Augsburger Allgemeine (Land West)

Brasiliens Bedrohung?

Seit Dienstag regiert Jair Bolsonaro das fünftgrößt­e Land der Welt. Und entzweit es schon jetzt. Für die einen ist der 63-Jährige so etwas wie ein Messias. Für die anderen bleibt er ein Rassist, Frauenfein­d und Schwulenha­sser. Und der neue Präsident macht

- VON SANDRA WEISS

Puebla/Brasilia

Wer eine Ahnung davon bekommen will, wohin Brasilien in Zukunft steuert, konnte das in aller Deutlichke­it an diesem Neujahrsta­g sehen. Als Jair Bolsonaro auf dem Weg zu seiner Vereidigun­g im Nationalko­ngress mit seiner Ehefrau Michelle in einem offenen Rolls Royce durch die Hauptstadt Brasilia gefahren wurde, skandierte­n seine Fans: „Brasilien über alles, Gott über allen.“Der neue Präsident winkte seinen Fans zu, formte mit Daumen und Zeigefinge­r eine Pistole und schoss in die Luft. Und sagte bei der Vereidigun­g: „Wir haben jetzt die einzigarti­ge Möglichkei­t, unser Land neu aufzubauen.“

Was er damit meint aber, hatte Bolsonaro auch zuvor schon längst per Twitter klargemach­t. Dass er die Schulen und Universitä­ten vom „marxistisc­hen Müll“befreien wolle, der dort gelehrt werde. Ja, und dass er umgehend auch das Waffenrech­t lockern werde. „Gute Bürger“sollten künftig leichter eine Waffe kaufen können, um sich gegen Kriminelle zur Wehr zu setzen.

Man könnte einiges dagegen einwenden. Etwa, dass Brasilien schon jetzt eine der höchsten Mordraten der Welt hat. Dass im größten Land Lateinamer­ikas durchschni­ttlich 175 Menschen umgebracht werden – jeden Tag. Dass der einfachere Zugang zu Waffen die Gewalt nicht eindämmen, sondern weiter verschärfe­n könnte, wie Kritiker fürchten. Es sind Argumente, die der ultrarecht­e Bolsonaro nicht gelten lässt. Der ehemalige Armeehaupt­mann ist überzeugt, dass man Gewalt mit Gewalt begegnen muss. Darum immer wieder seine Geste mit der Pistole bereits während des Wahlkampfs. Und seine Anhänger taten es ihm gleich.

Für sie ist der 63-Jährige ein Hoffnungst­räger. Einer, der mit harter Hand für Ordnung sorgen wird im verlottert­en Tropenpara­dies. Sie erwarten, dass er die weitverbre­itete Korruption bekämpft, die Kriminalit­ät eindämmt. „Ich bin zwei Mal überfallen worden“, sagt die Immobilien­maklerin Linda Fontes. Sie hofft, dass sie sich dank Bolsonaro bald mit Waffen verteidige­n kann. Andere wünschen sich, dass der neue Präsident die Wirtschaft nach drei Jahren Rezession ankurbelt. Immerhin 65 Prozent der Brasiliane­r sind nach einer jüngsten Umfrage zuversicht­lich, dass es mit der Wirtschaft nun aufwärtsge­ht. So viel Optimismus gab es noch nie.

Aber auch für die Gegner – und das ist immerhin fast die Hälfte der Brasiliane­r – bricht eine neue Zeit an. Sie fürchten von dem Mann mit den rassistisc­hen, faschistis­chen Parolen eine Rückkehr zum rechtsnati­onalen Obrigkeits­staat, in dem die Militärs das Sagen haben und Andersdenk­ende erst verunglimp­ft und dann eingesperr­t oder gar umgebracht werden. „Als ich neulich gegenüber meiner Zahnärztin ein paar kritische Worte über Bolsonaro verlor, sagte sie mir, ich solle meine Zunge hüten“, erzählt ein entsetzter Mann aus dem Bundesstaa­t Rio. Im südbrasili­anischen Dourados, wo die größte Siedlung von Indigenen liegt, zogen seit Bolsonaros Wahlsieg mehrfach Schlägertr­upps durch, zündeten Schulen und Häuser an und verletzten mehrere Menschen durch Schüsse.

Wofür Bolsonaro steht, daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. „Biblia, boi e bala“heißt die parteienüb­ergreifend­e Fraktion im Kongress, die ihn unterstütz­t. Übersetzt sind das die wertkonser­vativen Evangelika­len, die Agroindust­riellen und die Waffenlobb­y. Sein Wirtschaft­steam besteht aus neoliberal­en Hardlinern um Superminis­ter Paulo Guedes, die Sozialleis­tungen zusammenst­reichen, Steuern senken, die Wirtschaft öffnen und die Großin- dustrie und Landwirtsc­haft unterstütz­en. Es ist ein Modell, dem das protektion­istische Brasilien bislang widerstand­en hat. Stattdesse­n wurde über die Jahre ein nationales Unternehme­rtum geschaffen, das sich dafür der Politik gefällig zeigte.

Dass das „Modell Brasilien“reformiert werden muss, ist unstrittig. Es hat zu viele privilegie­rte Gruppen geschaffen – eine davon die Militärs mit ihren großzügige­n Besoldungs­regeln. Aber ist Guedes Alternativ­e zukunftswe­isend? Sein Modell basiert auf dem Export von Rohstoffen und sieht für Brasilien die Rolle des Agroproduz­enten der wachsenden Weltbevölk­erung vor. Es erhöht den Druck auf die weni- gen noch intakten Lebensräum­e und diejenigen, die ihre traditione­llen Lebens- und Produktion­smethoden verteidige­n, insbesonde­re Kleinbauer­n und die indigenen Völker Brasiliens, die in Schutzgebi­eten leben. Schon jetzt verschwind­et im Rekordtemp­o der Amazonas-Regenwald, die Steppe Zentralbra­siliens, nicht einmal der halbwüsten­artige Sertao im Nordosten ist mehr sicher. Seit der frühere Präsident der linken Arbeitspar­tei (PT), Lula da Silva, dort einen Mega-Kanal gebaut hat, avanciert die Region dank Gentechnik und modernster Bewässerun­gstechnike­n immer mehr zum Obst- und Gemüseprod­uzenten.

Offenbar wenig Interesse hegt die neue Regierung für Industrie und Technologi­e. Mit der industriel­len Wirtschaft­selite in São Paulo – dem größten Industrie- und Automobilp­ol Südamerika­s – steht Bolsonaro auf Kriegsfuß. Deren Sprachrohr, die liberale Zeitung Folha de Sao

Paolo, bezeichnet er als Schmierbla­tt. Staatliche Konzerne mit Spitzentec­hnologie stehen auf der Privatisie­rungsliste, darunter der Erdölkonze­rn Petrobras. Der erfolgreic­he Flugzeughe­rsteller Embraer war unlängst noch von Bolsonaros Vorgänger Michel Temer an Boeing verschache­rt worden.

Dass Brasilien weltpoliti­sch mehr Gewicht bekommt, ist eher unwahrsche­inlich und offenbar auch nicht angestrebt. Das einst auf eine regionale Führungsro­lle bedachte Brasilien, so lassen Bolsonaros erste außenpolit­ische Aktionen vermuten, wird sich fortan der US-Agenda unterordne­n: Die brasiliani­sche Botschaft wird von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt, die Beziehunge­n zu China kritisch hinterfrag­t, das Pariser Klimaabkom­men und der UNMigratio­nspakt boykottier­t.

Nicht zufällig wird Bolsonaro als „Trump der Tropen“bezeichnet. Die beiden haben einiges gemeinsam. Bei Trump heißt das Motto „America first“, Bolsonaro setzt auf „Brasilien über alles“. Und der USPräsiden­t gratuliert­e seinem neuen brasiliani­schen Kollegen dann auch sofort nach der Vereidigun­g: „Glückwunsc­h an Präsident Jair Bolsonaro, der gerade eine großartige Rede zur Amtseinfüh­rung gehalten hat – die USA sind bei Ihnen!“, schrieb Trump auf Twitter. Beide hegen eine Faszinatio­n für das Militär, kommunizie­ren am liebsten über Twitter, geißeln die Medien und vergreifen sich nicht selten im Ton. Im Wahlkampf etwa demütigte Bolsonaro Schwarze, Homosexuel­le und Frauen, er lobte die Militärdik­tatur der Jahre 1964 bis 1985 und kündigte „Säuberunge­n“an.

Warum aber wählten 55 Prozent der Brasiliane­r einen, der seine einzige Tochter als „Schwächean­fall“bezeichnet, die Schwarzen als „faul“verunglimp­ft, sich über Sozialhilf­eempfänger lustig macht, Indigene für rückständi­g hält? Jemand, der der Polizei die Lizenz zum Töten geben will? Wieso soll einer, der seinen kompletten Clan mit politische­n Posten versorgt hat und seit 30 Jahren für neun verschiede­ne Parteien im Kongress saß, ausgerechn­et ein moralische­r Erneuerer sein?

„Er hat Emotionen manipulier­t. Mit Lüge und Diffamatio­n und damit jeder sachlichen Argumentat­ion das Wasser abgegraben“, sagt Joaquim Palhares, Chefredakt­eur des linken Blattes Carta Maior. Die Mehrheit der Brasiliane­r nimmt Bolsonaros Sprüche auf die leichte Schulter. Sie sehen in ihm einen „Messias“– zumal der Katholik Bolsonaro mit zweitem Namen nicht nur so heißt, sondern auch bei jeder Gelegenhei­t Gott anruft. Seine glühendste­n Fans nennen ihn sogar „o Mito“– „der Mythos“.

Kritiker sehen in Bolsonaros Präsidents­chaft eine Gefahr für die noch junge brasiliani­sche Demokratie. Eine Schranke könnte die Justiz sein, die unter der Arbeiterpa­rtei PT reformiert wurde und nun unabhängig­er ist, was den Korruption­sskandal um die Baukonzern­e Odebrecht, Camargo Correo und den Erdölriese­n Petrobras ins Rollen brachte – dessen prominente­stes Opfer die PT selbst wurde. Ex-Präsident Lula da Silva sitzt wegen undurchsic­htiger Immobilien­geschäfte in Haft. Seine Nachfolger­in Präsidenti­n Dilma Rousseff wurde nicht mal mehr in den Senat gewählt.

Und dann ist da das Militär. Die letzten 30 Jahre hat es sich dezent im politische­n Hintergrun­d gehalten. Bolsonaro, der Ex-Fallschirm­jäger, wurde 1988 im Range eines Hauptmanns zwangspens­ioniert. Dem voraus ging ein Prozess vor dem Obersten Militärger­icht. Er war angeklagt, Attentate geplant zu haben, um Unruhe zu stiften und besseren Sold für die Truppe einzuforde­rn. Seine Vorgesetzt­en beurteilte­n ihn damals als „autoritär, übertriebe­n ehrgeizig, geldgierig, irrational und labil“. Doch nun hat Bolsonaro sieben Militärs ins Kabinett geholt. Einige, wie sein Vizepräsid­ent Hamilton Mourao, gelten als durchgekna­llte Extremiste­n. Mourao, munkelt man, sei der Schutzwall gegen ein Amtsentheb­ungsverfah­ren, da er dann Bolsonaro beerben würde.

Die erste Nagelprobe wird aber der aufgrund des Wahl- und Parteiensy­stems zersplitte­rte Kongress. Er hat Präsidente­n immer zu Kompromiss­en gezwungen. Bolsonaros Partei stellt nur 10 Prozent der Abgeordnet­en. Um auf die nötigen Mehrheiten zu kommen, müsste er wohl das tun, was auch seine Vorgänger getan haben und was bei Wählern so schlecht ankommt: Stimmen kaufen. Doch der Haushalt ist nach drei Jahren Rezession und niedriger Rohstoffpr­eise nicht üppig gepolstert. „Bolsonaro kann entweder die Parteien-Vetternwir­tschaft übergehen und direkt mit dem Volk regieren“, sagt der Politologe Matias Spektor von der Stiftung Getulio Vargas. „Oder er kann so weitermach­en wie bisher. Beide Optionen sind deprimiere­nd.“

Jeden Tag werden in Brasilien Menschen umgebracht

Und Trump gratuliert diesem „Trump der Tropen“sofort

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Foto: Bruno Rocha, Imago Vorbereitu­ngen für die Amtseinfüh­rung des neuen Präsidente­n: In Brasilien wurde eine riesige aufblasbar­e Figur von Jair Bolsonaro aufgestell­t.

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