundum gesund“. Auch mit 101 Jahren nimmt sie an Angeboten wie Gedächtnistraining oder Gymnastik teil. Letzteres fiel vor Kurzem aus – krankheitsbedingt, wegen der zu geringen Teilnehmerzahl. Stattdessen wurde Uno, eines der vielen Kartenspiele, die Amalie Horst liebt, genicht spielt. Nur für Skat fänden sich selten die entsprechenden Mitspieler, erzählt sie. Ganz gerne spiele sie aber auch Mensch ärgere Dich nicht. „Die Jahre, in denen ich jetzt lebe, machen mir die größte Freude“, fügt sie hinzu. Man müsse mit der Zeit gehen und Neuem immer aufgeschlossen sein. „Sonst stehst du alleine da“, betont sie. Und was wünscht man sich mit 101 Jahren für das neue Jahr 2019? „Dass in die Welt Frieden kommt.“Das sei ein Wunsch, der sie bewege. Es sei furchtbar, dass das, was gut und intakt sei, zusätzlich noch kaputt gemacht werde. Ganz wichtig sei ihr aber auch die Familie, ihr Sohn, ihre Enkel und Urenkel, sowie ihr Ururenkel. Dass sie zusammenbleiben, alle zufrieden seien und man sich gegenseitig helfe, wenn Not am Mann sei. Sie habe sich gefreut, dass alle ihren 100. Geburtstag miterlebt hätten.